|
InhaltZum Tätigkeitsbegriff
Resümee: Die Entwicklung der tierischen Tätigkeit Die Dreiphasentätigkeit Die Ausgangsabstraktion: Der theoretische Begriff des sozialen Individuums Ausblick Arbeit – Verteilung - Genuss Bestimmungen des sozialen Individuums Neue Bedürfnisse |
Element |
Merkmale |
Subjekt |
z.B.
Einzellige Algen |
Bedürfnis |
Nahrungsbedürfnis |
Gegenstand |
Kontaktierter Gegenstand (nicht ausgeformt) |
In die Tätigkeit einbezogene Gegenstandsbestimmungen |
Keine (nur die Gegenstände selbst, Kohlendioxid, gelöste Nährstoffe
usw.) |
Tätigkeitsstruktur |
Einfache Tätigkeit, Reaktionen auf primäre Reize auf dem Niveau der
AAM |
Antrieb (Motiv) |
Kontaktierter Gegenstand |
Tabelle 1 : Bestimmungen der ursprünglichen Tätigkeit
Aus den bisherigen Darlegungen folgt, dass das Subjekt einer spezifischen Tätigkeit nicht allein dadurch bestimmt werden kann, dass das tätige Individuum angegeben wird. Als Subjekt ist es durch den Gegenstand bestimmt. Da jedes Individuum zu mehr als einem Gegenstand in tätige Beziehung tritt, ist das gleiche Individuum mehrfach Subjekt, je nach dem jeweiligen Gegenstand, auf den es seine Tätigkeit richtet.
Andererseits kann ein Gegenstand für verschiedene Individuen in verschiedener Weise von Bedeutung sein, je nachdem, welche Eigenschaft des Gegenstandes das Bedürfnis des Individuums befriedigt und so zum Motiv wird..
In ihrer ursprünglichen Form entspricht dies der von Leontjew Tätigkeit auf dem Niveau der ursprünglichen Reizbarkeit. Hier soll sie „ursprüngliche Tätigkeit“ genannt werden. Die ursprüngliche Tätigkeit der ersten Organismen ist auf im Wasser gelöste Nährstoffe, auf Licht, die Schwerkraft usw. gerichtet. Ihre Gegenstände sind also nicht ausgeformt, sondern liegen in einer kontinuierlichen, wenn auch nicht immer in gleicher Konzentration und Stärke vor. Die Reize, auf welche die Organismen reagieren können, sind nur die biologisch bedeutsamen Eigenschaften der Gegenstände, so dass die Tätigkeit als einheitlicher Akt auf dem Niveau der AAM erfolgt.
Fassen wir die bisher gewonnenen Ergebnisse der bisherigen Analyse der Tätigkeit zusammen:
Eine Erscheinung der Realität, eine Entität ist Subjekt genau dann, wenn sie ein Bedürfnis hat. Das Bedürfnis ist eine Beziehung des Subjekts zu einer anderen Erscheinung der Realität, dem Gegenstand.
Diese Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wechselwirkung zwischen beiden durch Zerstörung des Gegenstandes zur Erhaltung des Subjekts führt. Diese Form der Wechselwirkung ist die Tätigkeit. Das Bedürfnis resultiert aus dem Zustand des Subjekts und wird bestimmt durch den Gegenstand, dessen Zerstörung seine Erhaltung garantiert und so sein Bedürfnis befriedigt.
Ein Subjekt klassifiziert die Menge aller anderen Erscheinungen der Realität, der Objekte, Entitäten in solche, die sein Bedürfnis befriedigen und andere. Ein Objekt , das ein Bedürfnis des Subjekts befriedigten kann, hat für das Subjekt einen Sinn.
Das Bedürfnis bestimmt also die möglichen Gegenstände der Tätigkeit, im Motiv ist das Bedürfnis als tatsächlich einwirkender Gegenstand realisiert, konkretisiert, die reale Triebkraft einer konkreten Tätigkeit, die verwirklichte Möglichkeit.
Die Begriffe „Bedürfnis“ und „Motiv“, die üblicherweise nur in Bezug auf den Menschen benutzt werden und deren Definition meist nur das Niveau mehr oder weniger schwammiger Metaphern erreicht, erhalten hier einen exakt definierten Inhalt. Dieser Umstand wird auch nicht dadurch besser, dass die Metaphern der Sprache der Informationstechnologie entnommen werden. Nur in der Informationstechnologie sind sie exakt definiert. In der hier erfolgten Definition sind allgemeine Bestimmungen aller Tätigkeit und lassen sich für Tiere wie für Menschen sinnvoll interpretieren.
Leontjew ist Psychologe und will die Frage nach der Entstehung der menschlichen Psyche beantworten. Er geht davon aus, dass die Entwicklung der Psyche an die Entwicklung der Tätigkeit gebunden ist und untersucht daher die Entwicklung der Tätigkeit als Bedingung der Entwicklung des Psychischen. Deshalb bezeichnet er die Etappen der Entwicklung auch durch die Art der psychischen Widerspiegelung, die der jeweiligen Tätigkeit entspricht. Das erschwert aber den Zugang zu eigentlichen Bestimmungen der Tätigkeit, die ja der psychischen Widerspiegelung zugrunde liegen. Mir geht es dagegen um die Entwicklung der Tätigkeit selbst. Der Aspekt der Entwicklung der Psyche ist für die Ableitung der Ausgangsabstraktion des sozialen Individuums zunächst weniger bedeutsam, deshalb wird nur die Entwicklung der Tätigkeit selbst dargestellt. Deshalb verwende ich eigene Ausdrücke, welche die Struktur der jeweiligen Tätigkeit kennzeichnen sollen.
In der Entwicklung der Psyche der Tiere unterscheidet Leontjew drei Stadien, denen bestimmte Tätigkeitsformen entsprechen:
Die „Einfache Tätigkeit“ Stadium der elementaren sensorischen Psyche,
die „Gegliederte Tätigkeit“ Stadium der perzeptiven Psyche und
die „Zweiphasentätigkeit“ entspricht dem Stadium des Intellekts.
Während sich die ursprüngliche Tätigkeit ausschließlich unmittelbar vom Gegenstand selbst ausgelöst wir und sich direkt auf den Gegenstand richtet, wird die einfache Tätigkeit auch von an sich neutralen Eigenschaften des Gegenstands wie Geruch oder Geräusch ausgelöst und in der Tätigkeit mit dem Gegenstand verbunden. In der Tätigkeit erhalten auf diese Weise auch die Eigenschaften der Gegenstände einen Sinn. Er entsteht, indem das Subjekt eine zeitweilige Verbindung zwischen den neutralen Gegenstandseigenschaften und dem Gegenstand selbst herstellt.
Das ermöglicht es den Lebewesen auch, ausgeformte Objekte zum Gegenstand der Tätigkeit zu machen. Aus der Menge der möglichen Gegenstände (der Objekte, die für ein Subjekt einen Sinn haben) identifiziert das Subjekt über dessen Eigenschaften einen, der zum Gegenstand der Tätigkeit werden soll. Damit identifiziert es sich als Subjekt dieses Gegenstandes, als bestimmtes Subjekt. Leontjew benutzt hierfür auch den Ausdruck „Vergegenständlichung“: Ich nenne diesen Vorgang „Identifikation“, der als Gegenstand der Bedürfnisses identifizierte Gegenstand heißt „ausgezeichneter Gegenstand“. Die Verkürzung auf „Gegenstand“ wird nur dann vermieden, wenn der Kontext das erfordert.
Das Folgende mag als nicht ganz ernst gemeintes Beispiel der Veranschaulichung dienen, auch wenn Ihre Reaktionsmöglichkeiten auf die einer Amöbe reduziert wären: Auf einem Empfang werden Ihnen eine Platte mit verschiedenen Häppchen angeboten. Alle haben für Sie den gleichen Sinn, sie können Ihren Hunger stillen. Für eines entscheiden Sie sich, dieses identifizieren Sie als den Gegenstand ihres Bedürfnisses. Ihre Tätigkeit richtet sich nun auf das Ausgewählte und bestimmt deren Richtung und Verlauf. Es würde Sie zumindest stören, wenn ein anderer „ihr“ Häppchen nehmen würde.
Abbildung 2 : Experiment zur einfachen Tätigkeit[v]
Quer in ein Aquarium, in dem zwei junge Zwergwelse leben, wird ein Hindernis gestellt. Es besteht aus einem Rahmen, auf den weiße Gaze gespannt ist. Zwischen dem Rahmen und einer Wand des Gefäßes ist ein Durchgang freigelassen.
Sobald sich die Fische, die gewöhnlich beieinander bleiben, in einem — und zwar stets dem gleichen — Teil des Aquariums befinden, wird auf den Boden des anderen Teiles ein Stück Fleisch gelegt. Vom Geruch des Köders angelockt, suchen die Fische nahezu den Boden auf und schwimmen direkt auf das Fleisch zu. Dabei stoßen sie auf das Hindernis. Wenige Millimeter davon stoppen sie ihre Bewegungen und scheinen den Rahmen zu betrachten. Dann schwimmen sie am unteren Rand des Hindernisses hin und her, bis sie schließlich zufällig an den Durchgang geraten, der ihnen den Weg zum anderen Teil des Aquariums freigibt, in dem sich das Fleisch befindet.
Die Tätigkeit ist erstens auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet und tritt zweitens als Umgehungsbewegung auf, deren Inhalt mit dem Hindernis zusammenhängt, das allerdings anders als der Geruch einwirkt. Die Gaze vermag die Tätigkeit des Tieres nicht von sich aus anzuregen; sie allein ruft normalerweise keine Tätigkeit hervor. Die zweite Einwirkung hängt nicht mit dem Gegenstand zusammen, der zur Tätigkeit anregte und auf den diese gerichtet war (wie etwa der Geruch), sondern von den Bedingungen, unter denen der Gegenstand auftrat. Das ist der objektive Unterschied zwischen den beiden Einwirkungen und das objektive Verhältnis zwischen ihnen
Füttert man die Fische unter den gleichen Bedingungen weiter, dann nimmt die Anzahl der überflüssigen Bewegungen allmählich ab, bis die Tiere schließlich direkt auf den Durchgang zwischen Hindernis und Aquariumswand zustreben, um zum Futter zu gelangen.
Im zweiten Teil des Experiments wurde das Hindernis weggenommen, bevor die Fische erneut gefüttert wurden. Obwohl die Trennwand ziemlich nahe am Ausgangsort der Fische gestanden hatte und ihr Fehlen trotz des schlechten Sehvermögens der Tiere unbedingt bemerkt werden musste, bewegten sich die Fische so zum Futter, als sei das Hindernis weiter vorhanden. Erst allmählich schlugen sie wieder den geraden Weg zur Fressstelle ein.
Die untersuchten Fische hatten demnach die Einwirkung, die ihren Umweg veranlasste, mit der Einwirkung der Nahrung, das heißt mit deren Geruch verbunden.
Element |
Merkmale |
Subjekt |
Viele Wirbellose |
Bedürfnis |
Nahrungsbedürfnis |
Gegenstand |
Ausgezeichneter Gegenstand (ausgeformt) |
Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen |
Eigenschaften der Gegenstände |
Tätigkeitsstruktur |
Einfach differenzierte Tätigkeit als einheitlicher Prozess |
Antrieb (Motiv) |
Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand |
Tabelle 2 : : Bestimmungen der einfachen Tätigkeit
Die einfache Tätigkeit ist deshalb einfach, weil in ihr alle Bedingungen, unter denen der Gegenstand gegeben ist, als Eigenschaften des Gegenstandes auftreten, auch wenn sie eigentlich wie im Beispiel gesonderte Entitäten sind. Für die Belange der Theorie werden gesonderte Entitäten, die in einer Tätigkeit einen Bezug zum Gegenstand der Tätigkeit haben, als „Dinge“ bezeichnet. Die gegliederte Tätigkeit ist nicht nur unmittelbar auf den Gegenstand gerichtet, sondern die für die Tätigkeit bedeutsamen Dinge werden durch gesonderte Aktionen in die Tätigkeit einbezogen. Solche Aktionen in einer Tätigkeit nennt Leontjew „Operationen“.
Betrachten wir als Beispiel den Beutefang bei der Katze. Eine Katze habe eine Maus als Gegenstand identifiziert. Die Maus kann auf einer Wiese oder in ihrem Loch sitzen oder auf einem Baum klettern. Die entsprechenden Operationen sind Anschleichen, Warten vor dem Bau oder auf den Baum klettern und der Fang. Füchse verfügen über die Operation Graben, nicht aber Klettern.
Ein Säugetier würde die oben beschriebene Aufgabe anders lösen. Die Entdeckung des Spaltes könne ebenfalls zufällig erfolgen. Nach der Beseitigung des Hindernisses bewegt sich dieses aber sofort direkt zur Nahrung. Die dritte Etappe wird also übersprungen. Die Umgehungsbewegung ist also als Operation ausgebildet, die je nach Lage der Dinge eingesetzt wird oder nicht. Das ist möglich, weil das Hindernis als eigenes Objekt, eben als „Ding“ in die Tätigkeit einbezogen wird und nicht als eine Eigenschaft der Nahrung.
Operationen sind zudem frei kombinierbar und können in verschiedener Reihenfolge ausgeführt werden.
Element |
Merkmale |
Subjekt |
Fast alle Wirbeltiere |
Bedürfnis |
Nahrungsbedürfnis |
Gegenstand |
ausgezeichneter Gegenstand |
Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen |
Dingliche Bedingungen, unter denen die
Gegenstände gegeben sind |
Tätigkeitsstruktur |
In Operationen gegliederte Tätigkeit, mit
denen auf die dinglichen Bedingungen reagiert wird |
Antrieb (Motiv) |
Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand |
Tabelle
3
: Bestimmungen der gegliederten Tätigkeit
Betrachten wir als Beispiel[vi], wie ein Schimpanse mittels eines Stockes eine Frucht heranholt. Der Gegenstand ist die Frucht, die der Schimpanse als Gegenstand seines Bedürfnisses identifiziert hat. Sie liegt in einem Käfig, der auf einer Seite einen Spalt hat, durch die er die Frucht sehen, aber nicht heranholen kann. Durch das Gitter auf der anderen Seite könnte er die Frucht holen, kann sie aber nicht erreichen. Nachdem er vergeblich verschiedene Operationen versucht hat richtet sich seine Tätigkeit einen Stock, den er durch den Spalt steckt und die Frucht zum Gitter schiebt. Nun läuft er um den Käfig, greift er nach der Frucht und verzehrt sie.
Diese Tätigkeit ist offensichtlich in zwei Phasen gegliedert. In der ersten Phase ergreift der Schimpanse den Stock und schiebt die Frucht zum Gitter. Damit ist die zweite Phase vorbereitet, in der die Frucht ergriffen und verzehrt wird. Die Tätigkeit ist also in zwei Phasen gegliedert, eine Vorbereitungsphase und eine Vollzugsphase. Der biologische Zweck der Vorbereitungsphase ist die Vollzugsphase, in welcher die Frucht gegessen, das Bedürfnis befriedigt wird.
In der Vorbereitungsphase richtet sich die Tätigkeit noch nicht unmittelbar auf den Gegenstand, sondern auf ein Ding, eben den Stock, mit dem der Gegenstand so verändert wird, dass die Vollzugsphase möglich wird. In dieser Form der Tätigkeit werden die Dinge als eigenständige Entitäten in ihrer Beziehung zum Gegenstand in die Tätigkeit einbezogen. Solange die Frucht am Stock (Zweig) hängt, resultiert dessen Bedeutung aus der natürlichen Verbindung zwischen Ding und Gegenstand. In der beschriebenen Tätigkeit gewinnt das Ding (der Stock) eine neue Bedeutung, es wird „Werkzeug“. Auch zum Werkzeug wird das Ding nur in bezug auf den Gegenstand. Wenn sich keine Frucht im Käfig befindet, schenkt der Affe dem Stock keine Bedeutung. Auch hier ergibt sich der biologische Sinn der Operationen aus dem Gegenstand der Tätigkeit.
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Phasen besteht darin, dass sie zeitlich auch deutlich voneinander getrennt sein können. Unterbricht man eine Tätigkeit innerhalb einer Phase, dass wird sie unverzüglich wieder aufgenommen. Erfolgt die Unterbrechung zwischen den Phasen, dann kann eine bedeutend längere Verzögerung eintreten.
Die Zweiphasentätigkeit ist in Vorbereitungsphase und Vollzugsphase gegliedert. Diese Form der Tätigkeit ist bei den Primaten am höchsten entwickelt, konnte aber auch bei anderen Säugetieren nachgewiesen werden.
Abbildung 4 : Struktur der Zweiphasentätigkeit
In der folgenden Tabelle sind diese Merkmale der Tätigkeit zusammengefasst.
Bestimmung
der Tätigkeit |
Ausprägung |
Subjekt |
Primaten und viele Säuger |
Bedürfnis |
Nahrungsbedürfnis |
Gegenstand |
ausgezeichneter Gegenstand |
Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen |
Beziehungen zwischen Dingen (Werkzeug) und Gegenständen |
Tätigkeitsstruktur |
In Vorbereitungsphase und Vollzugsphase gegliederte Tätigkeit, in der
die Operationen frei kombinierbar sind |
Antrieb (Motiv) |
Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand |
Tabelle 4 : Bestimmungen der Zweiphasentätigkeit
Im Verlaufe der Evolution durchläuft die Entwicklung der tierischen Tätigkeit drei Phasen. Im Verlaufe dieser Entwicklung entwickeln und differenzieren sich allgemeine Bestimmungen, die auch die menschliche Tätigkeit kennzeichnen. Auf der höchsten Stufe werden nicht nur die Gegenstände in die Tätigkeit einbezogen, sondern auch Objekte, die mit dem Gegenstand in einer unmittelbaren oder einer durch das Subjekt vermittelten Beziehung (Werkzeug) stehen.
Die Zweiphasentätigkeit ist in eine Vorbereitungsphase und eine Vollzugsphase gegliedert. Damit entsteht die Kategorie des Zweckes (der Zweckmäßigkeit) als Relation von Vorbereitungsphase und Vollzugsphase : Die Vollzugsphase ist der Zweck der Vorbereitungsphase.
Auf jeder Entwicklungsstufe vollziehen die Lebewesen nicht nur die jeweils höchste, sondern wenn auch in abgewandelter Form alle bis dahin in der Evolution entstandenen Tätigkeitsformen. Diesem Aspekt wurde hier nicht nachgegangen.
Es lassen sich weitere Begriffe wie „Operation“, „Werkzeug“ und „Zweck“, die häufig nur in bezug auf den Menschen benutzt werden, exakt definieren. Sie sind Bestimmungen der Tätigkeit, die in bestimmten Stadien der Entwicklung der Tätigkeit entstehen. Diese Begriffe lassen sich bereits für die Tätigkeit der Tiere sinnvoll interpretieren. Auf der Stufe der menschlichen Tätigkeit erhalten sie weitere Bestimmungen.
Kleiner Exkurs
Um Missverständnissen nach Möglichkeit vorzubeugen, sei noch einmal auf den Umstand hingewiesen, dass ich nur die allgemeinen Bestimmungen der Tätigkeit (und deren Entwicklung) untersuche, also die allgemeinen Bestimmungen der Elemente „Gegenstand“ und „Subjekt“ in ihrer Beziehung zueinander. Dass diese Beziehungen beispielsweise auch psychische und andere Bestimmungen besitzen und dass diese auch von Bedeutung für deren Entwicklung sind steht außer Frage, ist aber nicht mein Thema. Auch die Definition der Phasen der tierischen Tätigkeit erfolgte ohne Bezug auf die psychische Widerspiegelung. Die Definition der wesentlichen Begriffe wie „Bedürfnis“, „Motiv“ usw. erfolgte nur durch Bestimmung von Beziehungen zwischen den konstituierenden Elementen der Tätigkeit. Durch Herstellung der Bezüge zu weiteren Bestimmungen der Tätigkeit wie psychischer Widerspiegelung oder Regulation kann eine gegenstandsadäquate Bestimmung der jeweiligen Einzelwissenschaft erfolgen. Dadurch erhielten diese Begriffe den dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand adäquaten Inhalt, beispielsweise „psychisches Subjekt“, „Erkenntnissubjekt“, „Künstlerisches Subjekt“ usw.. Gegenwärtig benutzt jede dieser Einzelwissenschaften den Ausdruck „Subjekt“ zur Bezeichnung des Subjektes schlechthin. Damit aber wird weder das Allgemeine noch das Spezifische richtig erfasst. Es ist nicht nur ein Spiel mit Worten, wenn beispielsweise gesagt wird, dass der Gegenstand die Tätigkeit auslöst und nicht etwa sein Anblick oder sein Geruch. Natürlich muss der Gegenstand irgendwie widergespiegelt werden, wenn er eine Tätigkeit auslösen soll. Bei der Untersuchung der allgemeinen Bestimmungen der Tätigkeit kann die Kette der Ereignisse nicht von vornherein auf einen bestimmten Ausschnitt verengt werden. Das geschieht in den Einzelwissenschaften. |
Das Leben der menschlichen wie nichtmenschlichen Primaten ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in sozialen Verbänden zusammenleben, in denen komplizierte soziale Beziehungen bestehen. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass jede Tätigkeit von anderen Angehörigen des Verbandes beobachtet und imitiert (nachgeahmt) werden kann. Das führt zu den vielfach beobachteten Tradierungsprozessen in nichtmenschlichen Primatenverbänden. In den vor allem in den letzten 20 Jahren durchgeführten Freilanduntersuchungen wurden sehr komplexe soziale Beziehungen und komplizierte Verhaltensweisen festgestellt. Das führt dazu, dass nicht mehr nur die Beziehungen zwischen den Gegenständen und Dingen, sondern auch die Beziehungen dieser zu den individuellen Subjekten eines Verbandes in die Tätigkeit einbezogen werden können. Der nächste Schritt in der Entwicklung des Begriffs der Tätigkeit erfasst eine neue Bestimmung des Subjekt-Begriffs. Dieser erfolgt, wenn auch der Gegenstand dem Subjekt unter neuen Bedingungen gegeben ist.
Dazu
entwickeln wir die in Abbildung 3 dargestellt Aufgabe so weiter, wie es in
Abbildung 6 gezeigt wird. Der Boden des Käfigs wird so geneigt, dass die
Frucht nicht auf der Gitterseite liegen bleibt, sondern wieder zurück
rutscht (Abbildung 6). Die Bedingungen, unter denen der Gegenstand nun
gegeben ist, erfordern die gleichzeitige
Durchführung zweier Operationen. Der Gegenstand muss zum Spaltgeschoben
werden und dort festgehalten solange werden, bis er aus der Kiste genommen
wird. Diese Aufgabe ist nur arbeitsteilig von mindestens zwei Individuen
zu lösen, welche die erforderlichen Operationen gleichzeitig durchführen.
Eines schiebt die Frucht zum Spalt und hält sie so lange, bis das andere
die Frucht an sich genommen hat. Ein solches Vorgehen macht natürlich nur
Sinn, wenn die Frucht anschließend geteilt und gemeinsam verzehrt wird.
Das mit dem Gegenstand gegebene objektive Erfordernis der gleichzeitigen
Durchführung mehrerer Operationen führt bei sozial organisierten
Lebewesen zu einer neuen Form der Tätigkeit.
Abbildung 6 : Nur arbeitsteilig-kooperativ lösbare Aufgabe
Welche Struktur hat nun diese Form der Tätigkeit?
Die beteiligten Individuen haben das gleiche Bedürfnis und identifizieren ihr identisches Bedürfnis mit dem gleichen ausgezeichneten Gegenstand. Sie sind also als Subjekte identisch, Subjekte desselben ausgezeichneten Gegenstandes. Wenn dieser Gegenstand „klein“ ist, d.h. wenn nur ein Subjekt sein Bedürfnis befriedigen kann und die anderen leer ausgehen, dann werden identische Subjekte zu Antagonisten[vii]. Solche Nahrungskonkurrenz in nichtmenschlichen Primatengruppen werden beispielsweise von de Waal[viii] beschrieben.
Wenn der Gegenstand dagegen hinreichend groß ist, so dass alle Subjekte ihr Bedürfnis befriedigen können, dann können sie die Identität ihrer Bedürfnisse als gemeinsames Bedürfnis identifizieren. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn sie in gut organisierten sozialen Verbänden leben. Auch Vorgänge der Verteilung von Nahrung zwischen Individuen in nichtmenschlichen Primatengruppen z.B. von de Waal beschrieben worden.
Diese
Tätigkeitsform ist durch eine spezifische Gestaltung der Vorbereitungsphase
charakterisiert. Die die Tätigkeit bildenden Operationen werden von
verschiedenen Individuen und gleichzeitig durchgeführt. So
entsteht ein kollektives Subjekt , dessen Mitglieder arbeitsteilig-kooperativ tätig
werden. Die gelegentlich beobachtete gemeinsame Jagd von Schimpansengruppen könnte
eine ursprüngliche Erscheinungsform dieser Tätigkeit sein. Die mir dazu
bekannte Literatur lässt eine exakte Bewertung der mitgeteilten Beobachtungen
unter diesem Aspekt nicht zu.
Das wesentliche Merkmal dieser individuellen Aktionen besteht darin, dass keine allein unmittelbar in die Vollzugsphase übergehen kann, wie das bei der Zweiphasentätigkeit der Fall ist. Solche individuellen Aktionen nennt Leontjew „Handlungen“[ix].
Zwei Individuen kontaktieren eine Entität. | |
Jedes Individuum identifiziert die Entität als Gegenstand seines Bedürfnisses. Sie sind dadurch als Subjekte identisch. | |
Abbildung 7 : Assoziation |
Sie identifizieren ihre identischen Bedürfnisse zum gemeinsamen Bedürfnis und bilden ein neues kollektives Subjekt. |
Das einzelne Individuen führt also Handlungen, d.h. Operationen einer Tätigkeit aus, deren Subjekt es nicht ist. Das Subjekt der Tätigkeit, deren Operationen die individuellen Handlungen sind, entsteht dadurch, dass die identischen Bedürfnisse der verschiedenen Individuen auch zu einem gemeinsamen Bedürfnis identifiziert werden. Diesen Vorgang nenne ich „Assoziation“.
Von verschiedenen Autoren werden sogenannte „Koalitionen“ von Individuen in nichtmenschlichen Primatengruppen beschrieben. Diese werden innerhalb dieser Gruppen zum Zwecke von Rangordnungskämpfen gebildet. Sie könnten als Vorformen von Assoziationen betrachtet werden. Die vorliegenden Beobachtungen lassen nicht den Schluss zu, dass es bei diesen Koalitionen zur Bildung von gemeinsamen Bedürfnissen kommt. Mir erscheint die Annahme wahrscheinlicher, dass sich die Koalitionäre gegenseitig als Werkzeuge benutzen. Dafür spricht auch der beobachtete schnelle und opportunistische Wechsel der Koalitionspartner.
Erst
das kollektive Subjekt ermöglicht die beschriebene neue Struktur der Tätigkeit.
In der Vorbereitungsphase werden die Operationen auf die einzelnen sozialen
Individuen aufgeteilt. Bevor jedoch die Vollzugsphase einsetzen kann, muss der
Gegenstand auf die einzelnen Individuen aufgeteilt werden. Die Tätigkeit des
kollektiven Subjekts wird also zwischen Vorbereitungsphase und Vollzugsphase
unterbrochen. Zwischen Vorbereitungsphase und Vollzugsphase schiebt sich nun
eine neue Phase, die „Verteilung“.
Diese Tätigkeit Vollzugsphase. Deshalb nenne ich die beschriebene
Tätigkeit eines kollektiven Subjekts „Dreiphasentätigkeit“.
Abbildung 8 : Struktur der Dreiphasentätigkeit
Durch die Assoziation entsteht ein qualitativ neues Subjekt, das kollektive Subjekt von als Subjekten identischer Individuen. Das Subjekt der einzelnen Handlungen ist also die Gesellschaft, deren Mitglieder die einzelnen Individuen durch die Assoziation geworden sind. Genau das durch Identifikation identischer Bedürfnisse entstandene kollektive Subjekt soll in hier „Gesellschaft“ genannt werden[x]. Keine andere Gemeinschaft menschlicher oder nichtmenschlicher Individuen ist eine Gesellschaft im Sinne dieser Theorie. Es wird gezeigt werden, dass diese Festlegung mit einem weit verbreiteten Sprachgebrauch kompatibel ist.
Da es mir um die Ausarbeitung einer Theorie
geht, ist die Verwendung des Ausdrucks „Identität“ (und dessen Ableitungen)
nicht metaphorisch gemeint, sondern es ist die in der Logik definierte
Identitätsrelation gemeint. Da der Begriff des Subjekts der Tätigkeit in bezug
auf den Gegenstand seines Bedürfnisses definiert ist, sind alle Individuen, die
ihr Bedürfnis in einem (identisch einen) Gegenstand identifizieren, als
Subjekte identisch, auch wenn sie als Individuen verschieden bleiben.
Theoretisch besonders bedeutsam ist aber der
Umstand, dass sich die Gesellschaft als Subjekt über den gleichen Gegenstand
identifiziert wie die sie bildenden individuellen Subjekte. Daraus folgt, dass das
gesellschaftliche Subjekt und die in diesem assoziierten individuellen Subjekte
ebenfalls identisch sind. Entitäten dieser Art werden in der Logik als
Repräsentanten bezeichnet. Die Kennzeichnung der individuellen Subjekte als
Repräsentanten der Gesellschaft ist auf der Ebene der Theorie wiederum nicht
als Metapher zu interpretieren, sondern als Relation im Sinne der
Prädikatenlogik. Da sich jedes gesellschaftliche Subjekt durch Identifikation
ihrer Mitglieder konstituiert, sind die einzelnen Mitglieder als Subjekte
äquivalent, die zwischen ihnen bestehende Relation ist die Äquivalenzrelation[xi].
Jedes einzelne Mitglied repräsentiert als Subjekt das gesellschaftliche Subjekt
in gleicher Weise, steht in gleicher Weise für die Gesellschaft.
Für die theoretische Analyse ist es unerheblich, ob die in ihren Begriffen abgebildeten Individuen Menschen, Menschenaffen oder andere Lebewesen sind. Nur durch empirische Untersuchungen kann geklärt werden, welche Lebewesen über die Fähigkeit verfügen, gesellschaftliche Subjekte zu bilden.
Ursprüngliche Formen der Dreiphasentätigkeit sind zumindest in Ansätzen bei nichtmenschlichen Primaten und anderen in Gruppen lebenden Säugetieren wie beispielsweise Wölfen zu beobachten. Der hier vorgelegte Begriffsapparat könnte dazu anregen, vorhandene Beobachtungen und experimentelle Befunde neu zu interpretieren und neue Experimente anzuregen.
Von Bedeutung ist die exakte begriffliche Widerspiegelung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft als Identitätsrelation. Das Individuum ist nicht Teil der Gesellschaft, die Gesellschaft ist nicht Umwelt des Individuums sondern das (soziale) Individuum ist die Gesellschaft.
Die Idee der Identität von Individuum und Gesellschaft ist an sich nicht neu, man findet sie bereits bei Marx: „Es ist vor allem zu vermeiden, die ‚Gesellschaft’ wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung – erscheine sie auch nicht in der unmittelbaren Form einer gemeinschaftlichen, mit anderen zugleich vollbrachten Lebensäußerung – ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens. Das individuelle und das Gattungsleben des Menschen sind nicht verschieden, so sehr auch – und dies notwendig - die Daseinsweise des individuellen Lebens eine mehr besondre oder allgemeine Weise des Gattungslebens ist, oder je mehr das Gattungsleben ein mehr besondres oder allgemeines individuelles Leben ist.“[xii]
Neu ist die Idee, diesen Gedanken zur Ausgangsabstraktion für eine Theorie des Menschen zu machen. Es wird gezeigt werden, dass mit der Entdeckung der Identität von Gesellschaft und Individuum ein theoretisches Werkzeug geschaffen wurde, mit dem die Lösung einer Vielzahl auch aktuell diskutierter Probleme auf neue Weise angegangen werden kann.
Der Begriff des sozialen Individuums
spiegelt auf dem bisher ausgearbeiteten Stand den Gegenstand in seiner
abstrakten, ursprünglichen Form wider, seine allgemeinen, allen Elementen
gemeinen Bestimmungen. Damit erweist sich dieser Begriff als theoretisches
Bindeglied zwischen Mensch und Tier.
Assoziation kann theoretisch auch in
nichtmenschlichen Gruppen stattfinden. Damit ist ein neuer Ansatz für die
Theorie der Menschwerdung gefunden. Soziales Verhalten kann auch in
nichtmenschlichen Primatengruppen entstehen. Die Mitglieder der so entstehenden
menschlichen Gesellschaft blieben zunächst biologisch Affen. Die
Vergesellschaftung der Tätigkeit verändert jedoch die Auslesebedingungen für
diese Primaten und auch die biologische Menschwerdung konnte einsetzen. So
schafft die menschliche Gesellschaft auch die biologisch menschlichen
Individuen.
Die weitere Entwicklung der
Ausgangsabstraktion muss ebenso wie ihre Ableitung aus vormenschlichen
Verhaltensweisen die historische Entwicklung des sozialen Individuums
widerspiegeln, indem die historische Entwicklung seiner Bestimmungsstücke
dargestellt werden. Einige Andeutungen auf diese Schritte müssen zunächst genügen.
Die Dreiphasentätigkeit entwickelt sich, indem ihre Struktur immer komplexer wird. Ursprünglich ist die Daseinsweise des Individuums als soziales Individuum zeitweilig, auf die Zeitdauer einer Dreiphasentätigkeit beschränkt. Danach existiert es wieder als isoliertes Individuum. Im Verlaufe der Entwicklung verlängert sich jedoch die Zeit, während der das Individuum als soziales existiert. Dadurch verändert sich auch die Dreiphasentätigkeit selbst. Für diese Dauer ist Größe des Gegenstandes ist von Bedeutung. Je größer der Gegenstand ist, desto länger dauert die Vollzugsphase, in welcher der Gegenstand verzehrt wird. Bei einem Mammut oder einer über einen Steilhang gestürzten Herde können das viele Tage sein. Dadurch bleibt aber auch das gesellschaftliche Subjekt dieser Tätigkeit länger erhalten.
Dadurch verändert sich die Vollzugsphase. Sie erfolgt für einen längeren Zeitraum und wiederholt ohne Vorbereitungsphase. So nimmt sie den Charakter einer eigenständigen Tätigkeit an, deren Elemente nun wieder durch spezifische Merkmale ausgezeichnet sind. Ihr Gegenstand ist der gesellschaftliche Gegenstand, der zunächst bei der Assoziation als identischer Gegenstand identifiziert wurde und als Resultat der Vorbereitungsphase entstand. Ich nenne diesen Gegenstand „Produkt“ und die als eigenständige Tätigkeit ausgeführte Vollzugsphase „Genuss“. Ihre Struktur kann die der einfachen Tätigkeit (einfaches Abbeißen), der gegliederten Tätigkeit, in der Werkzeuge beispielsweise bei der Zerlegung der Beute eingesetzt werden oder die der Zweiphasentätigkeit sein, in der die abgetrennten Teile bearbeitet werden, z.B. gereinigt oder gebraten. Im Genuss ist das Produkt sowohl Gegenstand als auch Motiv, Gegenstand und Motiv sind identisch. Die qualitative Besonderheit des Genusses ist der Umstand, dass das Subjekt das soziale Individuum ist und dass Gegenstand und Motiv des Genusses Resultat der gesellschaftlichen Tätigkeit sind. Genuss ist setzt Assoziation voraus und ist eine soziale Tätigkeit.
Wenn dagegen ein Mitglied der Primatengemeinschaft am Produkt partizipiert, das nicht assoziiertes Mitglied der Gesellschaft ist, dann ist dieses dasisolierte Individuum und seine Tätigkeit isolierte Tätigkeit.
Bei dauerhaft in einer assoziierten Gesellschaft lebenden Individuen wird schließlich das Produkt selbst zu einem neuen Bedürfnis, d.h. zu einem Gegenstand, dessen das soziale Individuum bedarf. Das Individuum kann nur solange als soziales Individuum existieren, solange es Produkte gibt, die sein Bedürfnis befriedigen. Wenn es diese nicht gibt, kann es sich als soziales Individuum nur erhalten, indem es neue Produkte herstellt. Anderenfalls hört es auf, als soziales Individuum zu existieren und lebt ggf. nur als isoliertes Individuum weiter. So gewinnt auch die Vorbereitungsphase einen eigenständigen Charakter, sie wird „Arbeit“.
In ihrer einfachen Form kann sie wie die Handlung noch kein Produkt erzeugen und auch kein Bedürfnis befriedigen. Zur individuellen Arbeit wird sie, wenn das einzelne soziale Individuum ein fertiges, genießbares Produkt erzeugen beispielsweise allein jagen kann. Individuelle Arbeit wird differenzierte Arbeit, wenn Teilprozesse der individuellen Arbeit eigenständig werden, wenn also Werkzeugherstellung und Werkzeugverwendung von verschiedenen Individuen ausgeübt werden. Diese Tätigkeit geht in die Warenerzeugung über, wenn die Verteilung durch Austausch erfolgt. Individuelle Arbeit wird kollektive Arbeit, wenn das Produkt von einer Gruppe von Individuen hergestellt wird, beispielsweise in der Manufaktur. – Als Ausblick mag dies genügen.
Mit der Definition des sozialen Individuums
ist ein klar definierter Begriff der „sozialen Gleichheit“ ableitbar.
Soziale Gleichheit ist die Folge der in der Assoziation für eine Tätigkeit des
gesellschaftlichen Subjekts erfolgte Identifikation der Individuellen
Bedürfnisse. Die soziale Gleichheit wird also in der Befriedigung der
individuellen Bedürfnisse realisiert, jeder erhält durch die Verteilung nach
seinem der Assoziation zugrunde gelegten Bedürfnis. Aus dieser ursprünglichen
Form der sozialen Gleichheit sind dann ihre historisch entstandenen
unterschiedlichen Formen (Gleichheit vor Gott, Gleichheit vor dem Gesetz usw.)
abzuleiten.
Auf dieser Grundlage ist auch der Begriff der „sozialen Individualität“ zu definieren. Die Operationen der Vorbereitungsphase der Gesellschaft als Subjekt sind die einzelnen Handlungen der Repräsentanten. Jeder Repräsentant vollzieht innerhalb der arbeitsteilig-kooperativen Tätigkeit der Gesellschaft eine andere Handlung. Diese soziale Individualität gewinnt das soziale Individuum nur in der Gesellschaft. Sie ist zu unterscheiden von der biologischen Individualität, die durch Vererbung und Ontogenese begründet ist. Sie kann Grundlage der sozialen Individualität werden, indem sie das Individuum für eine spezielle Handlung besonders geeignet macht. Der wirkliche Ursprung der sozialen Individualität aber ist die Art und Weise der Einbeziehung des Individuums in die Tätigkeit der Gesellschaft und beruht auf der sozialen Gleichheit. Ohne soziale Gleichheit gibt es auch keine soziale Individualität. – Als Ausblick mag dies hier genügen.
Diese Tätigkeit des sozialen Individuums
entfaltet sich im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung durch Entwicklung
neuer Bedürfnisse.
Das Nahrungsbedürfnis differenziert sich
hinsichtlich der auszuzeichnenden Gegenstände, beispielweise
·
Mammutjäger
·
Rentierjäger
·
Reissammler (Reisernter)
·
Ahornsaftgewinner
Die so entstehende Vielfalt der bereits in
der Urgesellschaft erzeugten Produkte bringt den Austausch zwischen den
Gesellschaften hervor. Dadurch gewinnt das Produkt eine neue Bestimmung: es erhält
zu dem ursprünglichen Gebrauchswert auch einen Tauschwert.
Aus der Entwicklung weiterer Bedürfnisse
folgt die Ausdifferenzierung verschiedener Tätigkeitsarten, beispielweise
·
Die Erkenntnistätigkeit befriedigt das
Informationsbedürfnis.
·
Die politische Tätigkeit befriedigt das Bedürfnis
nach der Erhaltung der Gesellschaft als aktuelles kollektives Subjekt.
·
Die pädagogische Tätigkeit befriedigt das
Bedürfnis der Gesellschaft nach ihrer Erhaltung in der Zeit.
·
Die künstlerische Tätigkeit befriedigt die
ästhetischen Bedürfnisse.
Als Andeutung auf Späteres soll dies
genügen.
[i] Nicht in allen Bereichen folgt meine Terminologie der Leontjew´s, da sie einen anderen Zweck verfolgt. Außerdem kann ich nicht beurteilen, inwieweit manche der terminologische Unsauberkeiten der deutschen Übersetzung anzulasten sind.
[ii] Die folgenden Darlegungen sind am Ansatz Leontjew´s orientiert, folgen jedoch einer anderen Logik und beschränken sich nicht auf Leontjew´s Gedanken.
[iii] Marx/Engels,: Werke Bd. 20, Berlin 1973. Seite 76.
[iv] Leontjew, A.H.: Probleme der Entwicklung des Psychischen. Berlin 1964. S. 26.
[v]
Nach Leontjew, A.N.: A,o.O., S. 135 ff.
[vi] Aus Leontjew, A.N.: A.a.O. S. 151
[vii] Irgendwo habe gelesen, dass in einer ähnlichen Situation der zweite Menschenaffe die an sich Frucht genommen hat, mit ihr davongelaufen ist und sie allein verzehrt hat.
[viii] De Waal, Frans (1993): Wilde Diplomaten, München
[ix] Leontjew, A.N.: a.a.O. S.168
[x] Diese Festlegung gilt natürlich nur innerhalb der hier zu entwickelnden Theorie des Menschen. Natürlich wird beispielweise in der Pflanzensoziologie weiter von Pflanzengesellschaften die Rede sein können. Es muss nur beachtet werden, dass keine der in anderen Zusammenhängen entwickelten Bestimmungen von Gesellschaften auf den hier definierten Begriff übertragen werden können. Sonst ist keine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion möglich.
[xi] Eine Relation R heißt reflexiv, wenn jedes Element sich selbst zugeordnet ist, d. h., wenn das Paar (x, x) für beliebiges x zu R gehört. Sie ist symmetrisch, wenn mit (x, y) auch (y, x) zu R gehört. Sie ist transitiv, wenn mit (x, y) und (y, z) auch (x, z) zu R gehört. Eine reflexive, symmetrische und transitive Relation heißt Äquivalenzrelation, z. B. Identität x = y, Kongruenz, Ähnlichkeit. Alle durch eine Äquivalenzrelation verbundenen Elemente bilden eine Äquivalenzklasse. Jedes einzelne Element dieser Klasse ist deren Repräsentant.
[xii] Marx, K..: Zur Kritik der Nationalökonomie. In Marx, K. und Engels F..: Kleine ökonomische Schriften. Berlin 1955, S 130
© Dr. G.
Litsche 2001
Letzte Bearbeitung:
01.06.2011