Der Begriff der menschlichen Tätigkeit
Ausgangsabstraktion

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Ausgangsabstraktion
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Inhalt

Zum Tätigkeitsbegriff
Der Ansatz Leontjew´s
Die ursprüngliche Tätigkeit
Resümee: Allgemeine Bestimmungen der Tätigkei
Entwicklungsstadien der tierischen Tätigkeit
    Die einfache Tätigkeit
    Die gegliederte Tätigkeit
   
Die Zweiphasentätigkeit
    Resümee: Die Entwicklung der tierischen Tätigkeit
   
Kleiner Exkurs
    Der Begriff der ursprünglichen sozialen Tätigkeit
    Die Dreiphasentätigkeit
Die Ausgangsabstraktion: Der theoretische Begriff des sozialen Individuums
    Ausblick
    Arbeit – Verteilung - Genuss
    Bestimmungen des sozialen Individuums
    Neue Bedürfnisse  


 

Einführung

Die Entstehung des Menschen im Verlaufe der Evolution vorausgesetzt, muss die Ausgangsabstraktion für die Entwicklung einer Theorie des Menschen die Entwicklung des Menschen aus seinen Vorfahren widerspiegeln, denn womit die Entwicklung anfängt, damit muss auch die Theorie anfangen.

Dem Sozialparadigma entsprechend muss die Ausgangsabstraktion die Frage beantworten, wie Individuen, die einer Affengemeinschaft angehören, zu Mitgliedern einer menschlichen Gesellschaft, zu sozialen Individuen werden. Der Begriff des sozialen Individuums muss also a priori, per definitionem als Kollektivum (wie beispielweise „Gebirge“) angelegt werden, das nicht als Einzelding und nicht ohne Gesellschaft gedacht werden kann. Es sind also immer mehrere soziale Individuen, die eine Gesellschaft bilden. Das erscheint nur dann als Tautologie, wenn man nicht beachtet, das keine Anzahl isolierter Individuen als Gesellschaft gedacht werden können.

Es liegt auf der Hand, dass es nicht anatomische Merkmale sind, die den Begriff des sozialen Individuums ausmachen. Es sind Verhaltensmerkmale, die das isolierte, nichtmenschliche Individuum zum sozialen machen. Die Ausgangsabstraktion muss also die Entwicklung der spezifischen Verhaltensmerkmale des sozialen Individuums darstellen. Dabei stütze ich mich auf die Arbeiten Leontjew´s. Er analysiert die Entwicklung des tierischen Verhaltens als Psychologe und entwickelt den Ansatz für eine Theorie, die das Entstehen der menschlichen Psyche (des menschlichen Bewusstseins) aus der Psyche der Tiere erklärt. In Bezug auf die Tätigkeit bleibt er jedoch im Ansatz stecken, so dass die Potenzen dieses Ansatzes von ihm nicht realisiert werden. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum seine Arbeit so wenig rezipiert wurde. Hinzu kommt, dass die Ethologen nicht wohl nicht vermuten, dass ein Psychologe Beiträge zur Erkenntnis der Entwicklung der tierischen Psyche liefern könnte. Den Wissenschaftlern, die sich mit dem Menschen befassen, fehlte wiederum das erforderliche biologische Wissen, um die Bedeutung der Gedankengänge erkennen zu können. Zu den Wenigen, die Leontjew ernsthaft zur Kenntnis nahmen, gehörte die Kritische Psychologie um Holzkamp. Aber auch er geht als Psychologe vor und kann daher Leontjew ´s Ansatz auch nicht weiterentwickeln. Insbesondere sind für ihn die Leontjew´schen Kategorien „Tätigkeit“ und „Handlung“ keine tragenden Kategorien.

Wenn man Leontjew folgt, sind aber gerade diese Kategorien für alle Wissenschaften vom Menschen von grundlegender, d.h. den Grund legender Bedeutung. Deshalb sollen sie zunächst für sich, ohne einzelwissenschaftlichen Bezug ausgearbeitet werden.

Zum Tätigkeitsbegriff

Im allgemeinen wird in den Wissenschaften vom Menschen der Ausdruck „Tätigkeit“ ausschließlich zur Bezeichnung des spezifisch menschlichen Verhaltens benutzt, nicht-menschliches, speziell tierisches Verhalten wird nicht zum Inhalt dieser Kategorie gezählt. Diese Verwendung des Termins “Tätigkeit“ wird entweder überhaupt nicht begründet oder nur mit dem Hinweis darauf, dass damit der Umstand ausgedrückt werden soll, dass menschliche Tätigkeit eine neue, höhere Qualität als tierisches Verhalten aufweist. Die Frage nach dem Wesen dieser neuen Qualität bleibt in der Regel ungestellt oder unbeantwortet.

Demgegenüber wird in der Biologie der Ausdruck “Tätigkeit“ bedenkenlos, meist unreflektiert, und ebenso unbegründet zur Bezeichnung meist tierischer, manchmal aber auch pflanzlicher Lebensfunktionen benutzt. Speziell von der Ethologie wird dieser Terminus meist synonym mit Ausdrücken wie “Verhalten“ oder „Aktivität“ verwendet und auf Tiere beschränkt. Dabei wird in der Verhaltensbiologie nicht das Verhalten, nicht die Aktivität als Ganzes, als Totalität betrachtet, sondern nur unter einem bestimmten Aspekt untersucht. Verbreitet ist die Definition des Verhaltens als Steuerung und Regelung der Umweltbeziehungen der Tiere. Verhalten wird so auf den informationellen Aspekt reduziert.

Meine Wissens macht nur Leontjew hiervon eine Ausnahme.

Wird der Ausdruck “Tätigkeit“ ausschließlich auf die spezifisch menschliche Daseinsweise angewendet, dann erübrigt sich die Frage nach ihrer Entstehung, denn sie entsteht mit dem Menschen. Mit der Beantwortung der Frage nach der Entstehung des Menschen ist auch die Frage der Entstehung (menschlicher) Tätigkeit beantwortet: sie ist eben da. Ganz abgesehen von der methodischen Fragwürdigkeit dieses Vorgehens an sich erscheint auf diese Weise die menschliche Tätigkeit aus dem Nichts heraus als geschichtslose Entität. An diesem Sachverhalt ist auch nichts geändert, wenn die evolutionäre Entstehung einzelner Seiten des Menschseins etwa des Skeletts oder der Psyche mehr oder minder ausführlich beschrieben wird. Erklärt ist damit nichts. Da aber die Kritik an diesen Verhältnissen solange nur meist unverständliche Klage bleibt, wie ein anderer Standpunkt nicht positiv dargestellt ist, wird vorerst auf weitere Kritik verzichtet.

Die Frage nach den gemeinsamen Merkmalen tierischen Verhaltens und menschlicher Tätigkeit ist nicht zufällig Gegenstand vielfältiger empirischer Untersuchungen von Biologen, speziell Ethologen und Psychologen. Freilandbeobachtungen an Affen haben hierbei tierische Verhaltensweisen an den Tag gebracht, die früher für bereits spezifisch menschlich gehalten wurden. Das trifft sowohl auf Formen des Sozialverhaltens als vor allem auf Formen des Lernens und der Traditionsbildung in Affenhorden zu. Das Problem der Untersuchung der Entstehung menschlicher Tätigkeit aus tierischem Verhalten besteht jedoch darin, dass sich jegliche menschlichen Verhaltensformen in statu nascendi einer Beobachtung oder einem Experiment prinzipiell entziehen, die Abstraktionskraft muss beides ersetzen,

Dieses Problem ist zutiefst methodologischer Natur, das aus der mangelhaften Bewältigung des Verhältnisses von empirischer und theoretischer Abbildung der Realität begründet liegt. Die auf den informationellen Aspekt eingeschränkten theoretischen Modelle der Verhaltensbiologie (wie AAM und EAM oder der Instinktbegriff) bestimmen nicht nur die Fragestellungen und Methoden empirischer und experimenteller Forschung, sie bestimmen auch die „theoretische Interpretation“ der gewonnenen empirischen Daten. Ein solches Vorgehen ermöglicht es nur, empirische Daten im Rahmen des vorgegebenen theoretischen Modells zu gewinnen. Das theoretische Konzept verhindert die Gewinnung von Daten ( deren vorsätzliche “Produktion“), die neue Modelle ermöglichen oder erfordern.  

 

Der Ansatz Leontjew´s

Leontjew geht anders vor. Er entwickelt den Begriff der Tätigkeit aus dem Begriff der allgemeinen Wechselwirkung und erfasst so die Tätigkeit als Ganzes, als Totalität, so wie sie historisch mit der Entstehung des Lebens entstanden ist. Er untersucht dann die Entwicklung der Tätigkeit der Tiere im Verlaufe der Evolution. Das ermöglicht es ihm, qualitativ unterschiedene Formen der Tätigkeit aufzudecken und schließlich zu zeigen, wie aus höchstentwickelten Formen tierischer Tätigkeit, der Tätigkeit der Primaten, ihre spezifische menschliche Form entsteht: die Handlung. Abbildung 1 stellt diese Fassung der Kategorien schematisch dar.

Abbildung 1 : Tätigkeit bei Leontjew

Nachfolgend sollen seine Gedanken referiert[i] werden, da sie auch in der Theorie des Menschen eine zentrale Bedeutung haben[ii]. Allerdings wird hier nicht der Aspekt der Entwicklung der Psyche verfolgt, sondern der Aspekt der Entwicklung der Elemente und der Struktur der Tätigkeit.

Leontjew analysiert nur die Entwicklung derjenigen Tätigkeit, die das Nahrungsbedürfnis der Organismen befriedigt. Dieses dürfte auch das ursprüngliche Bedürfnis sein, das am Anfang der Entwicklung stand. Die Tätigkeit entfaltete sich, indem neue Bedürfnisse entstanden wie beispielsweise das Raumbedürfnis, das Bedürfnis nach dem Fortpflanzungspartner oder das Informationsbedürfnis. Die Tätigkeit entwickelte sich, indem sich ihre Struktur durch neue Elemente aufgliederte.

Die ursprüngliche Tätigkeit

Tätigkeit ist eine besondere Form der allgemein Wechselwirkung aller Dinge und Erscheinungen der Realität. Sie ist die an das Auftreten lebender Materie gebunden. Deshalb werden zuerst die allgemeinen Bestimmungen der Tätigkeit in ihrer ursprünglichen Form abgeleitet. Danach wird dargestellt, wie sich diese Bestimmungen im Verlaufe der Entwicklung verändern.

Engels charakterisiert die ursprüngliche Form der Tätigkeit mit folgenden Worten: „Andere, nicht lebende Körper verändern, zersetzen oder kombinieren sich auch im Lauf der natürlichen Dinge; aber dabei hören sie auf, das zu sein, was sie waren. Der Fels, der verwittert, ist kein Fels mehr, das Metall, das oxydiert, geht in Rost über. Aber was bei toten Körpern Ursache des Untergangs, das ist beim Eiweiß Grundbedingung der Existenz“[iii].

Die Besonderheit einer Wechselwirkung von der Art der Tätigkeit besteht darin, dass nur die eine der wirkenden Erscheinungen im Verlaufe der Wechselwirkung zerstört, in seiner Identität mit sich selbst negiert wird, während die andere sich gerade dadurch in ihrer Identität mit sich selbst erhält. Die an dieser Wechselwirkung beteiligten Partner sind also nicht mehr gleichwertig, Es können Gegenstand und Subjekt unterschieden werden. Leontjew stellt das so dar: „Der Übergang von den Formen der Wechselwirkung, die der anorganischen Welt eigen sind, zu Formen, wie sie für die lebende Materie typisch sind, findet seinen Ausdruck in der Tatsache, dass einerseits ein Subjekt und andererseits ein Objekt der Einwirkung hervorgehoben werden kann.“[iv]  Das Subjekt entsteht also nur in einer spezifischen Art der Wechselwirkung zwischen zwei Dingen der Realität, von denen das eine zum Subjekt, das andere zum Gegenstand  wird. Für diesen Zusammenhang benutzt Leontjew den Ausdruck „Gegenstand“. Ein Gegenstand ist ein Objekt der Realität, zu dem ein Subjekt in tätige Beziehung getreten ist, das es zum Gegenstand seiner Tätigkeit, zu seinem Gegenstand gemacht hat. In dieser Bedeutung wird der Ausdruck „Gegenstand“ nachfolgend verwendet. Es geht also um die Verwandlung des „Dinges an sich“ in das „Ding für es“, das Subjekt. Leontjew verwendet die Ausdrücke „Objekt“ und „Gegenstand“ vielfach synonym. Ich werde das Wort „Gegenstand“ nur zur Bezeichnung des Gliedes der Tätigkeit verwenden. Der Terminus „Objekt“ wird allgemeiner verwendet, etwa im Sinne von „Ding“.

Subjekt und Gegenstand treten also stets gleichzeitig und in unmittelbarem Zusammenhang auf, sie können deshalb auch nur in ihrer Beziehung aufeinander begrifflich widergespiegelt werden. Das Subjekt ist stets das Subjekt eines Gegenstandes, ohne die Angabe des letzteren kann ein Ding nicht als Subjekt erfasst werden, das Wesen des Subjekts wird also durch dessen Gegenstand bestimmt.

Zugleich werden durch die Tätigkeit des Subjekts aus der Gesamtheit der Dinge und Erscheinungen der Realität solche herausgehoben, die zum Gegenstand der Tätigkeit eines Subjekts werden.

In diesem Sinne gilt die Aussage, dass Gegenstand und Subjekt in der Tätigkeit nur gleichzeitig oder überhaupt nicht vorkommen. Ein Objekt wird Gegenstand nur, indem das Subjekt zu ihm in tätige Beziehung tritt; ohne diese Beziehung ist das Objekt (das natürlich  auch außerhalb dieser Beziehung existiert) nicht Gegenstand. Zwei Erscheinungen werden einander Subjekt und Gegenstand nur in der Tätigkeit.

Die Tätigkeit ist die Daseinsweise des Subjekts, seine spezifische Bewegungsform. Nur in der Tätigkeit realisiert sich das Subjekt als solches. Eine Wechselwirkung wird zur aktiven Tätigkeit des Subjekts dadurch, dass im Ergebnis der Wechselwirkung Eigenschaften oder Teile des Gegenstandes (Substanz, Energie) auf das Subjekt übertragen werden. Dadurch wird das Subjekt zur aktiven  Komponente der Wechselwirkung, eben zum Subjekt der Tätigkeit. Die Eigenschaften eines lebenden Gebildes enthalten die Möglichkeit, in der Wechselwirkung mit manchen Erscheinungen der Realität nicht zerstört zu werden, sondern die eigene Existenz durch Zerstörung des Gegenstandes zu erhalten. Erst dadurch wird die Wechselwirkung zur Tätigkeit des Subjekts, das aus der Wechselwirkung unzerstört hervorgeht.

Um eine Tätigkeit entstehen zu lassen ist es notwendig, dass das Subjekt aus der Vielzahl der in der Umgebung vorhandenen Objekte mit solchen zusammentrifft, die eine Wechselwirkung von der Qualität der Tätigkeit ermöglicht. Erst dann kann das Subjekt so auf den Gegenstand einwirken, dass dieses sich durch die Tätigkeit erhält. Ein Objekt, dessen Einwirkung auf das Subjekt dieses nicht erhalten, sondern zerstören würde, macht eine Wechselwirkung von der Qualität der Tätigkeit unmöglich und kann nicht zum Gegenstand werden.

Das Lebewesen als Subjekt ist auf Einwirkungen der ersten Art angewiesen, ohne Einwirkungen durch Gegenstände und folglich ohne Tätigkeit geht es zugrunde. Das Subjekt bedarf also solcher Gegenstände, durch deren Einwirkung es sich erhält, es hat ein Bedürfnis nach diesen. Das Bedürfnis ist also eine objektive, reale Beziehung des Subjekts zu seinem Gegenstand. Ohne diese Beziehung ist eine Tätigkeit nicht möglich. Das Bedürfnis ist die eine Beziehung zweier Objekte, durch die das eine zum Subjekt, das andere zu dessen Gegenstand wird.

Die Entstehung lebender Erscheinungen, Subjekte, gliedert also die Gesamtheit aller Erscheinungen (Objekte) in solche, deren Einwirkungen das Subjekt erhalten und solche, deren Einwirkungen das Subjekt zerstören oder dem Subjekt gleichgültig gegenüberstehen. Nur Erscheinungen der ersten Art können zu  Gegenständen der Tätigkeit des Subjekts werden Das Bedürfnis ist durch den Gegenstand bestimmt, es ist immer Bedürfnis nach einem Gegenstand. Als Bedürfnis eines Subjekts konstituiert es sich nur durch den Gegenstand, ein gegenstandsloses Bedürfnis gibt es nicht.

Nachdem das Subjekt den Gegenstand des Bedürfnisses kontaktiert hat, verleiht dieser der Tätigkeit den Antrieb und ihre Ausrichtung: er wird zum Motiv der Tätigkeit. Das Motiv ist eine Bestimmung des Gegenstandes, die dieser vom Subjekt erhält, indem er als Gegenstand des Subjekts identifiziert wird.

Element

Merkmale

Subjekt

z.B. Einzellige Algen

Bedürfnis

Nahrungsbedürfnis

Gegenstand

Kontaktierter Gegenstand (nicht ausgeformt)

In die Tätigkeit einbezogene Gegenstandsbestimmungen

Keine (nur die Gegenstände selbst, Kohlendioxid, gelöste Nährstoffe usw.)

Tätigkeitsstruktur

Einfache Tätigkeit, Reaktionen auf primäre Reize auf dem Niveau der AAM

Antrieb (Motiv)

Kontaktierter Gegenstand

Tabelle 1 : Bestimmungen der ursprünglichen Tätigkeit

Aus den bisherigen Darlegungen folgt, dass das Subjekt einer spezifischen Tätigkeit nicht allein dadurch bestimmt werden kann, dass das tätige Individuum angegeben wird. Als Subjekt ist es durch den Gegenstand bestimmt. Da jedes Individuum zu mehr als einem Gegenstand in tätige Beziehung tritt, ist das gleiche Individuum mehrfach Subjekt, je nach dem jeweiligen Gegenstand, auf den es seine Tätigkeit richtet.

Andererseits kann ein Gegenstand für verschiedene Individuen in verschiedener Weise von Bedeutung sein, je nachdem, welche Eigenschaft des Gegenstandes das Bedürfnis des Individuums befriedigt und so zum Motiv wird..

In ihrer ursprünglichen Form entspricht dies der von Leontjew Tätigkeit auf dem Niveau der ursprünglichen Reizbarkeit. Hier soll sie „ursprüngliche Tätigkeit“ genannt werden. Die ursprüngliche Tätigkeit der ersten Organismen ist auf im Wasser gelöste Nährstoffe, auf Licht, die Schwerkraft usw. gerichtet. Ihre Gegenstände sind also nicht ausgeformt, sondern liegen in einer kontinuierlichen, wenn auch nicht immer in gleicher Konzentration und Stärke vor. Die Reize, auf welche die Organismen reagieren können, sind nur die biologisch bedeutsamen Eigenschaften der Gegenstände, so dass die Tätigkeit als einheitlicher Akt auf dem Niveau der AAM erfolgt.

Resümee: Allgemeine Bestimmungen der Tätigkeit

Fassen wir die bisher gewonnenen Ergebnisse der bisherigen Analyse der Tätigkeit zusammen:

Eine Erscheinung der Realität, eine Entität ist Subjekt genau dann, wenn sie ein Bedürfnis hat. Das Bedürfnis ist eine Beziehung des Subjekts zu einer anderen Erscheinung der Realität, dem Gegenstand.

Diese Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wechselwirkung zwischen beiden durch Zerstörung des Gegenstandes zur Erhaltung des Subjekts führt. Diese Form der Wechselwirkung ist die Tätigkeit. Das Bedürfnis resultiert aus dem Zustand des Subjekts und wird bestimmt durch den Gegenstand, dessen Zerstörung seine Erhaltung garantiert und so sein Bedürfnis befriedigt.

Ein Subjekt klassifiziert die Menge aller anderen Erscheinungen der Realität, der Objekte, Entitäten in solche, die sein Bedürfnis befriedigen und andere. Ein Objekt , das ein Bedürfnis des Subjekts befriedigten kann, hat für das Subjekt einen Sinn.

Das Bedürfnis bestimmt also die möglichen Gegenstände der Tätigkeit, im Motiv ist das Bedürfnis als tatsächlich einwirkender Gegenstand realisiert, konkretisiert, die reale Triebkraft einer konkreten Tätigkeit, die verwirklichte Möglichkeit.

Die Begriffe „Bedürfnis“ und „Motiv“, die üblicherweise nur in Bezug auf den Menschen benutzt werden und deren Definition meist nur das Niveau mehr oder weniger schwammiger Metaphern erreicht, erhalten hier einen exakt definierten Inhalt. Dieser Umstand wird auch nicht dadurch besser, dass die Metaphern der Sprache der Informationstechnologie entnommen werden. Nur in der Informationstechnologie sind sie exakt definiert. In der hier erfolgten Definition sind allgemeine Bestimmungen aller Tätigkeit und lassen sich für Tiere wie für Menschen sinnvoll interpretieren.

Entwicklungsstadien der tierischen Tätigkeit

Leontjew ist Psychologe und will die Frage nach der Entstehung der menschlichen Psyche beantworten. Er geht davon aus, dass die Entwicklung der Psyche an die Entwicklung der Tätigkeit gebunden ist und untersucht daher die Entwicklung der Tätigkeit als Bedingung der Entwicklung des Psychischen. Deshalb bezeichnet er die Etappen der Entwicklung auch durch die Art der psychischen Widerspiegelung, die der jeweiligen Tätigkeit entspricht. Das erschwert aber den Zugang zu eigentlichen Bestimmungen der Tätigkeit, die ja der psychischen Widerspiegelung zugrunde liegen. Mir geht es dagegen um die Entwicklung der Tätigkeit selbst. Der Aspekt der Entwicklung der Psyche ist für die Ableitung der Ausgangsabstraktion des sozialen Individuums zunächst weniger bedeutsam, deshalb wird nur die Entwicklung der Tätigkeit selbst dargestellt. Deshalb verwende ich eigene Ausdrücke, welche die Struktur der jeweiligen Tätigkeit kennzeichnen sollen.

In der Entwicklung der Psyche der Tiere unterscheidet Leontjew drei Stadien, denen bestimmte Tätigkeitsformen entsprechen:

Die „Einfache Tätigkeit“ Stadium der elementaren sensorischen Psyche,

die „Gegliederte Tätigkeit“ Stadium der perzeptiven Psyche und

die „Zweiphasentätigkeit“ entspricht dem Stadium des Intellekts.

Die einfache Tätigkeit

Während sich die ursprüngliche Tätigkeit ausschließlich unmittelbar vom Gegenstand selbst ausgelöst wir und sich direkt auf den Gegenstand richtet, wird die einfache Tätigkeit auch von an sich neutralen Eigenschaften des Gegenstands wie Geruch oder Geräusch ausgelöst und in der Tätigkeit mit dem Gegenstand verbunden. In der Tätigkeit erhalten auf diese Weise auch die Eigenschaften der Gegenstände einen Sinn. Er entsteht, indem das Subjekt eine zeitweilige Verbindung zwischen den neutralen Gegenstandseigenschaften und dem Gegenstand selbst herstellt.

Das ermöglicht es den Lebewesen auch, ausgeformte Objekte zum Gegenstand der Tätigkeit zu machen. Aus der Menge der möglichen Gegenstände (der Objekte, die für ein Subjekt einen Sinn haben) identifiziert das Subjekt über dessen Eigenschaften einen, der zum Gegenstand der Tätigkeit werden soll. Damit identifiziert es sich als Subjekt dieses Gegenstandes, als bestimmtes Subjekt. Leontjew benutzt hierfür auch den Ausdruck „Vergegenständlichung“: Ich nenne diesen Vorgang „Identifikation“, der als Gegenstand der Bedürfnisses identifizierte Gegenstand heißt „ausgezeichneter Gegenstand“. Die Verkürzung auf „Gegenstand“ wird nur dann vermieden, wenn der Kontext das erfordert.

Das Folgende mag als nicht ganz ernst gemeintes Beispiel der Veranschaulichung dienen, auch wenn Ihre Reaktionsmöglichkeiten auf die einer Amöbe reduziert wären: Auf einem Empfang werden Ihnen eine Platte mit verschiedenen Häppchen angeboten. Alle haben für Sie den gleichen Sinn, sie können Ihren Hunger stillen. Für eines entscheiden Sie sich, dieses identifizieren Sie als den Gegenstand ihres Bedürfnisses. Ihre Tätigkeit richtet sich nun auf das Ausgewählte und bestimmt deren Richtung und Verlauf. Es würde Sie zumindest stören, wenn ein anderer „ihr“ Häppchen nehmen würde.

Abbildung 2 : Experiment zur einfachen Tätigkeit[v]

Quer in ein Aquarium, in dem zwei junge Zwergwelse leben, wird ein Hindernis gestellt. Es besteht aus einem Rahmen, auf den weiße Gaze gespannt ist. Zwischen dem Rahmen und einer Wand des Gefäßes ist ein Durchgang freigelassen.

Sobald sich die Fische, die gewöhnlich beieinander bleiben, in einem und zwar stets dem gleichen Teil des Aquariums befinden, wird auf den Boden des anderen Teiles ein Stück Fleisch gelegt. Vom Geruch des Köders angelockt, suchen die Fische nahezu den Boden auf und schwimmen direkt auf das Fleisch zu. Dabei stoßen sie auf das Hindernis. Wenige Millimeter davon stoppen sie ihre Bewegungen und scheinen den Rahmen zu betrachten. Dann schwimmen sie am unteren Rand des Hindernisses hin und her, bis sie schließlich zufällig an den Durchgang geraten, der ihnen den Weg zum anderen Teil des Aquariums freigibt, in dem sich das Fleisch befindet.

Die Tätigkeit ist erstens auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet und tritt zweitens als Umgehungsbewegung auf, deren Inhalt mit dem Hindernis zusammenhängt, das allerdings anders als der Geruch einwirkt. Die Gaze vermag die Tätigkeit des Tieres nicht von sich aus anzuregen; sie allein ruft normalerweise keine Tätigkeit hervor. Die zweite Einwirkung hängt nicht mit dem Gegenstand zusammen, der zur Tätigkeit anregte und auf den diese gerichtet war (wie etwa der Geruch), sondern von den Bedingungen, unter denen der Gegenstand auftrat. Das ist der objektive Unterschied zwischen den beiden Einwirkungen und das objektive Verhältnis zwischen ihnen

Füttert man die Fische unter den gleichen Bedingungen weiter, dann nimmt die Anzahl der überflüssigen Bewegungen allmählich ab, bis die Tiere schließlich direkt auf den Durchgang zwischen Hindernis und Aquariumswand zustreben, um zum Futter zu gelangen.

Im zweiten Teil des Experiments wurde das Hindernis weggenommen,  bevor die Fische erneut gefüttert wurden. Obwohl die Trennwand ziemlich nahe am Ausgangsort der Fische gestanden hatte und ihr Fehlen trotz des schlechten Sehvermögens der Tiere unbedingt bemerkt werden musste, bewegten sich die Fische so zum Futter, als sei das Hindernis weiter vorhanden. Erst allmählich schlugen sie wieder den geraden Weg zur Fressstelle ein.

Die untersuchten Fische hatten demnach die Einwirkung, die ihren Umweg veranlasste, mit der Einwirkung der Nahrung, das heißt mit deren Geruch verbunden.

Element

Merkmale

Subjekt

Viele Wirbellose

Bedürfnis

Nahrungsbedürfnis

Gegenstand

Ausgezeichneter Gegenstand (ausgeformt)

Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen

Eigenschaften der Gegenstände

Tätigkeitsstruktur

Einfach differenzierte Tätigkeit als einheitlicher Prozess

Antrieb (Motiv)

Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand

Tabelle 2 : : Bestimmungen der einfachen Tätigkeit

Die gegliederte Tätigkeit

Die einfache Tätigkeit ist deshalb einfach, weil in ihr alle Bedingungen, unter denen der Gegenstand gegeben ist, als Eigenschaften des Gegenstandes auftreten, auch wenn sie eigentlich wie im Beispiel gesonderte Entitäten sind. Für die Belange der Theorie werden gesonderte Entitäten, die in einer Tätigkeit einen Bezug zum Gegenstand der Tätigkeit haben, als „Dinge“ bezeichnet. Die gegliederte Tätigkeit ist nicht nur unmittelbar auf den Gegenstand gerichtet, sondern die für die Tätigkeit bedeutsamen Dinge werden durch gesonderte Aktionen in die Tätigkeit einbezogen. Solche Aktionen in einer Tätigkeit nennt LeontjewOperationen“.

Betrachten wir als Beispiel den Beutefang bei der Katze. Eine Katze habe eine Maus als Gegenstand identifiziert. Die Maus kann auf einer Wiese oder in ihrem Loch sitzen oder auf einem Baum klettern. Die entsprechenden Operationen sind Anschleichen, Warten vor dem Bau oder auf den Baum klettern und der Fang. Füchse verfügen über die Operation Graben, nicht aber Klettern.

Ein Säugetier würde die oben beschriebene Aufgabe anders lösen. Die Entdeckung des Spaltes könne ebenfalls zufällig erfolgen. Nach der Beseitigung des Hindernisses bewegt sich dieses aber sofort direkt zur Nahrung. Die dritte Etappe wird also übersprungen. Die Umgehungsbewegung ist also als Operation ausgebildet, die je nach Lage der Dinge eingesetzt wird oder nicht. Das ist möglich, weil das Hindernis als eigenes Objekt, eben als „Ding“ in die Tätigkeit einbezogen wird und nicht als eine Eigenschaft der Nahrung.

Operationen sind zudem frei kombinierbar und können in verschiedener Reihenfolge ausgeführt werden.

Element

Merkmale

Subjekt

Fast alle Wirbeltiere

Bedürfnis

Nahrungsbedürfnis

Gegenstand

ausgezeichneter Gegenstand

Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen

Dingliche Bedingungen, unter denen die Gegenstände gegeben sind

Tätigkeitsstruktur

In Operationen gegliederte Tätigkeit, mit denen auf die dinglichen Bedingungen reagiert wird

Antrieb (Motiv)

Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand

Tabelle 3 : Bestimmungen der gegliederten Tätigkeit   

Die Zweiphasentätigkeit

Betrachten wir als Beispiel[vi], wie ein Schimpanse mittels eines Stockes eine Frucht heranholt. Der Gegenstand ist die Frucht, die der Schimpanse als Gegenstand seines Bedürfnisses identifiziert hat. Sie liegt in einem Käfig, der auf einer Seite einen Spalt hat, durch die er die Frucht sehen, aber nicht heranholen kann. Durch das Gitter auf der anderen Seite könnte er die Frucht holen, kann sie aber nicht erreichen. Nachdem er vergeblich verschiedene Operationen versucht hat richtet sich seine Tätigkeit einen Stock, den er durch den Spalt steckt und die Frucht zum Gitter schiebt. Nun läuft er um den Käfig, greift er nach der Frucht und verzehrt sie.

Diese Tätigkeit ist offensichtlich in zwei Phasen gegliedert. In der ersten Phase ergreift der Schimpanse den Stock und schiebt die Frucht zum Gitter. Damit ist die zweite Phase vorbereitet, in der die Frucht ergriffen und verzehrt wird. Die Tätigkeit ist also in zwei Phasen gegliedert, eine Vorbereitungsphase und eine Vollzugsphase. Der biologische Zweck der Vorbereitungsphase ist die Vollzugsphase, in welcher die Frucht gegessen, das Bedürfnis befriedigt wird.

In der Vorbereitungsphase richtet sich die Tätigkeit noch nicht unmittelbar auf den Gegenstand, sondern auf ein Ding, eben den Stock, mit dem der Gegenstand so verändert wird, dass die Vollzugsphase möglich wird. In dieser Form der Tätigkeit werden die Dinge als eigenständige Entitäten in ihrer Beziehung zum Gegenstand in die Tätigkeit einbezogen. Solange die Frucht am Stock (Zweig) hängt, resultiert dessen Bedeutung aus der natürlichen Verbindung zwischen Ding und Gegenstand. In der beschriebenen Tätigkeit gewinnt das Ding (der Stock) eine neue Bedeutung, es wird „Werkzeug“. Auch zum Werkzeug wird das Ding nur in bezug auf den Gegenstand. Wenn sich keine Frucht im Käfig befindet, schenkt der Affe dem Stock keine Bedeutung. Auch hier ergibt sich der biologische Sinn der Operationen aus dem Gegenstand der Tätigkeit.

Ein weiteres wichtiges Merkmal der Phasen besteht darin, dass sie zeitlich auch deutlich voneinander getrennt sein können. Unterbricht man eine Tätigkeit innerhalb einer Phase, dass wird sie unverzüglich wieder aufgenommen. Erfolgt die Unterbrechung zwischen den Phasen, dann kann eine bedeutend längere Verzögerung eintreten.

Die Zweiphasentätigkeit ist in Vorbereitungsphase und Vollzugsphase gegliedert. Diese Form der Tätigkeit ist bei den Primaten am höchsten entwickelt, konnte aber auch bei anderen Säugetieren nachgewiesen werden.

Abbildung 4 : Struktur der Zweiphasentätigkeit

In der folgenden Tabelle sind diese Merkmale der Tätigkeit zusammengefasst.

Bestimmung der Tätigkeit

Ausprägung

Subjekt

Primaten und viele Säuger

Bedürfnis

Nahrungsbedürfnis

Gegenstand

ausgezeichneter Gegenstand

Jeweils einbezogene Gegenstandsbestimmungen

Beziehungen zwischen Dingen (Werkzeug) und Gegenständen

Tätigkeitsstruktur

In Vorbereitungsphase und Vollzugsphase gegliederte Tätigkeit, in der die Operationen frei kombinierbar sind

Antrieb (Motiv)

Identifizierter (ausgezeichneter) Gegenstand

Tabelle 4 : Bestimmungen der Zweiphasentätigkeit

 

Resümee: Die Entwicklung der tierischen Tätigkeit

Im Verlaufe der Evolution durchläuft die Entwicklung der tierischen Tätigkeit drei Phasen. Im Verlaufe dieser Entwicklung entwickeln und differenzieren sich allgemeine Bestimmungen, die auch die menschliche Tätigkeit kennzeichnen. Auf der höchsten Stufe werden nicht nur die Gegenstände in die Tätigkeit einbezogen, sondern auch Objekte, die mit dem Gegenstand in einer unmittelbaren oder einer durch das Subjekt vermittelten Beziehung (Werkzeug) stehen.

Die Zweiphasentätigkeit ist in eine Vorbereitungsphase und eine Vollzugsphase gegliedert. Damit entsteht die Kategorie des Zweckes (der Zweckmäßigkeit) als Relation von Vorbereitungsphase und Vollzugsphase : Die Vollzugsphase ist der Zweck der Vorbereitungsphase.

Auf jeder Entwicklungsstufe vollziehen die Lebewesen nicht nur die jeweils höchste, sondern wenn auch in abgewandelter Form alle bis dahin in der Evolution entstandenen Tätigkeitsformen. Diesem Aspekt wurde hier nicht nachgegangen.

Es lassen sich weitere Begriffe wie „Operation“, „Werkzeug“ und „Zweck“, die häufig nur in bezug auf den Menschen benutzt werden, exakt definieren. Sie sind Bestimmungen der Tätigkeit, die in bestimmten Stadien der Entwicklung der Tätigkeit entstehen. Diese Begriffe lassen sich bereits für die Tätigkeit der Tiere sinnvoll interpretieren. Auf der Stufe der menschlichen Tätigkeit erhalten sie weitere Bestimmungen.

Kleiner Exkurs

Um Missverständnissen nach Möglichkeit vorzubeugen, sei noch einmal auf den Umstand hingewiesen, dass ich nur die allgemeinen Bestimmungen der Tätigkeit (und deren Entwicklung) untersuche, also die allgemeinen Bestimmungen der Elemente „Gegenstand“ und „Subjekt“ in ihrer Beziehung zueinander. Dass diese Beziehungen beispielsweise auch psychische und andere Bestimmungen besitzen und dass diese auch von Bedeutung für deren Entwicklung sind steht außer Frage, ist aber nicht mein Thema.

Auch die Definition der Phasen der tierischen Tätigkeit erfolgte ohne Bezug auf die psychische Widerspiegelung. Die Definition der wesentlichen Begriffe wie „Bedürfnis“, „Motiv“ usw. erfolgte nur durch Bestimmung von Beziehungen zwischen den konstituierenden Elementen der Tätigkeit.

Durch Herstellung der Bezüge zu weiteren Bestimmungen der Tätigkeit wie psychischer Widerspiegelung oder Regulation kann eine gegenstandsadäquate Bestimmung der jeweiligen Einzelwissenschaft erfolgen. Dadurch erhielten diese Begriffe den dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand adäquaten Inhalt, beispielsweise „psychisches Subjekt“, „Erkenntnissubjekt“, „Künstlerisches Subjekt“ usw.. Gegenwärtig benutzt jede dieser Einzelwissenschaften den Ausdruck „Subjekt“ zur Bezeichnung des Subjektes schlechthin. Damit aber wird weder das Allgemeine noch das Spezifische richtig erfasst.

Es ist nicht nur ein Spiel mit Worten, wenn beispielsweise gesagt wird, dass der Gegenstand die Tätigkeit auslöst und nicht etwa sein Anblick oder sein Geruch. Natürlich muss der Gegenstand irgendwie widergespiegelt werden, wenn er eine Tätigkeit auslösen soll. Bei der Untersuchung der allgemeinen Bestimmungen der Tätigkeit kann die Kette der Ereignisse nicht von vornherein auf einen bestimmten Ausschnitt verengt werden. Das geschieht in den Einzelwissenschaften.

 

  Abbildung 5 : A: Allgemeine Bestimmungen der Tätigkeit, B-Rote Kennzeichnung: Beispiel Verhaltenswissenschaftlicher Aspekt
 

Der Begriff der ursprünglichen sozialen Tätigkeit

Das Leben der menschlichen wie nichtmenschlichen Primaten ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in sozialen Verbänden zusammenleben, in denen komplizierte soziale Beziehungen bestehen. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass jede Tätigkeit von anderen Angehörigen des Verbandes beobachtet und imitiert (nachgeahmt) werden kann. Das führt zu den vielfach beobachteten Tradierungsprozessen in nichtmenschlichen Primatenverbänden. In den vor allem in den letzten 20 Jahren durchgeführten Freilanduntersuchungen wurden sehr komplexe soziale Beziehungen und komplizierte Verhaltensweisen festgestellt. Das führt dazu, dass nicht mehr nur die Beziehungen zwischen den Gegenständen und Dingen, sondern auch die Beziehungen dieser zu den individuellen Subjekten eines Verbandes in die Tätigkeit einbezogen werden können. Der nächste Schritt in der Entwicklung des Begriffs der Tätigkeit erfasst eine neue Bestimmung des Subjekt-Begriffs. Dieser erfolgt, wenn auch der Gegenstand dem Subjekt unter neuen Bedingungen gegeben ist.

Die Dreiphasentätigkeit

Dazu entwickeln wir die in Abbildung 3 dargestellt Aufgabe so weiter, wie es in Abbildung 6 gezeigt wird. Der Boden des Käfigs wird so geneigt, dass die Frucht nicht auf der Gitterseite liegen bleibt, sondern wieder zurück rutscht (Abbildung 6). Die Bedingungen, unter denen der Gegenstand nun gegeben ist, erfordern die gleichzeitige Durchführung zweier Operationen. Der Gegenstand muss zum Spaltgeschoben werden und dort festgehalten solange werden, bis er aus der Kiste genommen wird. Diese Aufgabe ist nur arbeitsteilig von mindestens zwei Individuen zu lösen, welche die erforderlichen Operationen gleichzeitig durchführen. Eines schiebt die Frucht zum Spalt und hält sie so lange, bis das andere die Frucht an sich genommen hat. Ein solches Vorgehen macht natürlich nur Sinn, wenn die Frucht anschließend geteilt und gemeinsam verzehrt wird. Das mit dem Gegenstand gegebene objektive Erfordernis der gleichzeitigen Durchführung mehrerer Operationen führt bei sozial organisierten Lebewesen zu einer neuen Form der Tätigkeit.

 

Abbildung 6 : Nur arbeitsteilig-kooperativ lösbare Aufgabe

Welche Struktur hat nun diese Form der Tätigkeit?

Die beteiligten Individuen haben das gleiche Bedürfnis und identifizieren ihr identisches Bedürfnis mit dem gleichen ausgezeichneten Gegenstand. Sie sind also als Subjekte identisch, Subjekte desselben ausgezeichneten Gegenstandes. Wenn dieser Gegenstand „klein“ ist, d.h. wenn nur ein Subjekt sein Bedürfnis befriedigen kann und die anderen leer ausgehen, dann werden identische Subjekte zu Antagonisten[vii]. Solche Nahrungskonkurrenz in nichtmenschlichen Primatengruppen werden beispielsweise von de Waal[viii] beschrieben.

Wenn der Gegenstand dagegen hinreichend groß ist, so dass alle Subjekte ihr Bedürfnis befriedigen können, dann können sie die Identität ihrer Bedürfnisse als gemeinsames Bedürfnis identifizieren. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn sie in gut organisierten sozialen Verbänden leben. Auch Vorgänge der Verteilung von Nahrung zwischen Individuen in nichtmenschlichen Primatengruppen z.B. von de Waal beschrieben worden.

Diese Tätigkeitsform ist durch eine spezifische Gestaltung der Vorbereitungsphase charakterisiert. Die die Tätigkeit bildenden Operationen werden von verschiedenen Individuen und gleichzeitig durchgeführt. So entsteht ein kollektives Subjekt , dessen Mitglieder arbeitsteilig-kooperativ tätig werden. Die gelegentlich beobachtete gemeinsame Jagd von Schimpansengruppen könnte eine ursprüngliche Erscheinungsform dieser Tätigkeit sein. Die mir dazu bekannte Literatur lässt eine exakte Bewertung der mitgeteilten Beobachtungen unter diesem Aspekt nicht zu.

Das wesentliche Merkmal dieser individuellen Aktionen besteht darin, dass keine allein unmittelbar in die Vollzugsphase übergehen kann, wie das bei der Zweiphasentätigkeit der Fall ist. Solche individuellen Aktionen nennt Leontjew „Handlungen“[ix].

Zwei Individuen kontaktieren eine Entität.
Jedes Individuum identifiziert die Entität als Gegenstand seines Bedürfnisses. Sie sind dadurch als Subjekte identisch.

Abbildung 7 : Assoziation

Sie identifizieren ihre identischen Bedürfnisse zum gemeinsamen Bedürfnis und bilden ein neues kollektives Subjekt.

Das einzelne Individuen führt also Handlungen, d.h. Operationen einer Tätigkeit aus, deren Subjekt es nicht ist. Das Subjekt der Tätigkeit, deren Operationen die individuellen Handlungen sind, entsteht dadurch, dass die identischen Bedürfnisse der verschiedenen Individuen auch zu einem gemeinsamen Bedürfnis identifiziert werden. Diesen Vorgang nenne ich „Assoziation“.

Von verschiedenen Autoren werden sogenannte „Koalitionen“ von Individuen in nichtmenschlichen Primatengruppen beschrieben. Diese werden innerhalb dieser Gruppen zum Zwecke von Rangordnungskämpfen gebildet. Sie könnten als Vorformen von Assoziationen betrachtet werden. Die vorliegenden Beobachtungen lassen nicht den Schluss zu, dass es bei diesen Koalitionen zur Bildung von gemeinsamen Bedürfnissen kommt. Mir erscheint die Annahme wahrscheinlicher, dass sich die Koalitionäre gegenseitig als Werkzeuge benutzen. Dafür spricht auch der beobachtete schnelle und opportunistische Wechsel der Koalitionspartner.

Erst das kollektive Subjekt ermöglicht die beschriebene neue Struktur der Tätigkeit. In der Vorbereitungsphase werden die Operationen auf die einzelnen sozialen Individuen aufgeteilt. Bevor jedoch die Vollzugsphase einsetzen kann, muss der Gegenstand auf die einzelnen Individuen aufgeteilt werden. Die Tätigkeit des kollektiven Subjekts wird also zwischen Vorbereitungsphase und Vollzugsphase unterbrochen. Zwischen Vorbereitungsphase und Vollzugsphase schiebt sich nun eine neue Phase, die „Verteilung“. Diese Tätigkeit  Vollzugsphase. Deshalb nenne ich die beschriebene Tätigkeit eines kollektiven Subjekts „Dreiphasentätigkeit“.

Abbildung 8 : Struktur der Dreiphasentätigkeit

Die Ausgangsabstraktion: Der theoretische Begriff des sozialen Individuums

Durch die Assoziation entsteht ein qualitativ neues Subjekt, das kollektive Subjekt von als Subjekten identischer Individuen. Das Subjekt der einzelnen Handlungen ist also die Gesellschaft, deren Mitglieder die einzelnen Individuen durch die Assoziation geworden sind. Genau das durch Identifikation identischer Bedürfnisse entstandene kollektive Subjekt soll in hier „Gesellschaft“ genannt werden[x]. Keine andere Gemeinschaft menschlicher oder nichtmenschlicher Individuen ist eine Gesellschaft im Sinne dieser Theorie. Es wird gezeigt werden, dass diese Festlegung mit einem weit verbreiteten Sprachgebrauch kompatibel ist.

Da es mir um die Ausarbeitung einer Theorie geht, ist die Verwendung des Ausdrucks „Identität“ (und dessen Ableitungen) nicht metaphorisch gemeint, sondern es ist die in der Logik definierte Identitätsrelation gemeint. Da der Begriff des Subjekts der Tätigkeit in bezug auf den Gegenstand seines Bedürfnisses definiert ist, sind alle Individuen, die ihr Bedürfnis in einem (identisch einen) Gegenstand identifizieren, als Subjekte identisch, auch wenn sie als Individuen verschieden bleiben.

Theoretisch besonders bedeutsam ist aber der Umstand, dass sich die Gesellschaft als Subjekt über den gleichen Gegenstand identifiziert wie die sie bildenden individuellen Subjekte. Daraus folgt, dass das gesellschaftliche Subjekt und die in diesem assoziierten individuellen Subjekte ebenfalls identisch sind. Entitäten dieser Art werden in der Logik als Repräsentanten bezeichnet. Die Kennzeichnung der individuellen Subjekte als Repräsentanten der Gesellschaft ist auf der Ebene der Theorie wiederum nicht als Metapher zu interpretieren, sondern als Relation im Sinne der Prädikatenlogik. Da sich jedes gesellschaftliche Subjekt durch Identifikation ihrer Mitglieder konstituiert, sind die einzelnen Mitglieder als Subjekte äquivalent, die zwischen ihnen bestehende Relation ist die Äquivalenzrelation[xi]. Jedes einzelne Mitglied repräsentiert als Subjekt das gesellschaftliche Subjekt in gleicher Weise, steht in gleicher Weise für die Gesellschaft.

Für die theoretische Analyse ist es unerheblich, ob die in ihren Begriffen abgebildeten Individuen Menschen, Menschenaffen oder andere Lebewesen sind. Nur durch empirische Untersuchungen kann geklärt werden, welche Lebewesen über die Fähigkeit verfügen, gesellschaftliche Subjekte zu bilden.

Ursprüngliche Formen der Dreiphasentätigkeit sind zumindest in Ansätzen bei nichtmenschlichen Primaten und anderen in Gruppen lebenden Säugetieren wie beispielsweise Wölfen zu beobachten. Der hier vorgelegte Begriffsapparat könnte dazu anregen, vorhandene Beobachtungen und experimentelle Befunde neu zu interpretieren und neue Experimente anzuregen.

Von Bedeutung ist die exakte begriffliche Widerspiegelung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft als Identitätsrelation. Das Individuum ist nicht Teil der Gesellschaft, die Gesellschaft ist nicht Umwelt des Individuums sondern das (soziale) Individuum ist die Gesellschaft.

Die Idee der Identität von Individuum und Gesellschaft ist an sich nicht neu, man findet sie bereits bei Marx: „Es ist vor allem zu vermeiden, die ‚Gesellschaft’ wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung – erscheine sie auch nicht in der unmittelbaren Form einer gemeinschaftlichen, mit anderen zugleich vollbrachten Lebensäußerung – ist daher eine Äußerung und Bestätigung des gesellschaftlichen Lebens. Das individuelle und das Gattungsleben des Menschen sind nicht verschieden, so sehr auch – und dies notwendig  - die Daseinsweise des individuellen Lebens eine mehr besondre oder allgemeine Weise des Gattungslebens ist, oder je mehr das Gattungsleben ein mehr besondres oder allgemeines individuelles Leben ist.“[xii]

Neu ist die Idee, diesen Gedanken zur Ausgangsabstraktion für eine Theorie des Menschen zu machen. Es wird gezeigt werden, dass mit der Entdeckung der Identität von Gesellschaft und Individuum ein theoretisches Werkzeug geschaffen wurde, mit dem die Lösung einer Vielzahl auch aktuell diskutierter Probleme auf neue Weise angegangen werden kann.

Ausblick

Der Begriff des sozialen Individuums spiegelt auf dem bisher ausgearbeiteten Stand den Gegenstand in seiner abstrakten, ursprünglichen Form wider, seine allgemeinen, allen Elementen gemeinen Bestimmungen. Damit erweist sich dieser Begriff als theoretisches Bindeglied zwischen Mensch und Tier.

Assoziation kann theoretisch auch in nichtmenschlichen Gruppen stattfinden. Damit ist ein neuer Ansatz für die Theorie der Menschwerdung gefunden. Soziales Verhalten kann auch in nichtmenschlichen Primatengruppen entstehen. Die Mitglieder der so entstehenden menschlichen Gesellschaft blieben zunächst biologisch Affen. Die Vergesellschaftung der Tätigkeit verändert jedoch die Auslesebedingungen für diese Primaten und auch die biologische Menschwerdung konnte einsetzen. So schafft die menschliche Gesellschaft auch die biologisch menschlichen Individuen.

Arbeit – Verteilung - Genuss

Die weitere Entwicklung der Ausgangsabstraktion muss ebenso wie ihre Ableitung aus vormenschlichen Verhaltensweisen die historische Entwicklung des sozialen Individuums widerspiegeln, indem die historische Entwicklung seiner Bestimmungsstücke dargestellt werden. Einige Andeutungen auf diese Schritte müssen zunächst genügen.

Die Dreiphasentätigkeit entwickelt sich, indem ihre Struktur immer komplexer wird. Ursprünglich ist die Daseinsweise des Individuums als soziales Individuum zeitweilig, auf die Zeitdauer einer Dreiphasentätigkeit beschränkt. Danach existiert es wieder als isoliertes Individuum. Im Verlaufe der Entwicklung verlängert sich jedoch die Zeit, während der das Individuum als soziales existiert. Dadurch verändert sich auch die Dreiphasentätigkeit selbst. Für diese Dauer ist Größe des Gegenstandes ist von Bedeutung. Je größer der Gegenstand ist, desto länger dauert die Vollzugsphase, in welcher der Gegenstand verzehrt wird. Bei einem Mammut oder einer über einen Steilhang gestürzten Herde können das viele Tage sein. Dadurch bleibt aber auch das gesellschaftliche Subjekt dieser Tätigkeit länger erhalten.

Dadurch verändert sich die Vollzugsphase. Sie erfolgt für einen längeren Zeitraum und wiederholt ohne Vorbereitungsphase. So nimmt sie den Charakter einer eigenständigen Tätigkeit an, deren Elemente nun wieder durch spezifische Merkmale ausgezeichnet sind. Ihr Gegenstand ist der gesellschaftliche Gegenstand, der zunächst bei der Assoziation als identischer Gegenstand identifiziert wurde und als Resultat der Vorbereitungsphase entstand. Ich nenne diesen Gegenstand „Produkt“ und die als eigenständige Tätigkeit ausgeführte Vollzugsphase „Genuss“. Ihre Struktur kann die der einfachen Tätigkeit (einfaches Abbeißen), der gegliederten Tätigkeit, in der Werkzeuge beispielsweise bei der Zerlegung der Beute eingesetzt werden oder die der Zweiphasentätigkeit sein, in der die abgetrennten Teile bearbeitet werden, z.B. gereinigt oder gebraten. Im Genuss ist das Produkt sowohl Gegenstand als auch Motiv, Gegenstand und Motiv sind identisch. Die qualitative Besonderheit des Genusses ist der Umstand, dass das Subjekt das soziale Individuum ist und dass Gegenstand und Motiv des Genusses Resultat der gesellschaftlichen Tätigkeit sind. Genuss ist setzt Assoziation voraus und ist eine soziale Tätigkeit.

Wenn dagegen ein Mitglied der Primatengemeinschaft am Produkt partizipiert, das nicht assoziiertes Mitglied der Gesellschaft ist, dann ist dieses dasisolierte Individuum und seine Tätigkeit isolierte Tätigkeit.

Bei dauerhaft in einer assoziierten Gesellschaft lebenden Individuen wird schließlich das Produkt selbst zu einem neuen Bedürfnis, d.h. zu einem Gegenstand, dessen das soziale Individuum bedarf. Das Individuum kann nur solange als soziales Individuum existieren, solange es Produkte gibt, die sein Bedürfnis befriedigen. Wenn es diese nicht gibt, kann es sich als soziales Individuum nur erhalten, indem es neue Produkte herstellt. Anderenfalls hört es auf, als soziales Individuum zu existieren und lebt ggf. nur als isoliertes Individuum weiter. So gewinnt auch die Vorbereitungsphase einen eigenständigen Charakter, sie wird „Arbeit“.

In ihrer einfachen Form kann sie wie die Handlung noch kein Produkt erzeugen und auch kein Bedürfnis befriedigen. Zur individuellen Arbeit wird sie, wenn das einzelne soziale Individuum ein fertiges, genießbares Produkt erzeugen beispielsweise allein jagen kann. Individuelle Arbeit wird differenzierte Arbeit, wenn Teilprozesse der individuellen Arbeit eigenständig werden, wenn also Werkzeugherstellung und Werkzeugverwendung von verschiedenen Individuen ausgeübt werden. Diese Tätigkeit geht in die Warenerzeugung über, wenn die Verteilung durch Austausch erfolgt. Individuelle Arbeit wird kollektive Arbeit, wenn das Produkt von einer Gruppe von Individuen hergestellt wird, beispielsweise in der Manufaktur. – Als Ausblick mag dies genügen.

Bestimmungen des sozialen Individuums

Mit der Definition des sozialen Individuums ist ein klar definierter Begriff der „sozialen Gleichheit“ ableitbar. Soziale Gleichheit ist die Folge der in der Assoziation für eine Tätigkeit des gesellschaftlichen Subjekts erfolgte Identifikation der Individuellen Bedürfnisse. Die soziale Gleichheit wird also in der Befriedigung der individuellen Bedürfnisse realisiert, jeder erhält durch die Verteilung nach seinem der Assoziation zugrunde gelegten Bedürfnis. Aus dieser ursprünglichen Form der sozialen Gleichheit sind dann ihre historisch entstandenen unterschiedlichen Formen (Gleichheit vor Gott, Gleichheit vor dem Gesetz usw.) abzuleiten.

Auf dieser Grundlage ist auch der Begriff der „sozialen Individualität“ zu definieren. Die Operationen der Vorbereitungsphase der Gesellschaft als Subjekt sind die einzelnen Handlungen der Repräsentanten. Jeder Repräsentant vollzieht innerhalb der arbeitsteilig-kooperativen Tätigkeit der Gesellschaft eine andere Handlung. Diese soziale Individualität gewinnt das soziale Individuum nur in der Gesellschaft. Sie ist zu unterscheiden von der biologischen Individualität, die durch Vererbung und Ontogenese begründet ist. Sie kann Grundlage der sozialen Individualität werden, indem sie das Individuum für eine spezielle Handlung besonders geeignet macht. Der wirkliche Ursprung der sozialen Individualität aber ist die Art und Weise der Einbeziehung des Individuums in die Tätigkeit der Gesellschaft und beruht auf der sozialen Gleichheit. Ohne soziale Gleichheit gibt es auch keine soziale Individualität. – Als Ausblick mag dies hier genügen.

Neue Bedürfnisse

Diese Tätigkeit des sozialen Individuums entfaltet sich im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung durch Entwicklung neuer Bedürfnisse.

Das Nahrungsbedürfnis differenziert sich hinsichtlich der auszuzeichnenden Gegenstände, beispielweise

·        Mammutjäger

·        Rentierjäger

·        Reissammler (Reisernter)

·        Ahornsaftgewinner

Die so entstehende Vielfalt der bereits in der Urgesellschaft erzeugten Produkte bringt den Austausch zwischen den Gesellschaften hervor. Dadurch gewinnt das Produkt eine neue Bestimmung: es erhält zu dem ursprünglichen Gebrauchswert auch einen Tauschwert.

Aus der Entwicklung weiterer Bedürfnisse folgt die Ausdifferenzierung verschiedener Tätigkeitsarten, beispielweise

·        Die Erkenntnistätigkeit befriedigt das Informationsbedürfnis.

·        Die politische Tätigkeit befriedigt das Bedürfnis nach der Erhaltung der Gesellschaft als aktuelles kollektives Subjekt.

·        Die pädagogische Tätigkeit befriedigt das Bedürfnis der Gesellschaft nach ihrer Erhaltung in der Zeit.

·        Die künstlerische Tätigkeit befriedigt die ästhetischen Bedürfnisse.

Als Andeutung auf Späteres soll dies genügen.  

 

Anmerkungen:
 

[i] Nicht in allen Bereichen folgt meine Terminologie der Leontjew´s, da sie einen anderen Zweck verfolgt. Außerdem kann ich nicht beurteilen, inwieweit manche der terminologische Unsauberkeiten der deutschen Übersetzung anzulasten sind.

[ii] Die folgenden Darlegungen sind am Ansatz Leontjew´s orientiert, folgen jedoch einer anderen Logik und beschränken sich nicht auf Leontjew´s Gedanken.

[iii] Marx/Engels,: Werke Bd. 20, Berlin 1973. Seite 76.

[iv]  Leontjew, A.H.: Probleme der Entwicklung des Psychischen. Berlin 1964. S. 26.

[v]  Nach Leontjew, A.N.: A,o.O., S. 135 ff.

[vi] Aus Leontjew, A.N.: A.a.O.  S. 151

[vii] Irgendwo habe gelesen, dass in einer ähnlichen Situation der zweite Menschenaffe die an sich Frucht genommen hat, mit ihr davongelaufen ist und sie allein verzehrt hat.

[viii] De Waal, Frans (1993): Wilde Diplomaten, München

[ix] Leontjew, A.N.: a.a.O. S.168

[x] Diese Festlegung gilt natürlich nur innerhalb der hier zu entwickelnden Theorie des Menschen. Natürlich wird beispielweise in der Pflanzensoziologie weiter von Pflanzengesellschaften die Rede sein können. Es muss nur beachtet werden, dass keine der in anderen Zusammenhängen entwickelten Bestimmungen von Gesellschaften auf den hier definierten Begriff übertragen werden können. Sonst ist keine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion möglich.

[xi] Eine Relation R heißt reflexiv, wenn jedes Element sich selbst zugeordnet ist, d. h., wenn das Paar (x, x) für beliebiges x zu R gehört. Sie ist symmetrisch, wenn mit (x, y) auch (y, x) zu R gehört. Sie ist transitiv, wenn mit (x, y) und (y, z) auch (x, z) zu R gehört. Eine reflexive, symmetrische und transitive Relation heißt Äquivalenzrelation, z. B. Identität x = y, Kongruenz, Ähnlichkeit. Alle durch eine Äquivalenzrelation verbundenen Elemente bilden eine Äquivalenzklasse. Jedes einzelne Element dieser Klasse ist deren Repräsentant.

[xii] Marx, K..: Zur Kritik der Nationalökonomie. In Marx, K. und Engels F..: Kleine ökonomische Schriften. Berlin 1955, S 130

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© Dr. G. Litsche 2001
Letzte Bearbeitung: 01.06.2011