Subjekte Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind. |
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Das soziologische missing link
1. Das Problem
2. Die hypothetische Ur-Gesellschaft
4. Die Dreiphasentätigkeit, Vehikel der Menschwerdung 4.2.
Produkte und Naturgegenstände 4.4.
Kollektive Subjekte und ihre Repräsentanten
1. Das ProblemEs ist unbestritten, dass die heute beschriebenen Formen der fossilen Australopithecinen und Hominoiden in Sozietäten zusammenlebten. Dafür gibt es keine fossilen Belege – wie für ihre Anatomie und ihre Werkzeuge -, so dass unsere Vorstellungen über das soziale Leben unserer Vorfahren von unserem Wissen über ihre äffischen Nachfahren, unsere Vettern, geprägt werden. Man kann wohl annehmen, dass die Unterschiede zwischen den Sozietäten der Vorfahren des Menschen und den heute existierenden menschlichen Gesellschaften mindesten ebenso groß sind wie deren Unterschiede in Anatomie und Werkzeuggebrauch[i]. Während es aber eine relative Fülle von Belegen für Übergangsformen zwischen den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen gibt, können Übergangsformen zwischen den Sozietäten, in denen diese zusammenlebten, ebenso wie deren Ausgangsform nur als theoretische Modelle rekonstruiert werden. Auch die heute existierenden, rezenten menschlichen Gesellschaften sind wie die sie bildenden Individuen im Verlaufe eines langen Entwicklungsprozesses entstanden. In der Soziologie werden bei Verwendung verschiedener Terminologien zwei deutliche unterscheidbare Entwicklungsstufen der Gesellschaft unterschieden. Die frühen menschlichen Gesellschaften beruhen auf Verwandtschaft (Abstammung), die entwickelten menschlichen Gesellschaften, die Staaten, haben ihre erste Grundlage in einem gemeinsamen Territorium. Welche Eigenschaften kennzeichnen nun alle menschlichen Gesellschaften, wenn man diese mit der Sozietät der Schimpansen als Modell für den letzen gemeinsamen Vorfahren vergleicht? [ii] 1.1. Kommunitäten - SchimpansensozietätenIn der Diskussion um Fragen der Menschwerdung[iii] wird nicht selten die Gattung Pan (Schimpanse) wenn auch in unterschiedlicher Weise - als Modell für den letzten gemeinsamen Vorfahr von Mensch und Menschenaffen betrachtet. Ohne dieses Verfahren weiter zu hinterfragen, kann man annehmen, dass einige der bei den rezenten Schimpansen zu beobachtende Verhaltensweisen bereits bei diesen zumindest wenigstens ansatzweise ausgebildet waren und als Anschauungsgrundlage für die theoretische Erörterung dienen können. Schimpansen leben in größeren Gruppen von 20 bis 100 Tieren, die als „Kommunität“ (unit-group oder community) bezeichnet werden. Kommunitäten bilden sogenannte Sammlungs- und Trennungsgesellschaften (fission-fusion-Gesellschaften). Die Individuen einer Kommunität kennen sich individuell, teilen ein Wandergebiet (Home-range) miteinander, verteidigen dieses Gebiet gegen andere Kommunitäten, verbringen aber nicht die ganze Zeit miteinander. Die Gesellschaft teilt sich in Wandergruppen (parties), die durch den Wald streifen und Futter suchen. Diese Wandergruppen treffen sich, verschmelzen und bilden neue Wandergruppen in neuen Kombinationen. Die Kommunität ist also ein sehr dynamisches System, das ständig neue Kompositionen von Wandergruppen hervorbringt. Sie besteht aus einer begrenzten Anzahl von Individuen, die einander kennen. Pubertierende Weibchen wechseln regelmäßig und problemlos von einer Kommunität in eine andere, in der sie verbleiben und sich mit den etablierten Männchen paaren. Der Wechsel von Männchen in eine andere Gruppe scheint nicht vorzukommen, jedenfalls wird darüber nicht berichtet. Durch den regelmäßigen Wechsel der Kommunität wir die genetische Einheit und die Panmixie der Population aufrecht erhalten. Innerhalb der Kommunität herrscht in Bezug auf das Paarungsverhalten Promiskuität, alle Männchen paaren sich mit allen paarungsbereiten Weibchen. Auch Paarungen zwischen Individuen, die verschiedenen Kommunitäten angehören, ohne dass zumindest eines den Verband wechselt („Fremdgehen“), sind häufig. Genetische Untersuchungen an den seit Jahren bekannten Gruppen in Taï haben gezeigt, dass in über 50% der Fälle eine Vaterschaft der Männchen für die Kinder der selben Gruppe ausgeschlossen werden kann (Gagneux et. al., 1997). Wenn man dazu berücksichtigt, dass es in der Gruppe mehrere Männchen gibt, ist der Fortpflanzungserfolg der Männchen der Gruppe mit den Weibchen ihrer Gruppe eher gering, so dass auch bei sozialen Organismen Art und Population die in der Zeit existierenden Einheiten sind. Panmixie ist also gewährleistet. Die Zusammensetzung der Menschenaffengruppen ist also variabel und durch eine hohe genetische Fluktuation gekennzeichnet. Die Menschenaffengruppe ist keine genetische Einheit. Ihre Funktion liegt vorwiegend im ökologischen Bereich, worauf auch auffällige Korrelationen zwischen den ökologischen Bedingungen und der jeweiligen Organisationsform der Menschenaffengruppe hinweisen. Die Sozietät bietet Vorteile vor allem bei der Lebenssicherung und der Aufzucht der Jungen. Die genetische Einheit ist auch bei den in Sozietäten lebenden Primaten die Population. Bei vielen Organismenarten ist die Panmixie innerhalb der Art oder der Population allein durch die Dislokation der Individuen im Territorium gewährleistet. Bei Organismenarten dagegen, die in Gruppen (Rudeln, Horden, Herden, Familien) zusammenleben, muss die Panmixie durch spezielle Verhaltensweisen gewährleistet werden. In der Regel verlassen die Jungtiere nach Erreichen der Selbständigkeit den Geburtsverband (sie „wandern“) und schließen sich anderen Gruppen an oder besiedeln neue Territorien und bilden dort neue Gruppen. Bei manchen Arten werden die Jungtiere nach Erreichen der Geschlechtsreife von den Alten regelrecht aus der Familie vertrieben. So wird Verwandtenpaarung auf die verschiedensten Weisen verhindert oder zumindest erschwert. 1.2. Ethnien – menschliche SozietätenVon dieser Struktur der Gruppen nichtmenschlicher Primatengruppen unterscheiden sich die menschlichen Gemeinschaften, die Ethnien, in charakteristischer Weise. „Ethnie“ ist ein von W.E. Mühlmann eingeführter Begriff[iv] für Menschengruppen, die kulturell, sprachlich, sozial, geschichtlich und mitunter auch genetisch eine Einheit bilden. Nach Mühlmann ist die Ethnie die größte feststellbare souveräne Einheit, die von den betreffenden Menschen selbst gewusst und gewollt wird. Ethnien zeichnen sich oft durch ein ausgeprägtes Wir-Bewusstsein, starken solidarischem Zusammenhalt und scharfe Abgrenzung gegenüber anderen Ethnien aus. In der Gegenwart haben sich viele Ethnien zu Nationen oder zu unabhängig-souveränen Nationalstaaten entwickelt. Eine staatlich organisierte und nach außen abgegrenzte Gesellschaft kann mit einer Ethnie identisch sein (ethnisch homogene Gesellschaft); sie kann aber auch aus mehreren größeren Ethnien oder aus einer mehrheitsbildenden Ethnie und einer bzw. mehreren ethnischen Minderheiten bestehen (multi-ethnische Gesellschaft). Im Vergleich zu der Kommunitäten der Menschenaffen unterliegt die Fortpflanzung und die Aufzucht des Nachwuchses in den menschlichen Gemeinschaften den sozialen Regeln des Zusammenlebens. Solche sozialen Regeln gibt es auch in den Kommunitäten der Menschenaffen. Sie beziehen sich vor allem auf die Gestaltung und Einhaltung der sozialen Hierarchie. Bei manchen Menschenaffenarten ist die Paarung in diese Regeln einbezogen. So paart sich bei den Gorillas vorwiegend das Alpha-Männchen, der sog. „Silberrücken“ oder „Pascha“ mit den Weibchen seines „Harems“. Bei den Schimpansen gibt es keine Paarungsregeln, es herrscht Promiskuität. Im Unterschied zu den Menschenaffen verlassen bei den Menschen jedoch weder männliche noch weibliche Pubertierende regelmäßig ihre Geburtsgruppe. Im Gegenteil, durch eine rituelle Handlung, die Initiation, werden sie in die Ethnie integriert. Das hat nun zur Folge, dass in eine Ethnie auch keine Individuen aus anderen Ethnien einwandern. Als Paarungspartner stehen so nur Mitglieder der eigenen Ethnie zur Verfügung. Diese sozialen Verhältnisse führen auf diese Weise dazu, dass Ethnien genetisch geschlossene Einheiten sind. Die genetische Abgrenzung der Ethnien wird durch soziale Handlungen bewirkt und kann auch nur durch soziale Handlungen überwunden werden. Dazu dient in den frühen Gesellschaften das Institut der Adoption, und in den entwickelten Gesellschaften das Institut der Staatbürgerschaft. Die konkrete Ausgestaltung dieser Institute erfolgt durch die jeweilige Gesellschaft und gehört zu deren Selbstbestimmungsrecht. Beide bewirken, dass Ehe und Nachkommen in das soziale System der jeweiligen Gesellschaft eingegliedert wird. Beide werden nur wirksam, wenn sich das Individuum auf dem jeweiligen Territorium aufhält. Initiation und Adoption sind also die sozialen Mechanismen, durch welche die Endogamie der Ethnie aufrecht erhalten wird. Die in sich endogamen Ethnien bestehen aus exogamen sozialen Einheiten, beispielsweise Gentes, Klans oder Familien. Ehepartner müssen stets aus verschiedenen sozialen Einheiten stammen. Verstöße gelten als Inzest und sind in allen Gesellschaften mit einem Tabu (Verbot) belegt. Dieses Inzesttabu soll die Inzuchtdegeneration verhindern. 1.3. Das soziologische Problem der MenschwerdungTheorien zur Menschwerdung werden im Allgemeinen von biologischen Disziplinen auf der Grundlage der Evolutionstheorie erarbeitet. Konzentrierten Ausdruck finden sie in Stammbäumen.
Abbildung 1 : Mögliche Stadien der Menschwerdung
Abbildung 2 : Darstellung der Evolution des menschlichen Sozialverhaltens (aus Foley (2000) Unabhängig davon, ob die Evolution des Menschen als unilinealer Prozess aufgefasst wird oder ob von der gleichzeitigen Existenz mehrerer Menschenarten während verschiedener Epochen ausgegangen wird, werden in diesem Prozess einige Stadien unterschieden[v], über die im wesentlichen Einmütigkeit besteht. In vollem Gange ist weiter die Diskussion um die Frage, auf welchem dieser Stadien die spezifisch menschliche Qualität erreicht wird und durch welche Merkmale diese gekennzeichnet ist. Anders stellt sich die Situation dar, wenn nach den Stadien der sozialen Strukturen gefragt wird, welche die Hominiden auf den einzelnen Stadien bildeten. Darstellungen der Evolution des menschlichen Sozialverhaltens enden stets dort, wo der Mensch anfängt. So bleibt in Abbildung 2 offen, auf welche Etappe der Menschwerdung das dargestellte Sozialverhalten zutreffen soll. Eine den Erkenntnissen über die menschliche Evolution entsprechende Differenzierung von möglichen Formen menschlichen Sozialverhaltens erfolgt nicht. Da die Darstellung sich auf die biologische Entwicklung beschränkt, sind auch die untersuchten Merkmale des Sozialverhaltens lediglich die biologisch relevanten Merkmale.
Abbildung 3 : Das soziologische Problem der Menschwerdung Spezifisch menschliche Merkmale des Sozialverhaltens, wie sie im Abschnitt 1.2 dargestellt wurden und die in der Evolution erst später auftraten, bleiben so unberücksichtigt. So bleibt auch die Frage nach deren Entstehung ungestellt und unbeantwortet. Bei der Entstehung der menschlichen Gesellschaft müssen sich jedoch dramatische Veränderungen des Sozialverhaltens abgespielt haben. 1. Die Kommunität wurde genetisch geschlossen, d.h. sie ist dazu übergegangen, die Zuwanderung fremder Individuen zu verhindern. 2. Dies musste bei Beibehaltung der Promiskuität auf Dauer zu Inzestschäden führen. 3. Zur Vermeidung von Inzestschäden wurden Inzesttabus eingeführt. Die entscheidende Veränderung ist also die Schließung der Kommunität gegen Zuwanderung. Sie erforderte die Einführung von Inzesttabus. Diese Veränderung des Sozialverhaltens im Prozess der Menschwerdung ist das soziologische „missing link“, das gefunden werden muss.
Abbildung 4 : Schematischer Stammbaum der Hominoidea (Gi Gibbons, O-U Orang- Utans, Go Gorillas, S Schimpansen, Bo Bonobos, M Menschen, 1 bis 3 Zeiträume zu rekonstruierenden Verhaltens) Abbildung 4 zeigt einen schematischen Stammbaum der Menschenaffen und des Menschen, wie er heute gewöhnlich benutzt wird[vi]. Der Zeitraum 1 umfasst die Sozietäten der Sippen, die als letzter gemeinsamer Vorfahr von Schimpanse und Mensch anzusehen ist. Im Zeitraum 2 lebten und entwickelten sich die Australopithecinen als früheste Formen der Hominiden. Der Zeitraum 3 umfasst die frühen Formen der Gattung Homo, also H. habilis und den frühen H. erectus. Das sind die Zeiträume, in denen sich diejenigen Veränderungen im Zusammenleben vollzogen haben müssen, in deren Ergebnis die frühen menschlichen Gesellschaften des H. sapiens mit ihrer charakteristischen Stammesstruktur entstanden sind. Indem sich die biologische Forschung diesen Vorgängen „von unten“, dem Verlauf der Evolution folgend, gelangen nur Merkmale in ihr Blickfeld, die bereits im biologischen Dasein gegeben sind. Merkmale, die einmal die menschliche Daseinsweise ausmachen könnten, bleiben auf diese Weise ausgeschlossen. Andeutungen auf Höheres können im Niedrigeren eben erst erkannt werden, wenn das Höhere bereits erkannt ist[vii]. Zusammensetzung und Struktur der Sozietäten der nichtmenschlichen Primaten wird von den jeweiligen ökologischen Bedingungen bestimmt, während bei den einfachen menschlichen Ethnien vor allem verwandtschaftliche Beziehungen wirksam werden. Ich beginne daher mit der Analyse des einfachsten bekannten Verwandtschaftssystems.
2.1. Ursprüngliche menschliche GesellschaftenDie erste umfassende Analyse früher menschlicher Sozialsysteme legte L. Morgan im Jahre 1877 in seinem Buch „Ancient society, or Researches in the lines of Human Progress from Savagery through Barbarism to Civilization” vor. Dabei entwickelte er eine Theorie über die geschichtliche Abfolge des Auftretens von Familienstrukturen verschiedener sozialer Systeme. Seine Beweisführung beruhte auf dem Umstand, dass bei den von ihm untersuchten gesellschaftlichen Systemen die verwendete Verwandtschaftsterminologie nicht die tatsächlich praktizierten Ehe- und Fortpflanzungsformen widerspiegelten. So fand er in der Gentilgesellschaft der Irokesen Nordamerikas, von denen er adoptiert worden war und mit denen er viele Jahre zusammengelebt hatte, eine Verwandtschaftsterminologie, die mit den von ihnen gelebten und gekannten Verwandtschaftsbeziehungen nicht übereinstimmte. Er fand aber, dass diese Terminologie dagegen von Gesellschaften des polynesischen Raums praktiziert wurde. Er bezeichnete diese als Punaluafamilie. Die Verwandtschaftsterminologie der Irokesen entspricht also dem in der Punaluafamilie gelebten Verwandtschaftssystem. Die in der Punaluafamilie benutzte Verwandtschaftsterminologie (das Hawaii – System) stimmte wiederum nicht mit den tatsächlich praktizierten Ehe- und Fortpflanzungsformen der Punaluafamilie überein. Die Terminologie des Hawaii – Systems unterscheidet nur zwischen den Generationen und manchmal zwischen den Geschlechtern. Jedes Mitglied einer Generation (Kreuzvettern, Kreuzbasen, Parallelvettern, Parallelbasen, Geschwister, ) wird mit demselben Terminus bezeichnet. Ebenso wird jedes Mitglied der ersten aufsteigenden Generation mit demselben Terminus bezeichnet[viii]. Dieser Denkrichtung folgend, nahmen Morgan und mit ihm Engels weiter an, dass es auch eine Gesellschaft gegeben haben musste, in der diese Terminologie als Ehe- und Fortpflanzungsformen tatsächlich praktiziert worden sind. Morgan nannte diese „Blutverwandtschaftsfamilie“. F. Engels (1884) folgte diesem Gedanken. Leider sind diese Ansätze nicht weiter verfolgt worden. In der modernen Ethnologie und Soziologie spielen Fragen der historischen Entwicklung solcher Sozialstrukturen kaum eine Rolle. Unterschiedliche Gesellschaften werden als der gleichen historischen Ebene angehörend betrachtet. Die Geschichtswissenschaften gliedern die historischen Zeitabschnitte am archäologischen Material als Steinzeit, Bronzezeit usw. Die verwandtschaftliche Struktur kann nicht ausgegraben werden und spielt daher höchstens eine untergeordnete Rolle. Das dürften die wesentlichen Gründe dafür sein, dass Probleme der Urgesellschaft als historischer Etappe der menschlichen Geschichte seit Engels´ Zeiten wissenschaftlich kaum bearbeitet wurden. Nur in den sozialistischen Ländern und gelegentlich in der Frauenbewegung wurden und werden die sozialen Verhältnisse der Urgesellschaft zu ideologischen Begründung egalitärer Ansprüche herangezogen. 2.1.1. Morgans hypothetische Blutverwandtschaftsfamilie Greifen wir die Idee der Blutverwandtschaftsfamilie auf und folgen der Morgan`schen Gedankenführung: „Die Existenz der Blutverwandtschaftsfamilie muß durch andere Beweismittel nachgewiesen werden, als durch Vorführung dieser Familienform selbst. Da sie die erste und älteste Form der Familie bildet, hat sie aufgehört zu existieren, selbst unter den auf der niedersten Stufe befindlichen wilden Stämmen der Gegenwart. Sie gehört einem Zustande der Gesellschaft an, über welchen selbst die rückständigsten Teile des Menschengeschlechts hinausgeschritten sind. Einzelne Fälle von Geschwisterehen haben noch bei barbarischen und selbst zivilisierten Nationen innerhalb der historischen Periode sich zugetragen, dies aber ist sehr verschieden von der Gruppenehe einer ganzen Anzahl von Geschwistern unter gesellschaftlichen Verhältnissen, in welchen solchen Ehen vorherrschten und die Grundlage eines gesellschaftlichen Systems bildeten. Es gibt noch Stämme von Wilden auf den Inseln Polynesiens und Melanesiens, sowie in Australien, die anscheinend vom Urzustande nicht allzu sehr entfernt sind; aber über den Zustand, welchen die Blutverwandtschaftsfamilie bedingt, sind sie weit hinaus vorgeschritten. Da kann man wohl sagen, woher man denn wisse, daß eine derartige Familie jemals existierte ? Nur ein schlagender Beweis kann genügen, unsere Behauptung zu begründen. Diesen Beweis bietet ein System der Blutverwandtschaft und Verschwägerung, das die Eheformen, in denen es seinen Ursprung nahm, um viele Jahrhunderte überlebt hat, und das noch übrig ist, um die Tatsache zu bezeugen, daß solch eine Familie damals bestanden haben muß, als das Verwandtschaftssystem gebildet wurde.“[ix] unterstellen, dass die Blutverwandtschaftsfamilie, die der hawaiischen Verwandtschaftsterminologie habe existiert. Engels beschreibt sie recht anschaulich so: „. Die Blutsverwandtschaftsfamilie, die erste Stufe der Familie. Hier sind die Ehegruppen nach Generationen gesondert: Alle Großväter und Großmütter innerhalb der Grenzen der Familie sind sämtlich untereinander Mann und Frau, ebenso deren Kinder, also die Väter und Mütter, wie deren Kinder wieder einen dritten Kreis gemeinsamer Ehegatten bilden werden, und deren Kinder, die Urenkel der ersten, einen vierten. In dieser Familienform sind also nur Vorfahren und Nachkommen, Eltern und Kinder von den Rechten wie Pflichten (wie wir sagen würden) der Ehe untereinander ausgeschlossen. Brüder und Schwestern, Vettern und Kusinen ersten, zweiten und entfernteren Grades sind alle Brüder und Schwestern untereinander und eben deswegen alle Mann und Frau eins des andern. Das Verhältnis von Bruder und Schwester schließt auf dieser Stufe die Ausübung des gegenseitigen Geschlechtsverkehrs von selbst in sich ein. ... Die Blutsverwandtschaftsfamilie ist ausgestorben. Selbst die rohsten Völker, von denen die Geschichte erzählt, liefern kein nachweisbares Beispiel davon. Daß sie aber bestanden haben muß, dazu zwingt uns das hawaiische, in ganz Polynesien noch jetzt gültige Verwandtschaftssystem, das Grade der Blutsverwandtschaft ausdrückt, wie sie nur unter dieser Familienform entstehn können“[x]. Wie man auch im Einzelnen zu den von Morgan und Engels vertretenen Auffassungen von Evolution und Geschichte stehen mag, so ist doch die Existenz der Verwandtschaftsterminologie bei den hawaiischen Naturvölkern unbestrittene Tatsache. Auch der Schluss, dass es eine Zeit gegeben haben muss, in der diese Terminologie entstand, weil die darin widergespiegelten Beziehungen tatsächlich bestanden haben, ist von großer heuristischer Kraft. 2.1.2. Morgans Gesellschaft des unterschiedslosen Geschlechtsverkehrs Das einmal akzeptiert, drängt sich die Frage auf, welche sozialen Beziehungen in den Sozietäten bestanden haben mögen, die der Blutverwandtschaftsfamilie vorausgegangen sind. Da in der Blutverwandtschaftsfamilie offensichtlich nur ein einziges Inzesttabu gegolten haben kann, nämlich das Verbot sexueller Beziehungen zwischen den Generationen, liegt die Annahme nahe, dass es in diesem Stadium kein Inzesttabu galt, es musste vollständige Promiskuität bestanden haben. Zwischen dieser und der Blutverwandtschaftsfamilie liegt nur ein Schritt, die Einführung eines Inzesttabus. Folgen wir auch hier den Gedanken Morgans: „Schließlich machen wir noch darauf aufmerksam, daß der durch die Blutverwandtschaftsfamilie angedeutete Gesellschaftszustand mit logischer Notwendigkeit auf einen früheren Zustand unterschiedslosen Geschlechtsverkehrs hinweist. Vor dieser Schlußfolge scheint es kein Entrinnen zu geben.... Nicht wahrscheinlich ist es, daß diese Unterschiedslosigkeit in der Urzeit selbst in der Horde lange fortgesetzt wurde, weil die letztere aus Rücksichten auf die Erlangung des Lebensunterhalts in kleinere Gruppen sich spalten und in Blutverwandtschaftsfamilien zerfallen mußte. Alles, was über diese schwierige Frage mit Sicherheit behauptet werden kann, besteht darin, daß die Blutverwandtschaftsfamilie die erste organisierte Form der Gesellschaft war, und daß sie notwendigerweise eine Verbesserung des voraufgegangenen unorganisierten Zustandes war, welche Art auch immer dieser Zustand gewesen sein mag.“[xi] 2.2. Die promiske, geschlossene KommunitätMit dieser von Morgan hypothetisch rekonstruierten Sozietät des unterschiedslosen Geschlechtsverkehrs haben wir eine Sozietät vor uns, die der Kommunität der Schimpansen sehr ähnlich ist. Der Unterschied kann nur darin bestanden haben, dass deren Mitglieder es für erforderlich gehalten haben, Inzesttabus einzuführen. Das wiederum kann nur bedeuten, dass es zu nicht geringen Inzuchtdefekten gekommen war, welche die Sozietät durch die Einführung von Inzesttabus zu bekämpfen versuchte. In der Kommunität der Schimpansen kommt es deshalb nicht zu Inzuchtdefekten, weil durch den Gruppenwechsel der pubertierenden Weibchen die erforderlich Panmixie gewährleistet ist. Nur wenn diese stetige Zuwanderung fremder Individuen verhindert ist, kann es durch Inzucht zu so häufigen genetischen Defekten kommen, dass nur die Einführung von Inzesttabus den Zusammenbruch der Sozietät verhindern kann. Das Auftreten von Inzuchtdefekten wiederum setzt voraus, dass es zu irgend einer Form der genetischen Isolation einer kleineren Anzahl von Individuen gekommen sein muss. Als Ursachen für eine solche Isolation lassen sich denken: · geografische Veränderungen, die eine kleine Gruppe von Schimpansen aus der Population abgespalten haben, · Mutationen, die plötzlich eine reproduktive Schranke bewirkt haben, oder · Veränderungen in den sozialen Beziehungen, durch die sich einzelne Gruppen gegen andere abgrenzten. Der Zeitraum, in dem sich die Schließung der Kommunität vollzogen haben muss, ist die Zeit des letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch, als vor etwa 5 bis 7 Mio Jahren (Zeitraum 1 in Abbildung 4 ). Für diesen Zeitraum sind in dem in Frage kommenden Raum Ostafrikas keine solchen einschneidenden geologischen Vorgänge bekannt, sodass die zuerst genannte Ursache ausgeschlossen werden kann. Aber auch die Annahme so gravierende Mutationen, wie die zweite mögliche Ursache erfordern würde, werden von den genetischen, speziell den molekulargenetischen Befunden sowie dem paläontologischen und archäologischen Material nicht gedeckt, wenn sie auch nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Andererseits gerät diese Erklärungsweise in doppelter Weise in Erklärungsnöte. Eine plötzliche geschehene Abspaltung der menschlichen Richtung der Evolution müsste mit einer Diskontinuität in den paläontologischen einhergehen. Bisher aber bestärkt jeder neue Fund die Auffassung einer kontinuierlichen Evolution des Menschen. Zum anderen erforderte die Annahme einer oder weniger nahezu gleichzeitig stattgefundener gravierender Mutationen als Startpunkt der Menschwerdung eine unilineale Evolution, die von der modernen Evolutionsforschung für zumindest sehr unwahrscheinlich gehalten wird. Schließlich bleibt noch die ebenso unwahrscheinliche Annahme, dass diese einmaligen Mutationen plötzlich eine Lebensform hervorgebracht hätte, die den konkurrierenden Formen überlegen war. Damit erweist sich die Annahme von Veränderungen in den sozialen Beziehungen als Ursache für die Entstehung reproduktiv geschlossener Sozietäten als erfolgversprechender Weg zur Erhöhung des Verständnisses der Evolution des Menschen. Es muss also die Frage beantwortet werden, welche sozialen Veränderungen dazu führen können, dass sich eine Kommunität von Qualität der Schimpansengruppe reproduktiv von anderen Schimpansengruppen isoliert und damit die Entstehung von Ethnien vorbereitet. Nachdem also die Notwendigkeit der Entstehung einer reproduktiv geschlossenen Kommunität ausgehend vom entwickelten Zustand gewissermaßen rückwärts abgeleitet wurde, soll der gleiche Schritt jetzt vorwärts gegangen werden. Es soll gezeigt werden, dass die weitere Entwicklung der Tätigkeit von Schimpansen zur Entstehung geschlossener Gruppen führen und damit die menschliche Evolution einleiten kann.
3. Die Kommunität der Schimpansen3.1. Primatensozietäten als Modelle unserer letzten gemeinsamen VorfahrenIm Unterschied zum anatomischen kann das soziologische missing link nicht ausgegraben werden. Das Sozialverhalten der Vorfahrend des Homo sapiens kann nur durch theoretische Analyse rekonstruiert werden. Das erste methodische Problem ist die Herstellung eines sinnvollen Bezugs theoretisch gewonnener Erkenntnisse zu empirischen Daten. In Ermanglung der Möglichkeit, künstliche Modelle für Primatensozietäten herstellen zu können, werden rezente Primatensozietäten als referentielle Modelle für deren ausgestorbene Vorgänger benutzt. Insbesondere die Schimpansen (Pan troglodytes) gelten als geeignetes referentielles Modell unserer Vorfahren. Die Probleme dieses Verfahrens werden gegenwärtig diskutiert. So schreibt McGrew, William(1993): “One
solution is to adopt what Tooby and DeVore (1987) called referential
models, when one real phenomenon is used as a model for its referent
that is less amenable to direct study. Referential modelling have many
disadvantages … but it has one big advantage: It has a strong empirical
base. Whatever the costs, the benefit is that we can do science on a
present phenomenon wheras we can only guess about an absent one.
Chimpanzees provide both tools and the acts of their making and
use. No other referential model, e.g. social carnivore, baboon, dolphin,
other ape, etc. meets this simple condition.”[xii] Moore (1996) untersucht in seiner Arbeit „Savanna chimpanzees, referential models and the last common ancestor“ die Eignung der verschiedenen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Savannenschimpansen als referentielles Modell für die letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse. Zusammenfassen kommt er zu dem Ergebnis, “the
use of a referential approach in which the model ist not a single
typological modern species per se, but the set of differences
observed between populations of that highly variable species…. I believe
such an approach has great potential, though it will be difficult and
expensive to collect all the relevant data. I dot not believe the method
can stand on its own…”[xiii] Da bei der theoretischen Rekonstruktion empirisch nicht gegebener Objekte und Sachverhalte auch Aussagen über solche Gegebenheiten treffen müssen, ist auch ein Begriffsapparat erforderlich, der es ermöglicht, die darzustellenden theoretisch konstruierten Objekte und Sachverhalte adäquat abzubilden. Der gegenwärtig allgemein benutzte Begriffsapparat reicht schon nicht mehr aus, um die aktuellen Ergebnisse moderner Forschung exakt darzustellen. So kommt K. Gibson, eine im Jahre 1990 stattgefundene interdisziplinäre Konferenz zum Thema „Tools Language and intelligence: evolutionary implications“ zusammenfassend, unter dem Aspekt „Hints of emerging new paradigms“ beispielsweise zu folgenden Feststellungen:
„these chapters imply closer behavioral affinities between apes and human
than previously suspected while, at the same time, revealing great species
divergences that cannot be neatly summarized by classic stereotypes, such
as that of “ man the tool-maker”. The scientific challenge is to
articulate these species similarities and differences in terms amenable to
direct research and evolutionary reconstruction”[xiv]. Ein dazu geeignetes Begriffssystem habe ich mit der Entwicklung des Begriffs der Dreiphasentätigkeit vorgelegt. Es wird den folgenden Darlegungen zugrunde gelegt. Seine wichtigsten Elemente werden nachfolgend kurz referiert. 3.2. Der Begriff der Dreiphasentätigkeit3.2.1. Die ursprüngliche Tätigkeit[xv] Tätigkeit ist die Wechselwirkung[xvi] zwischen einem Subjekt und seinem Gegenstand. „Gegenstand“ und „Subjekt“ werden als Elemente der Wechselwirkung zweier Entitäten definiert. Die eine, dass das Subjekt bedarf der anderen, des Gegenstandes, um sich in seiner Identität zu erhalten. Im Verlauf der Tätigkeit eignet sich das Subjekt den Gegenstand an (assimiliert ihn) und zerstört dadurch dessen Identität. Tätigkeit ist also Aneignung der Gegenstandes. In ihrer ursprünglichen Form ist die Tätigkeit der Stoffwechsel in seiner einfachsten Form und kennzeichnet damit alles Leben, Leben ist also zuerst Tätigkeit. Von Tätigkeit sind zwei andere Formen der Wechselwirkung zu unterscheiden. Die einfache Wechselwirkung, in deren Ergebnis sich beide beteliligten Partner verändern, d.h. ihre Identität mit sich selbst verlieren. Das ist beispielsweise bei chemischen Vorgängen der Fall, aus Wasserstoff und Sauerstoff wird Wasser. Daneben gibt es die Wechselwirkung von Systemen mit ihrer Umwelt, in deren Ergebnis das System seine Identität erhält. Das System kann seine inneren Bedingungen in gewissen Grenzen gegenüber äußeren Einwirkungen konstant halten, „regeln“. Diese beiden Formen kommen auch bei Lebewesen vor, machen aber nicht das Spezifische der Tätigkeit und damit des Lebens aus. Die Stoffe der Chemie erhalten sich nur, solange sie keiner Einwirkung unterliegen, Systeme erhalten sich, obwohl sie einer Einwirkung unterliegen, sie würden auch ohne diese nicht zerfallen. Lebende Systeme erhalten sich nur, solange sie (bestimmten) Einwirkungen unterliegen, solange sie also tätig sind. Diese Einwirkungen sind die der Gegenstände, deren die lebenden Systeme, die Subjekte, bedürfen. 3.2.2. Die gegenständliche Tätigkeit der Tiere In ihrer ursprünglichen Form, in der die Tätigkeit während der Biogenese entsteht, sind die Gegenstände nicht ausgeformt, sondern liegen in gelöster Form als Atome, Ionen oder Moleküle vor. Nicht ausgeformte, gelöste Gegenstände kommen kontinuierlich, höchstens in unterschiedlicher Konzentration vor, stehen ständig in Kontakt mit dem Subjekt und wirken so unmittelbar, d.h. nicht über einzelne Eigenschaften auf das Subjekt ein. Auf Gegenstände dieser Art bleibt im Wesentlichen auch die Tätigkeit der Pflanzen im Verlauf ihrer wieteren Evolution gerichtet. Diese Formen der Tätigkeit sind nicht Gegenstand meiner Untersuchung. Ausgeformte Gegenstände kommen diskontinuierlich vor und haben nicht von vorn herein direkten Kontakt zum Subjekt. Gegenstände dieser Art durch die Lebewesen selbst gebildet, die im Verlaufe der Evolution entstehen. Sie wirken über ihre Eigenschaften wie Geruch, Aussehen oder Geräusch auf die Subjekte und erfordern vom Subjekt die Fähigkeit, interne Verbindungen zwischen den Gegenständen und deren Eigenschaften herzustellen. Die Menge der vorhandenen potentiellen Gegenstände erfordert vom Subjekt Auswahl und Entscheidung für einen bestimmten Gegenstand. Das Subjekt identifiziert[xvii] diesen einen Gegenstand als Gegenstand seines Bedürfnisses und sich als Subjekt dieses einen Gegenstandes. Jede Tätigkeit ist ein singulärer Akt. Sie beginnt, indem das Subjekt sein Bedürfnis in einem Gegenstand und damit sich als Subjekt dieses Gegenstandes identifiziert. Sie ist mit der Aneignung (Assimilation) des Gegenstandes beendet. Die gegenständliche Tätigkeit der Tiere entwickelt sich
mit der Entwicklung ihrer Gegenstände. Außer den Gegenständen entwickeln
sich Objekte, die zu den Gegenständen in bestimmten Beziehungen stehen und
in der Tätigkeit des Subjekts berücksichtigt werden müssen. Solche Objekte
nenne ich „Dinge“.
Die Tätigkeit ist nicht mehr nur unmittelbar auf den
Gegenstand gerichtet, sondern die für die Tätigkeit bedeutsamen Dinge
werden durch gesonderte Aktionen in die Tätigkeit einbezogen. Solche
Aktionen in einer Tätigkeit sind die „Operationen“
und diese Form der Tätigkeit nenne ich „gegliederte
Tätigkeit“. Sie besteht aus einer zeitlich geordneten Folge von
Operationen. Betrachten wir als Beispiel den Beutefang bei der Katze. Eine Katze habe eine Maus als Gegenstand identifiziert. Die Maus kann auf einer Wiese oder in ihrem Loch sitzen oder auf einem Baum klettern. Die erforderlichen Operationen sind Anschleichen, Warten vor dem Bau, auf den Baum klettern und letztlich der Fang. Die Tätigkeit wird nur erfolgreich, wenn die geeigneten Operationen ausgewählt und in einer zweckmäßigen Abfolge kombiniert werden. Schließlich können die Tiere Dinge nicht nur Umgehen,
Vermeiden usw. in ihre Tätigkeit einbeziehen, sondern sie auch aktiv als
Werkzeuge in ihrer Aktionen einbeziehen. Durch die Einbeziehung von
Werkzeugen gliedert sich die Tätigkeit in zwei deutlich abgesetzte Phasen.
In der
Vorbereitungsphase richtet sich die Tätigkeit noch nicht unmittelbar auf
den Gegenstand, sondern auf ein Ding, beispielsweise auf einen Stock, mit
dem eine Frucht herangeholt wird, so dass die Vollzugsphase, in welcher
der Gegenstand endgültig angeeignet wird. Diese Form der Tätigkeit nenne
ich Zweiphasentätigkeit. Schließlich kann
ein Gegenstand auch in einer Kombination von Dingen gegeben sein, welche
die gleichzeitige Durchführung
von Operationen erfordert. Diese Leistung kann nicht von einem
individuellen Subjekt erbracht werden sondern erfordert ein kollektives
Subjekt, dessen Tätigkeit wegen deren Struktur „Dreiphasentätigkeit“
heißen soll. 3.2.3. Die Dreiphasentätigkeit kollektiver Subjekte Kollektive Subjekte werden speziell bei sozial lebenden Arten beobachtet, die gemeinsam große Beute jagen wie Wölfe oder Löwen. Besonders entwickelt ist die kollektive Jagd jedoch bei Schimpansen. Die Voraussetzung zur Bildung eines kollektiven Subjekts ist die Identifikation ein und desselben Gegenstandes als Gegenstand des Bedürfnisses verschiedener Individuen. Dadurch werden verschiedene Individuen als Subjekte identisch. Bei sozial lebenden Arten können identische Subjekte einander auch als diese identischen Subjekte eines Gegenstandes identifizieren. Damit entsteht ein kollektives Subjekte entstehen aus identischen individuellen Subjekten, d.h. aus Subjekten, die ihr Bedürfnis in demselben Gegenstand vergegenständlicht haben und ihr Bedürfnis als gemeinsames identifizieren. Diesen Akt nenne ich „Assoziation“[xviii]. „Assoziation“ meint sowohl den Vorgang des Assoziierens als auch dessen Resultat, das kollektive Subjekt. Die Assoziation ist ein psychischer Akt aller beteiligten Individuen. Er ist die freiwillige Entscheidung aller beteiligten Individuen, einander als Gleiche zu akzeptieren. Die Tätigkeit eines kollektiven Subjekts gewinnt nun eine besondere Struktur. Sie ist eine Dreiphasentätigkeit und besteht aus Vorbereitungsphase, Verteilung und Vollzugsphase. Die Tätigkeit von Individuen, die sich nicht zu einem kollektiven Subjekt zusammengeschlossen haben, ist eine Zweiphasentätigkeit, in der die Vorbereitungsphase sofort in die Vollzugsphase übergeht. Alle Operationen der Vorbereitungsphase werden von dem tätigen Subjekt nacheinander durchgeführt. Auch die Vorbereitungsphase der Dreiphasentätigkeit besteht aus Operationen. Im Unterschied zum individuellen Subjekt kann das kollektive Subjekt aber nun mehrere Operationen gleichzeitig ausführen, indem es diese auf seine Mitglieder aufteilt. Nachdem die Beute durch das kollektive Subjekt erlegt ist, wird sie auf die Individuen verteilt. Die Vollzugsphase erfolgt wieder individuell. Wie jede Operation haben auch die Operationen der Mitglieder des kollektiven Subjekts kein Ergebnis, das der Vollzugsphase zugeführt werden könnte, das entsteht erst aus der Verteilung. Da die Kategorie
der Tätigkeit in den Verhaltenswissenschaften nicht als relevante
Kategorie verstanden wird, werden in diesem
Zusammenhang relevanten Daten in einem anderen Raster erfasst. So
erscheinen die Bedürfnisse in der Ethologie als „Umweltansprüche“ des
Organismus. In dieser Auffassung erscheinen sie als Bestimmungen des
Lebewesens und haben keine eigene gegenständliche Existenz. Da es auch
nicht die Kategorien Gegenstand und Bedürfnis gibt, gibt es auch keine
Subjekte und eben keine Tätigkeit. Deshalb müssen die in den
Verhaltenswissenschaften gewonnen empirischen Daten unter dem Aspekt der
Tätigkeit neu interpretiert und geordnet werden. Es ist auch anzunehmen,
dass wegen des Fehlens eines geeigneten Rasters viele Daten überhaupt
nicht erfasst werden. So werden auch keine Experimente zur gemeinsamen
Tätigkeit mitgeteilt, bei der verschiedene Operationen gleichzeitig von
unterschiedlichen Individuen ausgeführt werden. Ein solches Experiment
habe ich im Artikel „Die Dreiphasentätigkeit“ vorgeschlagen. 3.3. Die Dreiphasentätigkeit bei SchimpansenWie gesagt, kann Dreiphasentätigkeit bereits bei einigen gemeinsam jagenden Tierarten wie Wölfen, Löwen oder auch Schimpansen beobachtet werden. In unserem Zusammenhang sind natürlich die Schimpansen von besonderem Interesse. Umfassende Beobachtungen zum Jagdverhalten von Schimpansen wurden von Boesch, Christophe & Boesch-Achermann (2000) mitgeteilt. Wie man leicht feststellen kann, können diese mit dem hier mitgeteilten Begriffssystem deutlich präziser dargestellt werden. Die Schimpansen in Taï sind auf die Affenjagd spezialisiert. Meist jagen sie als Gruppe, wobei sie sie in 77% der Gruppenjagden kooperieren. Sie koordinieren ihre Handlungen nicht nur in Raum und Zeit, sondern die einzelnen Individuen übernehmen verschiedene Aufgaben wie Treiber, Jäger, Blocker oder im Hinterhalt Lauernde. Ist die Beute gefangen, wird sie unter den Anwesenden nach bestimmten Regeln verteilt. Jäger erhalten mehr Fleisch als Zuschauer, aktivere Teilnehmer (z.B. Fänger) mehr als inaktivere (z.B. ‚Blocker‘) und Jäger, die sich an die Bewegung der Beute anpassen, mehr als solche, die statisch jagen (Boesch, 1994; Boesch, Christophe & Boesch-Achermann, 2000). Aber auch nicht an der Jagd beteiigte Individuen können in die Verteilung der Beute einbezogen werden (S. 180f, 262 f.). Die Konstituierung eines kollektiven Subjekts durch
Assoziation innerhalb einer solchen Gemeinschaft muss zunächst nicht alle
Individuen erfassen. Die fusion-fission - Struktur der Kommunität der
Schimpansen kommt diesem Umstand entgegen. Boesch, Christophe &
Boesch-Achermann (2000) beschreiben ausführlich, wie sich „die
Schimpansen“ lautlos auf den Weg machen um die meist geräuschvollen Roten
Stummelafen (red colobus) nach Gehör zu orten, sich dann unter diesen zu
versammeln und sich dann aufteilen um Hinterhalte zu legen und die Beute
den lauernden Greifern zuzutreiben. Die Bildung der jagenden Gruppe – des
kollektiven Subjekts - aus der Kommunität und deren Beziehung zur „party“
wird nicht beschrieben.
Die Beobachtung beginnt „once a first chimpanzee has
initiated a hunt“ (S. 178). Die Intelligenz von Schimpansen ermöglicht sowohl die
Tradierung solchen Jagdverhaltens als auch die ideelle Konstituierung
eines gemeinsamen Ziels. Anders ist die Art und Weise nicht zu erklären,
in der eine Schimpansengruppe auf die Suche nach Beute geht. Boesch, &
Boesch-Achermann (2000) geben dazu eine anschaulichen Beschreibung:
“First, find the prey. In the low-visibility forest, chimpanzees search
uniquely by sound for their prey. Red colobus monkeys are noisy…. But
whenever the chimpanzees fail to hear any, they were found to take
advantage of the frequent high-pitched calls of diana monkeys that are
regularly associated with the colobus monkeys…. When they heard the diana
monkeys, they often waited quietly until they heard some calls of red
colobus, or looked under the diana monkey group for red colobus. If
unsuccessful, they moved further for a while and listened again
attentively, often hearing another monkey association within 30 minutes.
In half of the hunts, chimpanzees searched intentionally for their prey,
and such searches lasted about 16 minutes …. The chimpanzees searching for
prey remain silent. They are not always successful in finding their
favorite prey, and the mood
for hunting may then disappear, despite the presence of other primate
speccies. If they do find a colobus group, they face their second
challenge.[xix] Es ist gewiss nicht überinterpretiert, wenn wir annehmen, dass die Bildung kollektiver Subjekte ein in manchen Schimpansengruppen tradiertes verhalten ist. Nach Beendigung der Dreiphasentätigkeit durch den Verzehr der Beute zerfällt das kollektive Subjekt wieder und die Individuen sind wieder isoliert tätig. Dieser Ablauf (Assoziation – Dreiphasentätigkeit – Auflösung des kollektiven Subjekts) kann beliebig oft wiederholt werden. Diesen Stand, die ständige Konstituierung kollektiver Subjekte aus der Wandergruppe (party) und deren Auflösung in der Kommunität, sollte die Entwicklung der Tätigkeit bei den Schimpansen erreicht haben.
Der Begriff der Tätigkeit
bildet Tätigkeit ein singuläres (wenn auch wiederholbares) Ereignis ab,
das mit der Konstituierung des Subjekts durch Vergegenständlichung
seines Bedürfnisses
beginnt und mit der Befriedigung des Bedürfnisses durch die Zerstörung des
Gegenstandes,
d.h. der Aufhebung dessen
abstrakter
Identität
beendet ist. Das gilt auch für die kollektiven Subjekte der
Dreiphasentätigkeit. Sie konstituieren sich für eine Tätigkeit und
zerfallen nach Beendigung der Tätigkeit. Das Zusammenleben der Individuen
in relativ stabilen Gemeinschaften wie den Kommunitäten verbunden mit der
Fähigkeit zur Tradierung von Verhaltensweisen fördert 3.4. Theoretische BegriffeMit der Entstehung der Dreiphasentätigkeit kollektiver Subjekte bei Schimpansen dürfte die reifste Form der Entwicklung der Tätigkeit individueller Subjekte erreicht sein. Damit dürften die Potenzen der Evolution der Tätigkeit auf dem Niveau der biologischen Tätigkeit der Tiere ausgeschöpft sein. Die weitere Entwicklung der Tätigkeit kann nur als Tätigkeit kollektiver Subjekte erfolgen. Es muss also nun analysiert werden, welche Entwicklung die Tätigkeit des kollektiven Subjekts nimmt. Subjekt, Bedürfnis, Gegenstand und Verlauf sind die konstituierenden Elemente jeder Tätigkeit. Die nun erforderliche Analyse der Dreiphasentätigkeit muss also ebenfalls diese Elemente untersuchen. Für Anfangsstadien der weiteren Entwicklung dieser Elemente als Elemente der Dreiphasentätigkeit gibt es jedoch keine aufweisbare empirische Realität, sie ist mit ihren Trägern gestorben, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Heute sind diese Elemente in der Realität nur in ihrer reifen, entwickelten Form gegeben, als Resultat des etwa 5 Millionen Jahre dauernden Prozesses der Menschwerdung. Der Vergleich dieser Formen kann uns nicht zu den Merkmalen in der ursprünglichen, entwickelten Form führen, eben weil diese ausgestorben sind ohne Spuren hinterlassen zu können. Den Knochen können wir nicht ansehen, in welcher Weise ihre Träger ihre Nahrung gewonnen haben. Eher schon geben uns hinterlassene Artefakte Auskunft über die Lebensweise ihrer Erzeuger. Die fehlende empirische Grundlage hat nun Folgen für die zu bildenden Begriffe. Es gibt keine realen Gebilde, an denen die zu untersuchenden Merkmale anschaulich gegeben wären. Die Vorstellungen, die wir und von diesen machen können, sind nicht Resultat von Anschauung, sondern Resultat von Denken. Es sind Begriffe, wie wir sie als „Massepunkt der Ausdehnung null“ oder „absolut schwarzer Körper“ aus der Physik kennen. Im Unterschied zu diesen sind jedoch auch die messbaren Merkmale, durch deren Idealisierung Begriffe der genannten Art gebildet werden, in unserem Falle in zunehmenden Maße ebenfalls nur als Resultat von Denken gegeben. 4. Die Dreiphasentätigkeit, Vehikel der MenschwerdungGegenstand, Subjekt und Ausführung sind die Bestimmungsstücke der Tätigkeit. Es gilt nun deren spezifische Ausbildung und Entwicklung in der Dreiphasentätigkeit zu analysieren. 4.1. Der Gegenstand der DreiphasentätigkeitDie Dreiphasentätigkeit wird durch die Bedingungen provoziert, unter denen der Gegenstand sozial lebenden Individuen gegeben ist. Diese Bedingungen müssen die gleichzeitige Ausführung verschiedener Operationen erfordern. Das wiederum erfordert die Konstituierung eines kollektiven Subjekts. Diese Bedingung allein erfordert nur die zeitweilige Existenz des kollektiven Subjekts, seine Bedürfnisse sind die identifizierten Bedürfnisse der assoziierten Mitglieder und auf deren individuelle Erhaltung gerichtet. Nach der Ausführung der Tätigkeit zerfällt das kollektive Subjekt und die Individuen gehen wieder ihrer individuellen Tätigkeit als isolierte Subjekte nach. Für die Dauer der Existenz des kollektiven Subjekts ist die Größe des Gegenstandes von entscheidender Bedeutung, denn die Größe bestimmt, in welchem Maße das Nahrungsbedürfnis befriedigt werden kann. Je größer der Gegenstand ist, desto länger dauert die Vollzugsphase, in welcher der Gegenstand verzehrt wird. Bei einem Mammut oder einer über einen Steilhang gestürzten Herde können das viele Tage sein. Dadurch bleibt aber auch das kollektive Subjekt dieser Tätigkeit lange erhalten. Die Bedingung ist bei den heute lebenden Primaten, die nur kleine Beute jagen, nicht gegeben, sodass die Veränderungen im Zusammenleben durch den Erwerb großer Beute nicht empirisch untersucht werden können sondern nur der hypothetisch - theoretischen Analyse zugänglich sind. Große Beute für alle schafft andere Bedingungen in der gesamten Kommunität. Über Verteilung und Vollzug werden nun alle Mitglieder der Kommunität auch zu Mitgliedern des kollektiven Subjekts und so nachträglich in die Dreiphasentätigkeit einbezogen[xx]. So können alle Mitglieder der Kommunität ihr Bedürfnis in demselben Gegenstand, der Jagdbeute, identifizieren und sich dem bereits bestehenden kollektiven Subjekt assoziieren. Auf diese Weise kann eine nichtmenschliche Primatengemeinschaft (Kommunität), in der sich gelegentlich kollektive Subjekte konstituieren, über große Gegenstände zu einer dauerhaft als kollektives Subjekt existierenden Gemeinschaft werden. Für dieses „kollektive Langzeitsubjekt“ gibt es jedoch zwei Formen der Mitgliedschaft. Die primäre Mitgliedschaft erwerben diejenigen, welche die der Wandergruppe angehört haben, welche die Beute erlegt haben. Sekundäre Mitglieder werden die Individuen, die während der Jagd mit anderen Wandergruppen unterwegs waren und die sich nun nur am Verzehr beteiligen[xxi]. In der ethologischen Literatur werden solche Individuen gern als „Cheater“ (Betrüger) bezeichnet. Der rationale Gehalt dieser Kennzeichnung ist der Umstand, dass sie bei kleiner Beute den Anteil der Teilnehmer tatsächliche schmälern und in der Regel wohl Angehörige der Jagdgruppe waren. Zum anderen lässt das ethologische Kategoriensystem, das keine kollektiven Subjekte kennt, eine andere Interpretation gar nicht zu. Bei großer Beute ist das jedoch anders. Für jeden ist genug da, es besteht „Überfluss“. Für die sekundären Mitglieder ist die Situation jedoch anders als für die Jäger. Erstere vergegenständlichen ihr Bedürfnis nicht im rohen Naturgegenstand, der erst erbeutet werden muss, sondern im Produkt der Tätigkeit anderer. Die bei einem hinreichend großen Gegenstand lange (über mehrere Tage) andauernde Vollzugsphase des Verzehrs der Beute, macht auch für die ursprünglich primären Mitglieder das Produkt zum Gegenstand ihrer Bedürfnisse. So wandelt sich eine Gemeinschaft von der Qualität einer Schimpansenkommunität in ein einheitliches kollektives Subjekt um, dessen Identität stiftender Gegenstand das Produkt ist. Bei theoretischer Idealisierung der Merkmals „Größe des Produkts“ geht dieses gegen unendlich. Ein unendlich großes Produkt bedingt ein unendlich lange („ewig“) existierendes kollektives Langzeitsubjekt. Dieses theoretische in der Zeit existierende kollektive Langzeitsubjekt soll „assoziierte Kommunität“ [xxii] genannt werden. Es umfasst alle Mitglieder einer Kommunität und ist in zeitweilige Gruppen (partys, Wandergruppen) gegliedert. Die theoretisch unendliche Größe des Produkts ist auch noch in anderer Hinsicht von Bedeutung. Nur dies garantiert die vollständige und damit gleiche Befriedigung der individuellen Bedürfnisse. In der Kommunität der Schimpansen erfolgt die Verteilung nach „Leistung“ und „Ansehen“ (vgl. Abschnitt 3.3 !), in der assoziierten Kommunität erfolgt die Verteilung nach dem Bedürfnis.In diesem Übergang wird die Kommunität als Ganzes zum dauerhaften kollektiven Subjekt. In der assoziierten Kommunität erreicht die soziale Struktur der zusammenlebenden Individuen eine neue Qualität. Die Schimpansen - Kommunität ist eine natürliche Gruppierung von Organismen, deren Mitglied das Individuum durch Geburt und Zuwanderung wird. Die assoziierte Kommunität geht aus der einfachen Kommunität durch einen sozialen Prozess, eben die Assoziation hervor. Mitglied der assoziierten Kommunität wird das Individuum durch Assoziation und Teilnahme an der kollektiven Tätigkeit. Diese theoretisch konstruierte ewige assoziierte Kommunität wird durch zwei idealisierte Merkmale definiert: · Die Größe des Produkts geht gegen unendlich, es ist „Ständig verfügbar“. · Die Mitglieder der assoziierten Kommunität sind unsterblich. Diese Idealisierungen sollen im Folgenden genauer analysiert werden. 4.2. Produkte und NaturgegenständeFür die weitere Analyse ist es folglich zunächst von Bedeutung, die spezifische Qualität der Kategorie „Produkt“ zu erfassen. Die Bedingung für die Entstehung eines Produkts ist also ein hinreichend großer Gegenstand, ein kleiner Gegenstand wird sofort verzehrt und kann so nicht Gegenstand eines neuen Bedürfnisses und damit Produkt werden. Das Produkt existiert nicht unabhängig von der Tätigkeit der handelnden Individuen, sondern nur in Bezug auf diese. Das Produkt ist nicht mehr Bestandteil der vom kollektiven Subjekt unabhängig existierenden Natur, sondern es existiert zunächst nur in diesem kollektiven Subjekt, mit bezug auf dieses. Dabei ist mit diesem kollektiven Subjekt eben nur die eine Gemeinschaft gemeint, durch deren Tätigkeit das Produkt entstand[xxiii]. Für alle anderen Gemeinschaften bleibt es Element der von ihnen unabhängig existierenden Natur, ein „Naturgegenstand“. Dieser Unterschied ist nicht akademischer Natur, sondern sein Verständnis ermöglicht erst das Verständnis der spezifisch menschlichen Qualität der Dreiphasentätigkeit. Üblicherweise wird bei der Darstellung der menschlichen Tätigkeit diese auf die Vorbereitungsphase („Arbeit“, „Produktion“) verkürzt, Verteilung und Genuss werden nicht als Phasen der Tätigkeit angesehen. Diese Verkürzung hat zur Folge, dass der Sinn der Tätigkeit verloren geht[xxiv] und das Wesen der menschlichen Daseinsweise unverstanden bleibt. Produkte entstehen nur in der Dreiphasentätigkeit. Die Vorbereitungsphase der Zweiphasentätigkeit geht unmittelbar in die Vollzugsphase über und wird von demselben Individuum ausgeübt. Es kommt nicht zu einer Unterbrechung der Tätigkeit durch eine Phase der Verteilung. In einer Tätigkeit, bei der jemand beispielsweise Beeren pflückt und diese sofort isst (von der Hand in den Mund), haben die gepflückten Beeren nicht die Qualität eines Produkts. Wenn aber mehrere am Werke sind, die gepflückten Beeren zusammentun und diese dann nach gewissen Regeln aufteilen, dann erreichen die gepflückten Beeren die Qualität „Produkt“. 4.3. SammelnÜblicherweise werden Jagen und Sammeln immer in einem Atemzuge genannt und als einheitliche Tätigkeit angesehen, da beide Tätigkeiten das Nahrungsbedürfnis befriedigen. Das drückt sich unter anderem in der Charakterisierung einer ganzen Gesellschaftsformation als „Jäger und Sammler“ aus. Wie viele Beobachtungen zeigen, handelt es sich dabei jedoch um Tätigkeitsformen, die sich hinsichtlich ihrer Struktur bereits bei den nichtmenschlichen Primaten signifikant unterscheiden. Es kann angenommen werden, dass dies auch bei den fossilen Menschenaffen und den Australopithecinen der Fall war. Während die Jagd bei den heutigen Menschenaffen als Dreiphasentätigkeit durchgeführt wird, bleibt das Sammeln durchweg Zweiphasentätigkeit. Das folgt aus der Größe der jeweiligen Gegenstände. Die Gegenstände des Sammelns wie Früchte, Wurzeln oder Kleingetier sind so klein, dass eine Assoziation nicht erfolgen kann, denn der Gegenstand ist wegen seiner geringen Größe nicht teilbar. Identifikation hätte antagonistische Subjekte zur Folge. Die Bildung kollektiver Subjekte kann also zunächst nur bei der gemeinsamen Jagd erfolgen. Damit ist nichts zu der nicht selten mit großen ideologischen Engagement geführten Diskussion über die Bedeutung der Aufnahme von Aas für die Menschwerdung gesagt. Wenn Australopithecinen oder frühe Homo-Arten Aas aufgenommen haben, dann ist die Tätigkeit, durch die das erfolgte, wie alle anderen Formen des Sammelns eine Zweiphasentätigkeit gewesen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, das gerade die Aufnahme von größerem Aas die gemeinsame Jagd entsprechender Beutetiere initiiert haben kann. Die Umwandlung des Sammelns in eine Dreiphasentätigkeit muss sich also unabhängig von der Entwicklung des Jagens vollzogen haben und ist folglich gesondert zu untersuchen. Die Entwicklung der Jagd zur Dreiphasentätigkeit wurde durch die Bedingungen erforderlich, unter denen der Gegenstand den Mitgliedern der Menschenaffengruppe gegeben war. Die Fähigkeit der Beute zu flüchten macht die gleichzeitige Durchführung verschiedener Operationen erforderlich. Daraus folgt die Frage, ob die Gegenstände der Sammeltätigkeit ebenfalls unter Bedingungen gegeben sein können, die eine gleichzeitige Durchführung verschiedener Operationen erforderlich machen. Beim Sammeln von Früchten und Wurzeln lassen sich für die ökologischen Bedingungen, unter denen die Menschwerdung erfolgte, solche Bedingungen zunächst nicht denken. Etwas anders wird das, wenn man an Früchte denkt, die erst nach einer gewissen Bearbeitung gegessen werden können. Nüsse müssen beispielsweise geknackt werden. Wenn diese Nüsse nun erst vom Baum geschüttelt werden müssen, dann müssen die Schüttler zumindest in die Verteilung der geschüttelten Früchte einbezogen werden. Eine kollektives Subjekt muss gebildet werden. Sind die Gegenstände des Sammelns dagegen kleine Tiere, die in unterirdischen Bauen leben, aus denen sie von einer Seite vertrieben werden müssen um an der anderen Seite gefangen werden zu können, dann ist auch hier die Notwendigkeit des Übergangs zur Dreiphasentätigkeit aus den objektiven Bedingungen erforderlich, unter denen der Gegenstand gegeben ist. Auch hier ist die Bildung eines kollektiven Subjekts notwendig. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Sammeln und Jagen besteht jedoch in der Größe der Gegenstände. Gejagt (in gemeinsamer Tätigkeit) wird ein großer Gegenstand, der geteilt wir. Gesammelt werden kleine Gegenstände, die erst zusammengelegt werden müssen, ehe sie geteilt werden können. Die Umwandlung der Sammeltätigkeit in eine Dreiphasentätigkeit kann also eigenständig und unabhängig von der Jagd großer Tiere erfolgen. Auch dieser Vorgang kann dazu führen, dass sich kollektive Subjekte bilden. Die gegenwärtige Fundsituation lässt keine schlüssige Beantwortung der Frage zu, ob eine dieser Tätigkeitsformen die Bildung der kollektiver Subjekte dominiert hat und welche das ggf. gewesen sein könnte. Diese Frage kann nur durch empirische Daten entschieden werden. Die Beantwortung dieser Frage ist für den weiteren Fortgang der Analyse nicht erforderlich. 4.4. Kollektive Subjekte und ihre RepräsentantenDie nun anstehende Aufgabe ist also die Analyse des Verhältnisses kollektives Gesamtsubjekt – Individuum. Dabei geht es wie ausgeführt nicht um die empirische Analyse konkreter, entwickelte Gemeinschaften, sondern um die gedankliche Analyse embryonaler kollektiver Subjekte in der Situation ihrer Entstehung Mit dieser Fragestellung verlassen wir aber auch den Bereich der biologischen Wissenschaften und treten ein in den Bereich, der nach allgemeinem Verständnis zum nativen Gegenstand der Wissenschaften vom Menschen, speziell der Soziologie zählt. Das kollektive Subjekt, das ich in seinem statu nascendi „assoziierte Kommunität“ genannt habe, wird sich im Verlaufe der Analyse als die Geburtsform der menschlichen Gesellschaft erweisen. Wie dargestellt, entstehen assoziierte Kommunitäten durch Identifikation identischer individueller Bedürfnisse. Die Identität der zu identifizierenden Bedürfnisse ist objektiv, alle Individuen haben ihr Bedürfnis in ein und demselben Gegenstand identifiziert. Die Idealisierung besteht darin, dass das Maß der Identifikation als 100% gesetzt wird. Hier ist ein anderer Aspekt von Bedeutung: Durch die Identifizierung einsteht nicht nur zwischen den einzelnen Individuen, sondern auch zwischen diesen und der assoziierten Kommunität die Beziehung der Gleichheit, Identität. Individuen und assoziierte Kommunität sind als Subjekte gleich, identisch. Dabei
ist die Verwendung des Ausdrucks „Identität“ (und dessen
Ableitungen) nicht metaphorisch gemeint, sondern es ist die in der Logik
definierte Identitätsrelation gemeint. Da der Begriff des Subjekts der
Tätigkeit in bezug auf den Gegenstand seines Bedürfnisses definiert ist,
sind alle Individuen, die ihr Bedürfnis in einem (identisch einen)
Gegenstand identifizieren, als Subjekte identisch, auch wenn sie als
Individuen verschieden bleiben.
Theoretisch besonders bedeutsam ist aber der Umstand, dass
sich die assoziierte Kommunität als Subjekt über den gleichen Gegenstand
identifiziert wie die sie bildenden individuellen Subjekte. Daraus folgt,
dass das kollektive Subjekt und die in diesem assoziierten individuellen
Subjekte ebenfalls identisch sind. Entitäten dieser Art werden in der
Logik als „Repräsentanten“
bezeichnet. Die Kennzeichnung der individuellen Subjekte als
Repräsentanten des kollektiven Subjekts
ist auf der Ebene der Theorie wiederum nicht als Metapher zu
interpretieren, sondern als Relation im Sinne der Prädikatenlogik. Da sich
jedes kollektive Subjekt durch Identifikation ihrer Mitglieder
konstituiert, sind die einzelnen Mitglieder als Subjekte äquivalent, die
zwischen ihnen bestehende Relation ist die Äquivalenzrelation[xxv].
Jedes einzelne Mitglied repräsentiert als Subjekt das kollektive Subjekt
in gleicher Weise, steht in gleicher Weise für die Gesamtheit.
In diesem Zusammenhang erhält der Begriff des
Repräsentanten zu seiner logischen eine funktionale Bedeutung. Das soziale
Individuum repräsentiert das kollektive Subjekt in der
Dreiphasentätigkeit, indem es an seiner Stelle handelt. Auf diese Weise
wird die individuelle Aktion soziale Tätigkeit, das Individuum
ist die assoziierte Kommunität,
ist die Gemeinschaft. Es ist evident, dass sich alle diese
Bestimmungen nur in der Dreiphasentätigkeit realisieren. Außerhalb dieser
Tätigkeit kommt dem Individuum keine dieser Bestimmungen zu[xxvi].
Andere Untersuchungen müssen klären, durch welche
historische Entwicklung der Dreiphasentätigkeit und deren Subjekt die
Identität der Repräsentanten wieder verloren geht und nur ein Teil der
Mitglieder diese repräsentieren. 4.5. Der Begriff des sozialen Individuums
Als Mitglied einer assoziierten Kommunität ist das
Individuum in doppelter Hinsicht Subjekt. Es ist zunächst Subjekt seiner
individuellen Bedürfnisse, durch deren Befriedigung es sich erhält.
Zugleich ist es als Repräsentant des Kollektivs Subjekt der kollektiven
Bedürfnisse, durch deren Befriedigung es die assoziierte Kommunität und
damit sich selbst als deren
Repräsentant erhält. Seine Aktionen werden also gleichzeitig durch
zwei Motive[xxvii]
angetrieben, die im realen Individuum durchaus in Widerspruch geraten
können. Bei widerstreitenden Motiven muss eines zum dominierenden Motiv[xxviii]
werden, damit eine Aktion stattfindet. In der theoretischen Idealisierung
wird eines auf null, das andere auf 100% gesetzt. Der theoretische Begriff
„soziales Individuum“ spiegelt
ein Mitglied einer assoziierten Kommunität wider, dessen Aktion zu 100%
auf die Befriedigung des kollektiven Bedürfnisses gerichtet ist. „Isolierte Individuen“ sind dagegen Mitglieder eines kollektiven
Subjekts, deren Aktionen zu 100% auf die Befriedigung ihrer individuellen
Bedürfnisse gerichtet sind.
Soziales Individuum wird man also durch einen psychischen
Akt, durch eine freiwillige Entscheidung des Einzelnen, die Bedürfnisse
des Kollektivs zum Motiv der eigenen Aktion zu setzen, eine Entscheidung,
die jeder von uns auch heute noch täglich fällen muss. Diese Entscheidung
ist unabhängig davon, ob der Einzelne auch assoziiertes Mitglied der
assoziierten Kommunität ist, deren Bedürfnisse er befriedigen will, sie
ist einseitig. Repräsentant zu sein erfordert dagegen die in der
Assoziation erfolgende zweiseitige Entscheidung des Auftrags und der
Auftragsannahme.
Da die hier vom Individuum zu treffenden Entscheidungen
psychische Akte sind, die für andere auch verborgen bleiben können[xxix],
entsteht auch die Möglichkeit, dass ein isoliertes Individuum
arbeitsteilig an einer Dreiphasentätigkeit teilnimmt. Ein solches
Verhältnis bezeichne ich als „Scheinassoziation“. 4.6. Produktion, Verteilung, GenussDie Existenzgrundlage einer assoziierten Kommunität ist die ständige Verfügbarkeit des Produkts, durch dessen Verteilung die individuellen Bedürfnisse der assoziierten Individuen befriedigt werden. In der Theorie ist diese ständige Verfügbarkeit durch Idealisierung zum Produkt unendlicher Größe gegeben. Reale Produkte aber haben eine endliche Größe. Wie groß ein reales Produkt aber auch sein und auf welche Weise es gewonnen sein mag, auch nach seinem Verzehr würde das kollektive die assoziierte Kommunität wieder zerfallen. Nur die Herstellung eines neuen großen Produkts kann diesen Zerfall aufhalten. Es kann wohl begründet angenommen werden, dass sich auch assoziierte Kommunitäten regelmäßig in Wandergruppen formierten. Wenn aber nun die Mitglieder der Wandergruppe als Repräsentanten einer solchen Kommunität auf die Jagd gehen, wenn als das Bedürfnis der gesamten Kommunität nach einem Produkt das gemeinsame Motiv der Wandergruppe ist, dann zeichnet sich auch die Wandergruppe durch eine neue, soziale Qualität aus. Sie ist gewissermaßen eine „soziale Wandergruppe“ und als diese Gesamtheit Repräsentant der assoziierten Kommunität. Eine Wandergruppe dieser Qualität werde ich „Kollektiv“ [xxx] nennen. Theoretisch relevant ist nicht, ob die Beschaffung des neuen großen Produkts durch Aktionen der gesamten assoziierten Kommunität oder durch Aktionen einzelner Kollektive erfolgt. Theoretisch bedeutsam ist die Erhaltung der ständigen Verfügbarkeit dieses Produkts. Dadurch werden Verteilung und Vollzugsphase unabhängig von der Vorbereitungsphase, der Beschaffung des Produkts. Sie hören auf, Phasen der Dreiphasentätigkeit zu sein und gestalten sich zu eigenständigen Tätigkeiten um. Auch sie beginnen als einfache Tätigkeit[xxxi]. Die Verteilung kann sich schließlich zu einer eigenständigen Dreiphasentätigkeit entwickeln, während die Vollzugsphase immer ein individueller Akt ist und daher höchstens das Niveau der Zweiphasentätigkeit erreicht. Als eigenständige Tätigkeit nenne ich die Vollzugsphase „Genuss“. Diese Entwicklung geht mit einer entsprechenden Veränderung der Vorbereitungsphase einher. Auch sie wird zu einer eigenständigen Tätigkeit, die ausschließlich auf die Gewinnung des Produkts gerichtet ist. Das ist dann der Fall, wenn das Motiv der Vorbereitungsphase nicht mehr im eigenen Genuss besteht, sondern – theoretisch idealisiert - ausschließlich in der Schaffung des Produkts. Als eigenständige Tätigkeit nenne ich die Vorbereitungsphase „Produktion“. Die ständige Verfügbarkeit eines Produkts hat so die Aktionen der Mitglieder der assoziierten Kommunität grundlegend umgestaltet. Der gesamte Lebensprozess ist „sozial“ determiniert. Das Dasein der Individuen als Repräsentanten einer Gemeinschaft beschränkt sich nicht mehr nur auf einzelne Akte von Dreiphasentätigkeiten, sondern bestimmt ihr gesamtes Leben. Auf dieser Etappe sollte auch das Sammeln als Dreiphasentätigkeit organisiert sein und zur Gewinnung des Produkts, das die Identifizierungsgrundlage der jeweiligen Gemeinschaft bildet. Um Missverständnisse zu vermeiden sei nochmals darauf verwiesen, dass Termini wie „alle“ oder „gesamt“ in diese Beschreibung theoretische Idealisierungen sind. In der Realität kommen natürlich isolierte Tätigkeiten in unterschiedlichem Anteil vor[xxxii]. 4.7. Geschlossene assoziierte KommunitätenAssoziierte Kommunitäten entstehen aus dem Zusammenleben der Individuen in den Kommunitäten der gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse. Das Umfeld dieser sich entwickelnden neuen Lebensweise ist die Population, mit der die Kommunitäten regelmäßig Individuen austauschen. Versuchen wir nun, uns eine solche voll entwickelte assoziierte Kommunität in einer Population vorzustellen, in der regelmäßig neue Individuen in eine Kommunität einzuwandern pflegen. Alle Mitglieder der assoziierten Kommunität durch Assoziation Repräsentanten ihrer Kommunität geworden. Diese neue soziale Beziehung der Repräsentation verbindet alle Repräsentanten über ihr Produkt und ihre Teilnahme an Produktion, Verteilung und Genuss. Wenn nun ein wanderndes Individuum einer solchen assoziierten Kommunität begegnet, dann ist es nicht, wie in einer Population von Schimpansenkommunitäten eine Individuum wie das andere, sondern es ist nicht assoziiert, kein Repräsentant, es ist „fremd“. Mitglied der assoziierten Kommunität kann es nur durch Assoziation werden. Die Assoziation ist aber eine freie Entscheidung des Einzelnen wie alle anderen. Der Einzelne muss Mitglied werden wollen und die Mitglieder eines bereits dauerhaft bestehenden kollektiven Subjekts müssen das „neue Mitglied“ aufnehmen wollen. Fremde können nicht mehr einfach in die Kommunität einwandern. Bei knappen Ressourcen ist die Wahrscheinlichkeit für einen Konflikt nicht gering und der Einwanderungsversuch wird abgewiesen. Von Schimpansen wissen wir, dass zumindest die Männchen verschiedener Kommunitäten einander feindlich gesonnen sind und gewalttätige Auseinandersetzungen um ihre home ranges führen, die auch mit dem Tod der Männchen und der völligen Zerstörung der unterlegenen Kommunität enden können. Schimpansen einer Kommunität kennen einander nicht nur, sondern erkennen auch Angehörige fremder Kommunitäten. Von hier bis zum Zurückweisen aller Einwanderungsversuche ist es nur ein Schritt. Damit ist ein Ansatz für die Entstehung geschlossener assoziierter Kommunitäten gefunden und der erste Schritt in Richtung reproduktiver Isolation rekonstruiert. Die assoziierte Kommunität ist nicht nur der soziale Ort von Produktion, Verteilung und Genuss, sondern auch infolge ihrer Herkunft aus der Schimpansengemeinschaft zugleich promiske Paarungsgemeinschaft. Da diese Gemeinschaft auch für die Zuwanderung aus anderen assoziierten Kommunitäten geschlossen ist, wird sie auch zur Fortpflanzungsgemeinschaft. Auch die Fortpflanzung findet so schließlich in den neuen sozialen Gemeinschaften unserer Vorfahren statt. Damit ist die Entwicklungsstufe erreicht, die Morgan „rückwärts“ als hypothetische Ausgangsstufe für die Menschwerdung angenommen hat. Die assoziierte Kommunität wird also auch eine genetische Einheit, die gegen andere wie Populationen genetisch isoliert ist. Die geringe zahlenmäßige Größe als populationsgenetische Folge, dass heterozygot vorhanden Allele schnell homozygot werden und so der Auslese unterliegen. So können positive oder zumindest fitnessneutrale Merkmale sich schnell in der Kommunität ausbreiten, ähnlich wie Albinomutationen während der Domestikation sehr schnell in Erscheinung treten. Die Entstehung der assoziierten Kommunitäten ist nun nicht zufälliges Resultat von Mutationen, sondern logische Folge der Entwicklung der Dreiphasentätigkeit der Kommunitäten unserer letzten gemeinsamen Vorfahren. Assoziierte Kommunitäten entstehen deshalb nicht einmalig, sondern können aus vielen Gruppen unserer gemeinsamen Vorfahren hervorgehen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich in wenigstens einer dieser Gruppen sehr schnell ein Ensemble von heterozygot vorhandenen Merkmalen „herauszüchtete“, das den sich entwickelnden Menschen kennzeichnete. Damit fände auch das in der Theorie der Anthropogenese diskutierte Problem der schnellen Herausbildung menschlicher Merkmalskomplexe eine mögliche Lösung. 4.8. Die Assoziation des NachwuchsesDie zweite für den Begriff der ewigen assoziierten Kommunität erforderlichen Idealisierung ist die ewige Existenz seiner Mitglieder. Ohne diese Bedingung machte die Idealisierung zum unendlich großen Produkt keinen Sinn. Die Erhaltung der ständigen Verfügbarkeit des Produkts führte zur Entwicklung von Vorbereitungsphase, Verteilung und Vollzugsphase zu den eigenständigen Tätigkeiten Produktion, Verteilung und Genuss. Die ständige Erhaltung der Mitgliedschaft erfordert die Assoziation neuer Mitglieder, durch welche die durch Tod aus der assoziierten Kommunität ausscheidenden Mitglieder ersetzt werden. Die Sterblichkeit der Mitglieder führt also zur Herausbildung eines neuen Bedürfnisses, des Bedürfnisses nach neuen Mitgliedern. Dieses Bedürfnis ist insofern von einer neuen Qualität, als assoziationsfähige und assoziationsbereite Individuen der Gegenstand dieses Bedürfnisses ist. Dieses Bedürfnis kann nur als soziales Bedürfnis der assoziierten Kommunität entstehen. Es kann nicht wie noch das Produkt als Kalkulation eines individuellen Bedürfnisses entstehen, denn seine Befriedigung erhält kein einziges Mitglied der Kommunität, sondern nur die Kommunität selbst als kollektives Subjekt. Wie gezeigt wurde, kommt die Assoziation herumwandernder Pubertierender vor allem bei knappen Ressourcen nicht als natürliches und stetiges Rekrutierungspotential in Frage, zumal im eigenen Nachwuchs der Mitglieder ein geeignetes Reservoir zur Verfügung steht. Im Unterschied zu zuwandernden Individuen ist dieser bereits über Verteilung und Genuss in die Mitgliedschaft einbezogen, seine Bedürfnisse sind bereits Motiv der Tätigkeit der Erwachsenen (zumindest der Mutter). Indem nun auch der Nachwuchs die Bedürfnisse der Kommunität zum Motiv seiner Tätigkeit erhebt, wird er in die Produktion einbezogen und zum vollwertigen Mitglied der assoziierte Kommunität. Durch die kontinuierliche Assoziation des Nachwuchses wird die dauerhafte – theoretisch idealisiert: ewige – Existenz der assoziierten Kommunität gewährleistet. Durch die Assoziation des Nachwuchses verändert sich die Tätigkeit zur Aufzucht des Nachwuchses[xxxiii] einschneidend. Zunächst wird die Kommunität als Ganzes zum Subjekt der Tätigkeit, die Kinder sind nicht mehr nur Kinder ihrer Mütter, sondern Kinder der gesamten assoziierten Kommunität. Dann entwickelt sich die Tätigkeit der Assoziation des Nachwuchses zur Zweiphasentätigkeit. In der Vorbereitungsphase wird der Nachwuchs assoziationsfähig gemacht, in der Vollzugsphase erfolgt seine Assoziation. Die Vorbereitungsphase enthält sowohl die Elemente der Pflege (Säugen, Tragen, Schützen usw.) als auch ggf. Elemente der Unterrichtung bei der Reproduktion der in der jeweiligen Kommunität tradierten Operationen. Boesch (1993) beschreibt Vorformen einer solchen Tätigkeit bei Schimpansen. ZsammenfaSEND kommt er zu folgendem Resultat:
“Cultural transmission is possible only if observation and learning from
observation go in at least one direction between the novice and the model:
imitation goes in one direction, teaching in both (Premack, in press;
Tomasello, 1990). In the sets of behaviour reported here, Tai chimpanzee
mothers show clearly that they observe their infants´ behaviour and
intervene in it. In doing so, they demonstrate their ability both to
compare their offspring´s behaviour to their own conception of how it
should be performed, and to anticipate the possible effects of their actions on those of
their offspring. These interventions are adjusted to the level of skill
reached by the offspring: thus stimulation reaches its maximum at the age
of three when the infants start to learn the basic skills of nut cracking,
whereas facilitation reaches it maximum at five years. Similarly,
mothers leave the hammer on the anvil more frequently when their offspring
are three years old than when they are only two”.[xxxiv] Bei Schimpansen Findet die Reproduktion tradierter Operationen als Beziehung zwischen Mutter und ihrem Kind statt, nicht als Beziehung zwischen Nachwuchs und den Erwachsenen isgesamt, wie dies bei einer assoziierten Kommunität der Fall sein muss.. Das theoretische Konstrukt der Verweigerung der Aufnahme wandernder Individuen ist in seiner idealisierten Form notwendig, um die theoretisch erforderliche reproduktive Isolation der Kommunität logisch zu ermöglichen. In der Realität kann sie natürlich vor allem bei reichen Ressourcen gelegentlich vorkommen. Sie sind logisch mit dem bisher entwickelten verträglich, wenn sie in Form der „Adoption“ als Sonderform pädagogischer Tätigkeit angesehen werden[xxxv]. Auch wandernde Individuen müssen assoziationsfähig sein, um adoptiert werden zu können. Ich nenne diese Tätigkeit der assoziierten Kommunität „pädagogische Tätigkeit“. Mit der Herausbildung der pädagogischen Tätigkeit sollt die Umwandlung der Kommunität der letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch in die embryonale Form der menschlichen Gesellschaft als vollzogen betrachtet werden können. 5. ZusammenfassungDiese Arbeit hatte sich die Aufgabe gestellt, das „soziologische missing link“ theoretisch zu rekonstruieren. Ausgangsbegriff für diese Rekonstruktion ist der Begriff der genetisch offenen, in variable Wandergruppen gegliederten Kommunität der Schimpansen, die regelmäßig gemeinsam jagen und in der promiske Paarungsbeziehungen bestehen. Als theoretischer Schlüsselbegriff erwies sich der Begriff der in Vorbereitungsphase, Verteilung und Vollzugsphase gegliederten „Dreiphasentätigkeit“, der die spezifische Struktur der gemeinsamen Jagd abbildet. Als spezifischer Gegenstand entsteht in dieser Tätigkeit das Produkt als Resultat der Vorbereitungsphase, das der Verteilung unterliegt und individuell verzehrt wird. Als neuer Gegenstand sozialen Ursprungs wird das Produkt zum Gegenstand des identischen Bedürfnisses der Kommunität und Grundlage der Identifikation der Mitglieder der über das Produkt verfügenden „assoziierten Kommunität“ als neuem Subjekt, dessen Existenzdauer von der Dauer der Verfügbarkeit des Produkts bestimmt wird. Diese wiederum wird von der Größe des Produkts bestimmt. Als messbarer variabler Parameter des Produkts wurde seine Größe betrachtet, die bei theoretischer Idealisierung gegen unendlich geht und als „ständig verfügbares Produkt“ bezeichnet wird. Das ständig verfügbare Produkt macht auch die unendlich lange Existenz der assoziierte Kommunität möglich, die „ewige assoziierte Kommunität“. Die reale Existenz dieser Sozietät wird dadurch gefährdet, dass die idealisierten Bedingungen nicht gegeben sind. Das Produkt ist stets nur endlich groß und die Mitglieder der Kommunität sind sterblich. Die ständige Verfügbarkeit des Produkts verändert nun die einzelnen Phasen der Dreiphasentätigkeit. Sie werden Produktion, Verteilung und Genuss. Das ständig verfügbare Produkt hat den unsterblichen Repräsentanten zur logischen Konsequenz. Die Sterblichkeit der realen Mitglieder hat das Bedürfnis nach neuen Mitgliedern zur Folge, das durch die pädagogische Tätigkeit befriedigt wird. Es wird vorgeschlagen, eine Kommunität mit den genannten Merkmalen als embryonale Form der menschlichen Gesellschaft und damit als das postulierte soziologische missing link zu definiernen. Dabei ist die Annahme eines bestimmten biologischen Trägers zum Verständnis dieses Prozesses nicht erforderlich. Er erklärt sich allein aus der Entwicklung der Tätigkeit, der spezifischen Wechselwirkung, die lebende Organismen, Subjekte, mit ihrer Umwelt eingehen. Natürlich ist die Frage interessant, welche unserer Vorfahren diese Entwicklung vollzogen haben, sie ist aber für die Gültigkeit der Theorie gleichgültig. Ob es nun bestimmte Australopithecinen oder der Homo habilis war, ist für die Theorie nicht von Bedeutung.
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Anmerkungen: [i]
Hier und im Folgenden schließt „Werkzeuggebrauch“ auch
Werkzeugherstellung ein. |
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6. Literatur
Boesch, Christophe & Boesch-Achermann, Hedwige(2000): The Chimpanzees of
the Tai Forest. Oxford University Press,Ocford |
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© Dr. G. Litsche
2006
Letzte Bearbeitung:
01.06.2011