Über die Methode der Darstellung
Die hier zu rekonstruierende Entität
ist das Leben der Menschen, ihre spezifische Art und Weise, Menschen zu
sein. Dabei geht es nicht um die Frage, wie die Menschen sind,
sondern um die Frage, wie die Menschen Menschen sind.
Diese Seinsweise ist das Resultat der Evolution. Die Evolution ist so der
„Konstrukteur“ des zu rekonstruierenden Originals. Ihr die Methode
abzuschauen, mit der sie die menschliche Seinsweise hervorgebracht hat,
schien mir ein geeigneter Weg zu sein, das Vorbild theoretisch zu
rekonstruieren.
Dabei geht es nicht darum, den gesamten Prozess der chemischen,
biologischen und sozialen Evolution in all seinen Verzweigungen, Umwegen
und Zickzacks darzustellen, sondern diesen Prozess auf seine theoretisch
erforderliche Minimalausstattung zu reduzieren. Grundzüge dieses
methodischen Vorgehens habe ich hier
dargelegt.
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Was die Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs der Entwicklung angeht, stehen
wir bei der theoretischen Rekonstruktion vor dem Problem, dass uns dieser
nur lückenhaft bekannt ist. Insbesondere fehlt uns die Kenntnis des
tatsächlichen Geschehens beim Übergang von einer Entwicklungsstufe in die
folgende. Es gibt noch viele „missing links“. Sie können bei der
theoretischen Rekonstruktion zunächst nur durch Hypothesen ersetzt werden,
zu deren Darstellung geeignete begriffliche und terminologische Werkzeuge
entwickelt werden müssen. Diese Hypothesen können durch weitere empirische
Forschungen geprüft werden und so die Theorie verifizieren. Die
prinzipielle Verifizierbarkeit der vorgestellten Hypothesen ist das
Kriterium ihrer wissenschaftlichen Solidität.
Da die Evolution allmählich, in einzelnen Schritten verläuft, muss auch
ihre Rekonstruktion schrittweise erfolgen. Dabei hier kommt es auf die
Rekonstruktion der logisch erforderlichen Schritte an. Wie die Evolution
muss auch ihre Rekonstruktion bei jedem Schritt ein System ergeben, das in
seiner Umwelt nicht nur lebensfähig ist, sondern gegenüber seinem
Vorgänger auch einen Auslesevorteil besitzt. Gerade diese Bedingungen
unterscheiden die Rekonstruktion von einer einfachen Konstruktion von
Systemen, bei der Teile solange zusammenfügt werden, bis ein
funktionierendes System entstanden ist Die im Verlauf der Konstruktion
entwickelten Zwischenstufen sind dagegen selbst nicht
funktionsfähig. Diesen ahistorischen Weg der Konstruktion konnte die
Evolution nicht beschreiten, sie musste stets Zwischenstufen entwickeln,
die in ihrer Umwelt lebensfähig waren. Nicht funktionsfähige
Entwicklungsstufen sind ausgestorben. Das erfordert, nicht nur die zur
Herausbildung der menschlichen Seinsweise minimal erforderlichen fossilen
und rezenten lebenden Systeme zu rekonstruieren, sondern auch die
jeweiligen „fossilen“ Umweltbedingungen, unter denen diese den
Auslesevorteil erhielten, durch den die notwendigen Fortschritte der
Evolution möglich wurden.
Die schrittweise theoretische Rekonstruktion der Herausbildung der
menschlichen Seinsweise ergibt schließlich ein theoretisches Konstrukt, in
dem die logische Ordnung der rezenten Bestimmungen die historische Abfolge
ihrer Herausbildung abbildet. Das Konstrukt der menschlichen Seinsweise
erhält im Prozess der Rekonstruktion also nacheinander Bestimmungen, die
das Leben zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedlichen
Entwicklungsstufen hervorgebracht hat. Ihre theoretische Rekonstruktion
muss eben diese Entwicklungsstufen abbilden. Beginnen muss die
Rekonstruktion der menschlichen Seinsweise folglich am Anfang, d. h. mit
der Rekonstruktion der Entstehung des Lebens.
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Das zu entwickelnde theoretische Modell muss nur die für das Funktionieren
der jeweiligen Entwicklungsstufe erforderliche Minimalausstattung
enthalten. Die Betrachtungsweise ist also systemtheoretisch. Für diese
Betrachtungsweise sind nur die Funktionen des Systems und seiner
Komponenten von Bedeutung, während strukturelle (stoffliche und anatomisch‑morphologische) Aspekte
vernachlässigt werden können. Letztere werden jedoch immer dann bedeutsam, wenn es um
die Frage geht, welche empirisch gegebenen Systeme als Realisierungen des
jeweiligen theoretischen Konstrukts angesehen werden können.
Um nun eine besondere künstliche Terminologie für die theoretischen
Modelle zu vermeiden, wurden, soweit möglich, sowohl für die theoretischen
Konstrukte als auch für deren empirische Realisierungen die gleichen
sprachlichen Ausdrücke benutzt. Nur zur Bezeichnung hypothetisch
erforderlicher missing links mussten eigene Termini gebildet werden. Zur
Vermeidung von Missverständnissen habe ich nach einer dazu geeigneten
sprachlichen Gestaltung gesucht, wobei ich gelegentlich eine gewisse
Umständlichkeit nicht zu vermeiden gewusst habe.
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Diese
Überlegungen bestimmen nun die Abfolge der Darlegungen.
Die Analyse muss mit der Rekonstruktion der Entstehung des Lebens auf der
Erde beginnen. Die lebenden Systeme werden als thermodynamische Systeme
rekonstruiert, deren Stoffaustausch mit der Umgebung durch die Membran
nicht auf thermodynamischem Wege, sondern aktiv unter Einsatz biotischer
Energie durch Resorber und Exkretoren erfolgt. Das
theoretische Konstrukt der thermodynamisch impermeablen Membran gestattet
die Definition eines Begriffs des lebenden Systems als Subjekt,
dessen Aktionen nicht mehr Reaktionen auf äußere Einwirkungen sind,
sondern autonome Leistungen des Systems.