Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Die Stellung der Tätigkeitstheorie im System der Wissenschaften

Abstract

 

Heute werden die Wissenschaften gewöhnlich – wenn auch in unterschiedlicher Terminologie - in Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften gegliedert. Im Selbstverständnis von Physik und Chemie bildet das Kausalitätsparadigma eine – wenn nicht die – unbezweifelbare einende Idee. Keine Erscheinung verändert sich, es sei denn, eine äußere Kraft – die Ursache - wirkt auf diese Erscheinung ein.
In den Geisteswissenschaften gilt dieses Paradigma aber nicht. Substanz und Energie, Ursache und Wirkung sind keine Kategorien, in denen Geist abgebildet werden kann.
Das u.a. auf Descartes und Newton zurückgehende Kausalitätsparadigma hat heute jedoch eine Universalität erreicht, dass es zumindest in der westlichen Welt das Denken nicht nur der Physiker und Chemiker, sondern auch das Alltagsdenken der meisten Menschen bestimmt. In den Wissenschaften hat es stellenweise den Charakter des Paradigmas für Wissenschaftlichkeit schlechthin angenommen, was dazu geführt hat, dass manche Physiker und Chemiker die Geisteswissenschaften bestenfalls mit einer gewissen überheblichen Nachsicht als „quasiwissenschaftlich“ zur Kenntnis nehmen.[1]

Eine gewisse Ausnahme bilden Biologie und Psychologie, die beide den Anspruch erheben, Naturwissenschaften zu sein. Die Biologie hat es dabei bereits bis zum Status eines illegitimen Mitglieds der Familie geschafft, während die Psychologie noch um die Adoption als entfernter Verwandter kämpft. Dabei hat sie das Problem, dass sie weiter darauf besteht, dass die Psyche etwas Besonderes, Immaterielles sei, das nicht auf die Gesetze von Physik oder Chemie zurückgeführt (reduziert) werden könne, zugleich aber darauf zugleich besteht, diese mit den Methoden eben dieser Wissenschaften zu erforschen. Die Krise der Psychologie hält also an[2], seit Vygotskij und Bühler sie beschrieben [3] haben.

Diese Zwischenstellung von Biologie und Psychologie ist zwar objektiv dadurch bedingt, dass sie im evolutionären Übergangsfeld von Materie und Geist arbeiten, diese Zwischenstellung jedoch nicht zu akzeptieren bereit sind. Beide Wissenschaften halten das Psychische noch nicht für eine nativ biologische Kategorie sondern verweisen es in den Bereich einer geisteswissenschaftlich aufgefassten menschlichen Psyche. Das Psychische entsteht aber im Verlauf der Evolution als biologische Eigenschaft lebender Systeme, als Eigenschaft der mit einem Nervensystem ausgestatteten Tiere.
An der Erarbeitung dieser Erkenntnis hat vor allem in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Reihe von Wissenschaftlern gearbeitet. Für diese mögen Namen wie Uexküll, Lorenz, v. Holst, Vygotskij, Leont´ev und Anochin beispielhaft genannt werden.
Vor allem Leont´ev hat diese Erkenntnis bis zur Entwicklung der Grundzüge einer Theorie, der Tätigkeitstheorie auf der Grundlage eines naturwissenschaftlichen Subjektbegriffs weitergeführt. Seit dieser Zeit ist die Entwicklung dieses wissenschaftsübergreifenden Aspekts seines theoretischen Ansatzes jedoch nicht weiter voran geschritten.
Das machte und macht sich in der mangelnden theoretischen Grundlegung in der fortschreitenden empirischen Forschung in Neurophysiologie (Stichwort „freier Wille“) und Evolutionstheorie (Stichwort „gerichtete Evolution“) bemerkbar. Sie werden weiter im kausalistischen Kategoriensystem der Physik entwickelt und dargestellt, da die Kategorien „Subjekt“ und „Tätigkeit“ nicht hinreichend als naturwissenschaftliche Kategorien ausgearbeitet sind.

Für die weitere Entwicklung von Biologie und Psychologie und die Überwindung des Hiatus zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ist die weitere Ausarbeitung dieses Aspekts der Tätigkeitstheorie von entscheidender Bedeutung. Die überkommene Gliederung der Wissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften behindert zudem die theoretische und paradigmatische Entwicklung. Die Naturwissenschaften sollten vielmehr in Physik und Chemie als Objektwissenschaften und Biologie und Psychologie als Subjektwissenschaften gegliedert werden. In den Objektwissenschaften ist das Kausalitätsparadigma die einende Idee.
Meine These: In den Subjektwissenschaften kann nur die Tätigkeitstheorie die einende Idee werden. Sie verbindet nicht nur die Humanwissenschaften untereinander, sondern ist in der Lage, die unterschiedlichen Wissenschaftssprachen von Objekt- und Subjektwissenschaften zu überbrücken. Voraussetzung dafür ist aber eine modernen Anforderungen der Wissenschaftsentwicklung entsprechende Tätigkeitstheorie.

[1] Ferdinand Knauß : http://www.wissenslogs.de/wblogs/blog/gute-stube/zwei-kulturen/2008-03-06/chauffeur
[2] Siehe: Psychologie im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 56-60[3] Bühler, Karl (1978): Die Krise der Psychologie, Verlag Ullstein GmbH, Berlin * Frankf./M.* Wien,
Vygotskij, Lev, S. (2003): Die Krise der Psychologie in ihrer historischen Bedeutung, In: Vygotskij, Lew (2003): Ausgewählte Schriften Band I, Lehmanns Media-LOB, Berlin, 57 bis 278

 

 
 





 

 

 

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© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 14.07.2012