Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Methodisches
Aneignung
Wie Kultur wird
Erste Zeichen
Lautsprache

 

Nichts ist in unseren Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.

Die Entdeckung der Laute
(Entwurf)

Da wir heute ausschließlich mit sprachlichen Zeichen operieren, werden die Fähigkeiten der Erzeugung ideeller Objekte nur der Verwendung der sprachlichen Zeichen zugeschrieben. Wie gezeigt wurde, ist Sprache für das Erzeugen von einfachen ideellen Objekten und das Operieren mit diesen nicht erforderlich. Sie können bereits mit vorsprachlichen Zeichen erzeugt werden. Fähigkeiten dieser Art sind nicht Ergebnis der Entwicklung der Sprache, sondern ihre Voraussetzung.
Die Entwicklung zunächst der Lautsprache und dann der Schrift ermöglichten die Herausbildung weiterer operativer, kommunikativer, intellektueller und anderer Leistungen und Fähigkeiten der Menschen.
In der Linguistik und Semiotik werden Zeichen nur als sprachliche Zeichen betrachtet und die Zeichen der Lautsprache und der Schriftsprache werden weitgehend als gleichartig betrachtet. Die in so beschriebenen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten werden beiden Formen der Sprache in gleicher Weise zugeschrieben. Damit bleiben die Spezifika beider unthematisiert. Fragen danach, ob alle Formen von Zeichen (vorsprachliche Zeichen, Laute und Schrift) für alle Anliegen der Kommunikation und alle Aufgaben des Erkennens in gleichem Maße geeignet sind, bleiben ungestellt.

Die folgenden Überlegungen treffen zunächst nur auf die Lautsprache zu. Erst auf ihrer Grundlage werden die Besonderheiten der Schriftsprache verstehbar.
Der ursprüngliche Zweck der Kommunikation ist die Organisation der kollektiven Tätigkeit. Mittels vorsprachlicher Zeichen werden den Einzelnen bestimmte Operationen innerhalb der gemeinsamen Tätigkeit zugeordnet, die dieser im Rahmen dessen, was er angeeignet (, ) hat, („nach besten Wissen und Gewissen“) ausführt.
Jeder Mitwirkende denkt dabei seine Operation bereits in der Vorbereitungsphase als Anteil an der gemeinsamen Tätigkeit. Das kann er in einer sprachlosen Gesellschaft nur in der Gemeinschaft mit den anderen, wenn alle Werkzeuge bzw. deren Zeichen und alle Teilnehmer an der kollektiven Tätigkeit anwesend sind.. Damit vollzieht sich auch das ursprüngliche Denken auf dem Niveau gleichzeitig stattfindender kooperativer Operationen der Individuen. Es können nur alle Individuen gemeinsam und in gleicher Weise denken – oder gar nicht. Das ursprüngliche Denken kann nicht als Leistung eines isolierten Individuums gedacht werden. Denken mittels Zeichen ist von Beginn an eine kollektive Leistung.
Die Feinsteuerung der Ausführung der einzelnen Operationen erfolgt jedoch auf Initiative des Einzelnen und eine Abstimmung mit den Anderen kann nur auf Sicht erfolgen, nach der Methode „haltet den Dieb“ oder wie beim Fußballspiel. Eine anpassende Steuerung der individuellen Operationen ohne Sicht ist auf diesem Niveau der Planung nicht möglich. Die Kommunikation mittels vorsprachlicher Zeichen kann nur „auf Sicht“ erfolgen, wenn die Teilnehmer für einander anschaubar sind. Individuen, die einander nicht sehen, können mit vorsprachlichen Zeichen nicht kommunizieren.
Erst die Lautsprache erweitert die operativen Funktionen der Zeichen und ermöglicht auch Kommunikation von Individuen, die einander nicht sehen (z.B. im Wald). Erst mit der Lautsprache wird eine anpassende Feinsteuerung der individuellen Aktionen im Ablauf der kollektiven Tätigkeit möglich.
Die Voraussetzung für die Herausbildung einer gemeinsamen Lautsprache ist die Existenz eines gemeinsamen Zeichensystems, das bereits Träger gemeinsamer Bedeutungen ist. Nach ihm ein Zeichen übergeben wurde, weiß jeder Teilnehmer einer kollektiven Tätigkeit, welche soziale Funktion er zu erfüllen hat. Er weiß, was er zu tun hat.
Der zeitliche Ablauf der kollektiven Aktion, das Wie der Durchführung der Operation, ist damit noch nicht geplant. Mit der Aneignung des Zeichens wird ja noch nicht die Funktion selbst ausgeführt. Der Besitzer des Zeichens ist ja erst in einer „als ob“ – Situation. Er kann so tun, als ob er Treiber oder Fänger wäre. Wenn nach der Verteilung der Zeichen alle so tun, als ob sie ihre Operation ausführten, die geplante Operation also "pantomimisch" darstellen, entsteht eine Situation, die wir heute wohl als „Tanz“ bezeichnen würden.
Die weitere Annahme, dass Individuen Laute hervorbringen, die ihren inneren Zustand ausdrücken und andere darüber informieren, ist durch Beobachtungen an rezenten Menschenaffen gut begründet. Wenn nun die Teilnehmer eines solchen „Tanzes“ ihre individuellen Aktionen mit Lautäußerungen begleiten, würden wir diese heute vielleicht als „Gesang“ bezeichnen.
Tatsächlich sähe ein solches Verhalten dem, was wir heute als „Tanz“ und „Gesang“ bezeichnen, nur äußerlich ähnlich. Heute drücken Tanz und Gesang ideelle Inhalte aus, die zuvor sprachlich gedacht sind. Tanz und Gesang sind heute selbst Sprachen. Ihre Produktion und ihr Verständnis setzen die Existenz von Sprache voraus. Hier aber würden sie vorsprachlich, ohne das Vorhandensein von Sprache erzeugt. Und „vorsprachliches“ Verhalten ist etwas prinzipiell Anderes als „sprachloses“ Verhalten, das durch Weglassen der Lautsprache erzeugt wird.

Die ursprünglichen Laute können zunächst ganz individuell sein, auch wenn gleiche Zustände ausgedrückt werden. Laute haben ursprünglich nur eine expressive Funktion, aber (noch) keine Zeichenfunktion, sie haben noch keinen gegenständlichen Bezug. Deshalb kann mit ihnen noch keine "echte" Kommunikation realisiert werden. Es findet höchstens "Pseudokommunikation statt.
Es liegt aber auf der Hand, dass bei solchen kollektiven Aktionen Verbindungen zwischen individuellem Laut und benutztem gesellschaftlichen Zeichen hergestellt werden. Die Entstehung einer solchen Verbindung liegt im Bereich der operanten Konditionierung. Auf diese Weise kann die gesellschaftliche Zeichenbedeutung mit einer Lautäußerung verbunden werden. Die gesellschaftliche Zeichenbedeutung wird auf diese Weise mit unterschiedlichen Individuen Lautäußerungen verbunden. Diese Fähigkeit nennen wir heute "Lesen". Beim ursprünglichen Lesen wurde die Bedeutung von Werkzeugen und vorsprachlichen Zeichen gelesen. sie wurden in Lauten "ausgedrückt". Nur die Lautsprache hat die Ausdrucksfunktion, nur in ihr ist die Einheit von individuellem Sinn und gesellschaftlicher Bedeutung gegeben. Beim Lesen - auch beim Lesen der später entstehenden Schrift, drückt das lesende Individuum seine individuelle Befindlichkeit in einer objektiven Bedeutung aus. Das ist das Besondere, das mit der Lautsprache entsteht. Nichtsprachliche Zeichen haben keine Ausdrucksfunktion, sie haben keine prosodischen Eigenschaften.
Die ursprüngliche Lautsprache kann als ganz individuelles Gebilde gedacht werden. Jeder spricht seine eigene Sprache. Unsere bisherigen Kenntnisse über die Kommunikation insbesondere bei Schimpansen (z.B. bei Savage-Rumbaugh und Cheney & Seyfarth) lassen die Annahme zu, dass jedes Mitglied einer Gruppe die Lautäußerungen aller anderen versteht uns Schimpansen sich auf diese Weise verständigen.

Durch diesen vorsprachlichen Tanz kann der Mangel der vorsprachlichen Zeichen bei der Planung des zeitlichen Ablaufs der kollektiven Tätigkeit ausgeglichen werden. Der vorsprachliche Gesang kann die die Durchführung der einzelnen Operationen auch synchronisieren, wenn die Teilnehmer an der gemeinsamen Tätigkeit einander nicht sehen.
Durch kollektive Imitation von Lautäußerungen, durch Lesen im Chor können die gemeinsamen Zeichenbedeutungen auch einem bestimmten Laut aus dem potentiellen Repertoire zugeordnet werden. Das würde die Synchronisation der Operationen effektiver machen. So entstünde das erste Wort einer gemeinsamen Sprache durch gemeinsames Lesen.
Die auf gemeinsamer Anschauung beruhende gesellschaftliche Zeichenbedeutung existiert vor der Entstehung des Wortes. Die gemeinsame Lautäußerung übernimmt eine vorhandene und bereits angeeignete, verinnerlichte gesellschaftliche Bedeutung.
Die Entstehung der Sprache beruht also darauf, dass die individuellen Lautäußerungen mit den gesellschaftlichen Zeichen verbunden werden. Beide haben unterschiedliche Ursprünge. Wir finden sie in der Zeichenfunktion und der Ausdrucksfunktion der Lautsprache wieder.
Die Einheit dieser beiden Funktionen ermöglicht die Spezifik der Kommunikationsfunktion der Sprache, die nicht nur darin besteht, Kommunikation auch dann zu ermöglichen, wenn die Kommunikationspartner einander nicht sehen, sondern auch und vor allem darin, den Anderen über den eigenen inneren Zustand zu informieren. Mit dem Zurufen eines Wortes erfährt der Andere nicht nur, was er tun soll, sondern auch, was der Eine will, dass er tut. So wird in der Sprache die gesellschaftliche Bedeutung einer sozialen Operation mit deren individuellen Sinn für den Einen verbunden.
Beim Lesen fügt der Lesende den nicht lautsprachlichen Zeichen individuelle psychische Komponenten hinzu, er verleiht ihnen seinen individuellen Sinn, der beim Gebrauch der gesellschaftlichen Sprache auch ein gemeinsamer, ein vergesellschafteter individueller Sinn ist. Dadurch entsteht das besondere Spannungsverhältnis des Gebrauchs einer gesellschaftlichen Sprache, das im jeweils individuellen Verhältnis zwischen dem, was das Individuum subjektiv ausdrücken will und dem, was als „Durchschnitt“ des von allen gewollten Ausdrucks in den gemeinsamen Bestand der Lautsprache eingeht.
Mit dem Wort verlässt die Lautäußerung ihr „solipsistisches Gefängnis“ und der individuelle Sinn erwirbt die unendliche Freiheit der gesellschaftlichen Bedeutungen.
Deshalb ist die Lautsprache nicht nur ein Zeichensystem neben den vorsprachlichen Zeichen. Lesen ist nicht das Übersetzen des einen Zeichensystems in ein anderes. Beim Lesen werden den gelesenen Zeichen individuelle Komponenten des Sprechers hinzugefügt, die diese ohne die Lautsprache nicht erhalten können. Zugleich aber erhalten auch die Laute des Sprechers mit der gesellschaftlichen Bedeutung neue Eigenschaften, die sie ohne die vorsprachlichen Zeichen nicht gewinnen könnten. Vorsprachliche Zeichen und Lautsprache sind zwei eigenständige Zeichensysteme, die nun miteinander neue Möglichkeiten der Kommunikation und der Erkenntnis öffnen.

Mit der kollektiven Imitation von Lautzeichen und der damit verbundenen Übernahme der gesellschaftlichen Bedeutung der zugeordneten Zeichen werden zugleich die im Laut ausgedrückten individuellen psychischen Inhalte (Ziele, Wünsche, Motive usw.) dem Zeichen zugeordnet. Damit werden auch diese individuellen psychischen Inhalte vergegenständlicht und auf diese Weise vergesellschaftet.
Mit dem Entstehen der Lautsprache erhalten auch die vorsprachlichen Zeichen neue Eigenschaften. Indem das Zeichen benannt - gelesen - wird, erhält es durch den Laut ebenfalls eine expressive Funktion. Das vorsprachliche Zeichen wird durch die Lautsprache zum sprachlichen Zeichen, das sowohl etwas bezeichnet als auch etwas ausdrückt.
Die expressive Funktion des sprachlichen Zeichens ist an das gesprochene Wort gebunden und besteht nur in der mündlichen Kommunikation. Außerhalb dieser Situation ist das Zeichen wieder neutral, es drückt keine psychischen Komponenten wie Motive oder Ziele aus, sondern bezeichnet nur seinen Gegenstand.

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Als die Menschen entdeckt hatten, dass die Zeichenbedeutung gleichgültig gegen die Zeichengestalt ist und Laute vorsätzlich gestaltet werden können, konnten bald Laute auch unmittelbar als Zeichen konstruiert werden. Daraus ergäbe sich eine Reihe von Folgerungen:

·         Mit den Lautzeichen werden flüchtige Zeichen gestaltet, die keine dauerhafte und vom Erzeuger unabhängige Existenz haben. Lautzeichen existieren nur für die Zeit der Lautäußerung und als Einheit von gesellschaftlicher Bedeutung und individuellem Sinn.
·        
Während die Bedeutung vorsprachlicher Zeichen als Beziehung zu dem bezeichneten Objekt durch öffentliche Manipulation mit beiden auf dem Wege der Anschauung vergesellschaftet werden kann, ist das bei Lautzeichen wegen deren flüchtiger Existenz nicht möglich. Die Beziehung zwischen Laut und Bedeutung kann nicht auf dem Wege der Wahrnehmung hergestellt werden. Das kann nur in und durch Kommunikation erfolgen. Vorsprachliche Zeichen ermöglichen Kommunikation, Lautzeichen erfordern diese. Die Bedeutung vorsprachlicher Zeichen entsteht durch öffentliche Manipulation von Zeichen und Bezeichnetem im Prozess der Planung kollektiver Tätigkeit, die Bedeutung sprachlicher Zeichen entsteht dagegen in der Kommunikation zur Planung kollektiver Tätigkeiten.
·        
Lautzeichen - Worte sind Zeichen einer besonderen Art. Sie sind keine "Metazeichen", keine Zeichen von Zeichen. Als Zeichen sind die Worte eigenständige Bedeutungsträger, die eine eigenständige Beziehung zu ihren Bedeutungen eingegangen sind.
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Indem die entstehende Sprache die gesellschaftliche Bedeutung der Zeichen übernimmt, übernimmt sie auch die bei den Zeichen bereits entwickelte Syntax. Auch die Syntax der Sprache wäre in dieser Sicht bereits vor der Sprache entstanden und im vorsprachlichen Zeichensystem gegeben.
·         Damit wäre der „Ort“ der Syntax das gesellschaftliche System der Zeichen und nicht eine neuronale Struktur, sei diese genetisch determiniert oder erlernt. Beide Sichten sind im traditionellen solipsistischen Paradigma beheimatet, in dem a priori das individuelle Gehirn als Ort der Sprache postuliert wird.
·        
Der Umstand, dass Regeln des Zusammenfügens von Zeichen bereits vor der Entstehung der Lautsprache existieren und für die Lautzeichen übernommen werden, hat zur Folge, dass diese Regeln auch für die Konstruktion neuer Lautzeichen übernommen werden. Sie bilden die ursprüngliche Morphologie der entstehenden Lautsprache. Neue Lautzeichen, neue Worte, werden also von Anfang an nicht regellos und zufällig gebildet.
·        
Der Semiotik, die sich als die Lehre von den Zeichen definiert, fehlt die Idee vorsprachlicher Zeichen. Sie baut auf dem sprachlichen Zeichen auch und verallgemeinert den Zeichenbegriff auf die von sprachlichen Zeichen abgeleiteten sprachlosen Zeichen. Diese sind aber gewissermaßen sprachliche Zeichen, denen die Sprache abhanden gekommen ist und nicht sprachlose Zeichen im eigentlichen Sinne des Wortes.

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Neben diesen Merkmalen der kommunikativen Funktion der Lautsprache entstehen auch neue Möglichkeiten der gnostischen Funktion der Lautsprache. Auf einige soll kurz verwiesen werden:

·         Das Denken mit vorsprachlichen Zeichen erfasst nur die Planung der gleichzeitig auszuführenden individuellen Operationen. Die Feinplanung dieser Operationen bezieht sich jedoch auf die nacheinander auszuführenden Aktionen, erfordert also eine sequentielle Organisation der Zeichen. Um die zeitliche Folge von Aktionen mittels vorsprachlicher Zeichen abzubilden, müsste die zeitliche Abfolge in eine geeignete (beispielsweise lineare) räumliche Anordnung der Zeichen „übersetzt“ werden. Darstellung und Lesen einer zeitlichen Folge mittels fester Zeichen erforderte dann eine zusätzliche gedankliche Operation, durch welche die räumliche Ordnung als eine zeitliche Folge interpretiert wird. Für diesen Zweck ist der Gebrauch sprachlicher Zeichen erheblich einfacher, denn Lautsprache ist per se sequenziell organisiert.
Das vorsprachliche Denken kann nur in unmittelbarer Gemeinschaft erfolgen, was durch Sprechen eher behindert wird (wie wir aus Erfahrung wissen). Erst mit dem Erwerb der Sprache kann der Einzelne auch allein, für sich, Denken und Erkennen. Diese Eigenständigkeit des Denkens ermöglicht es auch dem Einzeln, den sequenziellen Ablauf seiner individuellen Aktionen abzubilden und zu planen.

·         Die Herausbildung dieser Fähigkeit eröffnet auch neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Verhältnisses des Individuums zu seiner Gesellschaft, des Verhältnisses des Einen zu den Anderen. Das Individuum kann im eigenständigen Denken Erkenntnisse hervorbringen und diese in der Kommunikation in den Bestand der gesellschaftlichen Erkenntnis einbringen. Damit entsteht eine neue Form der Entwicklung der Kultur.
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Das Erkennen, d.h. das Denken (Abbilden) mittels vorsprachlicher Zeichen kann Eigenschaften und deren Träger nicht trennen. Vorsprachliche Zeichen können für Objekte und Operationen oder Klassen von Objekten und Operationen stehen. Sie können auch für Teile von Objekte oder Klassen von Objekten stehen. Diese Objekte werden aber stets mit der Gesamtheit ihrer Eigenschaften abgebildet. Eine Eigenschaft für sich, beispielsweise „grün“, „schwer“ oder „schnell“ kann auf vorsprachliche Zeichen nicht abgebildet werden. Dazu ist zumindest die Lautsprache erforderlich. Erst sie kann nicht nur die Bedeutung vom gesellschaftlichen Gegenstand, ihrem Träger,  trennen, sondern auch Eigenschaften von deren Träger.

Im Jahr 2005 veröffentlichte D. Everett Daten über die bisher unbekannte Sprache der Pirahãs, eines Stammes im brasilianischen Urwald. Diese ist unter anderem dadurch ausgezeichnet, dass sie keine Wörter für Farben und Zahlen besitzt. Ihre Gedankenwelt ist eine Welt der "unmittelbaren Erfahrung". Dieses Niveau der Sprache müsste die Sprache gehabt haben, die unmittelbar auf das Niveau des hypothetisch postulierten vorsprachlichen Denkens () folgen sollte. Everett´s empirische Daten bestätigen so meine theoretisch entwickelte Annahme.

Die Entdeckung dieser Eigenschaft der lautsprachlichen Zeichen muss eine Revolution im Denken der Menschen gewesen sein. Waren die ersten Worte noch auf die vorsprachlichen Zeichen bezogen, von denen sie ihre Bedeutung erhielten, Konnten die Bedeutung der Worte zu Bezeichnung von Eigenschaften nicht mehr von vorsprachlichen Zeichen bezogen werden, da diese ja zur Bezeichnung von Eigenschaften ungeeignet sind. Die erforderlichen neuen Worte konnten nur aus bereits vorhandenen Worten abgeleitet werden. Es lässt sich hier begründet vermuten, dass diese Entwicklung mit der Erfindung der Regeln der Morphologie einher ging.
Auf diesen Grundlagen entwickelte sich die Sprache schließlich zu einem universellen Zeichensystem, das die vorsprachlichen Zeichen verdrängte und vollständig ersetzte. Heute benutzen wir keine vorsprachlichen Zeichen mehr. Ihre Eigenschaft und Funktionen können wir nur noch theoretisch rekonstruieren.
Soweit sie mir bekannt sind, sind die empirisch gesicherten Daten aus Verhaltensbiologie, Neurologie, Psychologie und Linguistik mit dieser Hypothese nicht nur verträglich, sondern fänden eine logisch widerspruchsfreie und einheitliche Erklärung. Das gilt auch für die empirischen Daten über die Aneignung der Sprache durch die Kinder. Diese Daten können in diesem Begriffssystem nicht nur widerspruchsfrei abgebildet werden, sie fänden auch ihre Erklärung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erläuterndes:
Die notwendige Gemeinschaft-lichkeit des vorsprachlichen Denkens folgt daraus, dass der Einzelne Informationen über die Aufteilung der zu planenden Tätigkeit nur aus der Anschauung der Aufteilung der Werkzeuge oder ihrer Zeichen auf die Einzelnen entnehmen kann. Dazu müssen alle Teilnehmer an der kollektiven Tätigkeit anwesen anwesend sein. Wenn er allein ist, kann er keine Vorstellung über die Operationen der Anderen entwickeln.

 

Ergänzendes
Die Großwildjagd hat in in einer bestimmten Etappe der menschlichen  Entwicklung eine bestimmende Rolle gespielt. In dieser Zeit wurden die Großjäger (Säbelzahntiger, Höhlenbär u.a.) von kleineren aber kollektiv jagenden Räubern wie Wölfen oder Hyänen abgelöst. Die sich entwickelnden Menschen besetzten die gleiche ökologische Nische und  mussten sich der anderen kollektiv jagenden Jäger stellen. Dabei spielten Planung und Organisation des kollektiven Zusammenwirkens eine bedeutsame Rolle. Die Erfindung der Zeichen und die Lautsprachen begründeten die Überlegenheit der menschlichen Jäger. Nur wurden schließlich erfolgreiche Jäger von Mammut und Wal.

 

Alexei Nikolajewitsch Leontjew
hat wohl als Erster zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und individuellem Sinn als psychologische Kategorien unterschieden und maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Kategorien in der kulturhistorischen Schule und der daraus abgeleiteten Pädagogik bis heuten eine besondere Rolle spielen.

 

Angemerkt: Auch heute noch wird das gemeinsame laute Lesen noch beim Lesenlernen eingesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alices Katze
Lewis Caroll hat die Lösung Einer Eigenschaft von ihrem Träger Am Beispiel der grinsenden Katze in Wunderlang: "´Richtig´, sagte die Katze und dann verschwand sie ganz langsam, angefangen von der Schwanzspitze bis zu ihrem Grinsen, das noch blieb, als alle übrige schon längst weg war.
´Na so was!´ dachte Alice, ´eine Katze die grinst mag ja sein, aber einen Grinsen ohne Katze ist total verrückt!´" (S.52)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zitiertes:
"Die Pirahã besitzen keine Wörter für Zahlen, keine für Farben, keine für ges­tern und heute. Sie denken niemals über ihre Ahnen nach, deshalb haben sie kein Wort für "Urgroßvater". Sie scheitern schon daran, die Regeln für den Bau eines Kanus zu memorieren: zu abstrakt. Dieses Volk, wie Everett es be­schrieb, hat mit dem, was wir unter .Menschsein" verstehen, wenig zu tun. Es schafft keine Kunstwerke. Es kennt keine Mär­chen, keine Mythen, keine Erzählungen vom Anfang der Dinge. Dabei sind die Pirahã nicht dumm. Nur leben sie einzig im Konkreten: Das Erfahren des Augenblicks kümmert sie; was dar­über hinausgeht, macht sie sprachlos. Sie werden nie über etwas reden, was sie nicht selbst sehen oder selbst gesehen haben. Everett nennt die Art, wie die Pirahã ihr Dasein gestalten, das "Prinzip der Unmittel­baren Erfahrung" (PUE). Was dem PUE entgegenläuft, wird abgelehnt" Geo Heft 1/2010, S.56ff.))

Weiterführende Links:
Alexei Nikolajewitsch Leontjew, Kulturhistorische Schule

Lisa Rosa: "Was hat das mit mir zu tun?", Persönlicher Sinn und historisch-politisches Lernen
Daniel L. Everett's Website
Fotos aus dem Leben der Pirahãs

Weiterführende Literatur:
Savage-Rumbaugh, Sue; Lewin, Roger (1995): Kanzi der sprechende Schimpanse - Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, Droemer Knaur, München/Zürich,
Cheney, Dorothy L.; Seyfarth, Robert M. (1994): Wie Affen die Welt sehen * Das Denken einer anderen Art, Carl Hanser Verlag, München Wien,
Bruner, Jerome (): Wie das Kind sprechen lernt, Hans Huber, Bern, Stuttgart, Toronto,
Cultural Constraints on Grammar and Cognition in Pirahã: Another Look at the Design Features of Human Language (In Current  Anthropology V. 46, 4, August–October 2005)
Leontjew, Alexej (1971): Probleme der Entwicklung des Psychischen, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin,
Leontjew, Alexej (1979): Tätigkeit-Bewußtsein-Persönlichkeit, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin,
Caroll, Lewis (1993): Alice im Wunderland, Lentz Verlag München.

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© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 25.05.2011