Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.
Die
Entdeckung der Laute
(Entwurf)
Da wir heute ausschließlich mit sprachlichen Zeichen
operieren, werden die Fähigkeiten der Erzeugung ideeller Objekte nur der
Verwendung der sprachlichen Zeichen zugeschrieben. Wie gezeigt wurde, ist
Sprache für das Erzeugen von einfachen ideellen Objekten und das Operieren
mit diesen nicht erforderlich. Sie können bereits mit vorsprachlichen
Zeichen erzeugt werden. Fähigkeiten dieser Art sind nicht Ergebnis
der Entwicklung der Sprache, sondern ihre Voraussetzung.
Die Entwicklung zunächst der Lautsprache und dann der Schrift ermöglichten
die Herausbildung weiterer operativer, kommunikativer, intellektueller und
anderer Leistungen und Fähigkeiten der Menschen.
In der Linguistik und Semiotik werden Zeichen nur als sprachliche Zeichen
betrachtet und die Zeichen der Lautsprache und der Schriftsprache werden
weitgehend als gleichartig betrachtet. Die in so beschriebenen
Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten werden beiden Formen der Sprache in
gleicher Weise zugeschrieben. Damit bleiben die Spezifika beider
unthematisiert. Fragen danach, ob alle Formen von Zeichen (vorsprachliche
Zeichen, Laute und Schrift) für alle Anliegen der Kommunikation und alle
Aufgaben des Erkennens in gleichem Maße geeignet sind, bleiben ungestellt.
Die folgenden Überlegungen treffen zunächst nur auf die Lautsprache zu.
Erst auf ihrer Grundlage werden die Besonderheiten der Schriftsprache
verstehbar.
Der ursprüngliche Zweck der Kommunikation ist die Organisation der
kollektiven Tätigkeit. Mittels vorsprachlicher Zeichen werden den
Einzelnen bestimmte Operationen innerhalb der gemeinsamen Tätigkeit
zugeordnet, die dieser im Rahmen dessen, was er angeeignet (,
) hat, („nach
besten Wissen und Gewissen“) ausführt.
Jeder Mitwirkende denkt dabei seine Operation bereits in der
Vorbereitungsphase als Anteil an der gemeinsamen Tätigkeit. Das kann er in
einer sprachlosen Gesellschaft nur in der Gemeinschaft mit den anderen,
wenn alle Werkzeuge bzw. deren Zeichen und alle Teilnehmer an der
kollektiven Tätigkeit anwesend sind..
Damit vollzieht sich auch das ursprüngliche Denken auf
dem Niveau gleichzeitig stattfindender kooperativer Operationen der
Individuen. Es können nur alle Individuen gemeinsam und in gleicher Weise
denken – oder gar nicht. Das ursprüngliche Denken kann nicht als Leistung
eines isolierten Individuums gedacht werden. Denken mittels Zeichen ist von Beginn an
eine kollektive Leistung.
Die Feinsteuerung der Ausführung der einzelnen Operationen erfolgt jedoch auf
Initiative des Einzelnen und eine Abstimmung mit den Anderen kann nur auf
Sicht erfolgen, nach der Methode „haltet den Dieb“ oder wie beim
Fußballspiel. Eine anpassende Steuerung der individuellen Operationen ohne
Sicht ist auf diesem Niveau der Planung nicht möglich. Die Kommunikation
mittels vorsprachlicher Zeichen kann nur „auf Sicht“
erfolgen, wenn die Teilnehmer für einander anschaubar sind. Individuen,
die einander nicht sehen, können mit vorsprachlichen Zeichen nicht
kommunizieren.
Erst die Lautsprache erweitert die operativen Funktionen der
Zeichen und ermöglicht auch Kommunikation von Individuen, die einander
nicht sehen (z.B. im Wald). Erst mit der Lautsprache wird eine anpassende
Feinsteuerung der individuellen Aktionen im Ablauf der kollektiven
Tätigkeit möglich.
Die Voraussetzung für die Herausbildung einer gemeinsamen
Lautsprache ist die Existenz eines gemeinsamen Zeichensystems,
das bereits Träger gemeinsamer Bedeutungen ist. Nach ihm ein Zeichen
übergeben wurde, weiß jeder Teilnehmer einer kollektiven Tätigkeit, welche
soziale Funktion er zu erfüllen hat. Er weiß, was er zu tun hat.
Der zeitliche Ablauf der kollektiven Aktion, das Wie der
Durchführung der Operation, ist damit noch nicht geplant. Mit der
Aneignung des Zeichens wird ja noch nicht die Funktion selbst ausgeführt.
Der Besitzer des Zeichens ist ja erst in einer „als ob“ – Situation. Er
kann so tun, als ob er Treiber oder Fänger wäre. Wenn nach der Verteilung
der Zeichen alle so tun, als ob sie ihre Operation ausführten, die
geplante Operation also "pantomimisch" darstellen, entsteht
eine Situation, die wir heute wohl als „Tanz“ bezeichnen
würden.
Die weitere Annahme, dass Individuen
Laute hervorbringen, die ihren inneren Zustand ausdrücken und andere
darüber informieren, ist durch
Beobachtungen an rezenten Menschenaffen gut begründet. Wenn nun die
Teilnehmer eines solchen „Tanzes“ ihre individuellen Aktionen mit
Lautäußerungen begleiten, würden wir diese heute vielleicht als „Gesang“ bezeichnen.
Tatsächlich sähe ein solches Verhalten dem, was wir heute als „Tanz“ und
„Gesang“ bezeichnen, nur äußerlich ähnlich. Heute drücken Tanz und Gesang
ideelle Inhalte aus, die zuvor sprachlich gedacht sind. Tanz und Gesang
sind heute selbst Sprachen. Ihre Produktion und ihr Verständnis setzen die
Existenz von Sprache voraus. Hier aber würden sie vorsprachlich, ohne das
Vorhandensein von Sprache erzeugt. Und „vorsprachliches“ Verhalten ist
etwas prinzipiell Anderes als „sprachloses“ Verhalten, das durch Weglassen
der Lautsprache erzeugt wird.
Die ursprünglichen Laute können zunächst ganz individuell sein, auch wenn gleiche
Zustände ausgedrückt werden. Laute haben ursprünglich nur eine
expressive Funktion, aber (noch) keine Zeichenfunktion, sie haben
noch keinen gegenständlichen Bezug. Deshalb kann mit ihnen noch keine
"echte" Kommunikation realisiert werden. Es findet höchstens
"Pseudokommunikation statt.
Es liegt aber auf der Hand, dass bei solchen kollektiven Aktionen
Verbindungen zwischen individuellem Laut und benutztem gesellschaftlichen
Zeichen hergestellt werden. Die Entstehung einer solchen Verbindung liegt
im Bereich der operanten Konditionierung. Auf diese Weise kann die
gesellschaftliche Zeichenbedeutung mit einer Lautäußerung verbunden
werden. Die gesellschaftliche Zeichenbedeutung wird auf diese Weise mit
unterschiedlichen Individuen Lautäußerungen verbunden. Diese Fähigkeit
nennen wir heute "Lesen". Beim ursprünglichen Lesen wurde
die Bedeutung von Werkzeugen und vorsprachlichen Zeichen gelesen. sie
wurden in Lauten "ausgedrückt". Nur die Lautsprache hat die
Ausdrucksfunktion, nur in ihr ist die Einheit von individuellem Sinn und
gesellschaftlicher Bedeutung gegeben. Beim Lesen - auch beim Lesen der
später entstehenden Schrift, drückt das lesende Individuum seine
individuelle Befindlichkeit in einer objektiven Bedeutung aus. Das ist das
Besondere, das mit der Lautsprache entsteht. Nichtsprachliche Zeichen
haben keine Ausdrucksfunktion, sie haben keine
prosodischen Eigenschaften.
Die ursprüngliche Lautsprache kann als ganz individuelles Gebilde gedacht
werden. Jeder spricht seine eigene Sprache. Unsere bisherigen Kenntnisse
über die Kommunikation insbesondere bei Schimpansen (z.B. bei
Savage-Rumbaugh und Cheney & Seyfarth) lassen die
Annahme zu, dass jedes Mitglied einer Gruppe die Lautäußerungen aller
anderen versteht uns Schimpansen sich auf diese Weise verständigen.
Durch diesen vorsprachlichen Tanz kann der Mangel der vorsprachlichen
Zeichen bei der Planung des zeitlichen Ablaufs der kollektiven Tätigkeit
ausgeglichen werden. Der vorsprachliche Gesang kann die die Durchführung
der einzelnen Operationen auch synchronisieren, wenn die Teilnehmer an der
gemeinsamen Tätigkeit einander nicht sehen.
Durch kollektive Imitation von Lautäußerungen, durch
Lesen im Chor können
die gemeinsamen Zeichenbedeutungen auch einem bestimmten Laut aus
dem potentiellen Repertoire zugeordnet werden. Das würde die
Synchronisation der Operationen effektiver machen. So entstünde das
erste Wort einer gemeinsamen Sprache durch gemeinsames Lesen.
Die auf gemeinsamer Anschauung beruhende gesellschaftliche
Zeichenbedeutung existiert vor der Entstehung des Wortes. Die gemeinsame
Lautäußerung übernimmt eine vorhandene und bereits angeeignete,
verinnerlichte gesellschaftliche Bedeutung.
Die Entstehung der Sprache beruht also darauf, dass die individuellen
Lautäußerungen mit den gesellschaftlichen Zeichen verbunden werden. Beide
haben unterschiedliche Ursprünge. Wir finden sie in der Zeichenfunktion
und der Ausdrucksfunktion der Lautsprache wieder.
Die Einheit dieser beiden Funktionen ermöglicht die Spezifik der
Kommunikationsfunktion der Sprache, die nicht nur darin besteht,
Kommunikation auch dann zu ermöglichen, wenn die Kommunikationspartner
einander nicht sehen, sondern auch und vor allem darin, den Anderen über
den eigenen inneren Zustand zu informieren. Mit dem Zurufen eines Wortes
erfährt der Andere nicht nur, was er tun soll, sondern auch, was der Eine
will, dass er tut. So wird in der Sprache die gesellschaftliche Bedeutung einer
sozialen Operation mit deren individuellen Sinn für den Einen verbunden.
Beim Lesen fügt der Lesende den nicht lautsprachlichen Zeichen
individuelle psychische Komponenten hinzu, er verleiht ihnen seinen
individuellen Sinn, der beim Gebrauch der gesellschaftlichen Sprache auch
ein gemeinsamer, ein vergesellschafteter individueller Sinn ist. Dadurch
entsteht das besondere Spannungsverhältnis des Gebrauchs einer
gesellschaftlichen Sprache, das im jeweils individuellen Verhältnis
zwischen dem, was das Individuum subjektiv ausdrücken will und dem, was
als „Durchschnitt“ des von allen gewollten Ausdrucks in den gemeinsamen
Bestand der Lautsprache eingeht.
Mit dem Wort verlässt die Lautäußerung ihr „solipsistisches
Gefängnis“ und der individuelle Sinn erwirbt die unendliche Freiheit der
gesellschaftlichen Bedeutungen.
Deshalb ist die Lautsprache nicht nur ein Zeichensystem neben
den vorsprachlichen Zeichen. Lesen ist nicht das Übersetzen des einen
Zeichensystems in ein anderes. Beim Lesen werden den gelesenen Zeichen
individuelle Komponenten des Sprechers hinzugefügt, die diese ohne die
Lautsprache nicht erhalten können. Zugleich aber erhalten auch die Laute
des Sprechers mit der gesellschaftlichen Bedeutung neue Eigenschaften, die
sie ohne die vorsprachlichen Zeichen nicht gewinnen könnten.
Vorsprachliche Zeichen und Lautsprache sind zwei eigenständige
Zeichensysteme, die nun miteinander neue Möglichkeiten der Kommunikation
und der Erkenntnis öffnen.
Mit der kollektiven Imitation von Lautzeichen und der
damit verbundenen Übernahme der gesellschaftlichen Bedeutung der
zugeordneten Zeichen werden zugleich die im Laut ausgedrückten individuellen
psychischen Inhalte (Ziele, Wünsche, Motive usw.) dem Zeichen zugeordnet.
Damit werden auch diese individuellen psychischen Inhalte
vergegenständlicht und auf diese Weise vergesellschaftet.
Mit dem
Entstehen der Lautsprache erhalten auch die vorsprachlichen Zeichen neue
Eigenschaften. Indem das Zeichen benannt - gelesen - wird, erhält es
durch den Laut ebenfalls eine expressive Funktion. Das vorsprachliche
Zeichen wird durch die Lautsprache zum sprachlichen Zeichen, das sowohl
etwas bezeichnet als auch etwas ausdrückt.
Die expressive Funktion des sprachlichen Zeichens ist an das
gesprochene Wort gebunden und besteht nur in der mündlichen Kommunikation.
Außerhalb dieser Situation ist das Zeichen wieder neutral, es drückt keine
psychischen Komponenten wie Motive oder Ziele aus, sondern bezeichnet nur
seinen Gegenstand.
*
Als die Menschen entdeckt hatten, dass die
Zeichenbedeutung gleichgültig gegen die Zeichengestalt ist und Laute
vorsätzlich gestaltet werden können, konnten bald Laute auch
unmittelbar als Zeichen konstruiert werden. Daraus ergäbe sich
eine Reihe von Folgerungen:
·
Mit den Lautzeichen werden flüchtige Zeichen gestaltet, die
keine dauerhafte und vom Erzeuger unabhängige Existenz haben. Lautzeichen
existieren nur für die Zeit der Lautäußerung und als Einheit von
gesellschaftlicher Bedeutung und individuellem Sinn.
·
Während die Bedeutung vorsprachlicher Zeichen als
Beziehung zu dem bezeichneten Objekt durch öffentliche Manipulation mit
beiden auf dem Wege der Anschauung vergesellschaftet werden kann, ist das
bei Lautzeichen wegen deren flüchtiger Existenz nicht möglich. Die
Beziehung zwischen Laut und Bedeutung kann nicht auf dem Wege der
Wahrnehmung hergestellt werden. Das kann nur in und durch Kommunikation
erfolgen. Vorsprachliche Zeichen ermöglichen Kommunikation,
Lautzeichen erfordern diese. Die Bedeutung vorsprachlicher Zeichen
entsteht durch öffentliche Manipulation von Zeichen und Bezeichnetem im
Prozess der Planung kollektiver Tätigkeit, die Bedeutung sprachlicher
Zeichen entsteht dagegen in der Kommunikation zur Planung kollektiver
Tätigkeiten.
·
Lautzeichen - Worte sind Zeichen einer besonderen Art. Sie sind keine
"Metazeichen", keine Zeichen von Zeichen. Als Zeichen sind die Worte
eigenständige Bedeutungsträger, die eine eigenständige Beziehung zu ihren
Bedeutungen eingegangen sind.
·
Indem die entstehende Sprache die gesellschaftliche Bedeutung der
Zeichen übernimmt, übernimmt sie auch die bei den Zeichen bereits
entwickelte Syntax. Auch die Syntax der Sprache wäre in dieser Sicht
bereits vor der Sprache entstanden und im vorsprachlichen Zeichensystem
gegeben.
·
Damit wäre der „Ort“ der Syntax das gesellschaftliche System der Zeichen
und nicht eine neuronale Struktur, sei diese genetisch determiniert oder
erlernt. Beide Sichten sind im traditionellen solipsistischen Paradigma
beheimatet, in dem a priori das individuelle Gehirn als Ort der
Sprache postuliert wird.
·
Der Umstand, dass Regeln des Zusammenfügens von Zeichen bereits vor
der Entstehung der Lautsprache existieren und für die Lautzeichen
übernommen werden, hat zur Folge, dass diese Regeln auch für die
Konstruktion neuer Lautzeichen übernommen werden. Sie bilden die
ursprüngliche Morphologie der entstehenden Lautsprache. Neue Lautzeichen,
neue Worte, werden also von Anfang an nicht regellos und zufällig
gebildet.
·
Der Semiotik, die sich als die Lehre von den Zeichen definiert,
fehlt die Idee vorsprachlicher Zeichen. Sie baut auf dem sprachlichen
Zeichen auch und verallgemeinert den Zeichenbegriff auf die von
sprachlichen Zeichen abgeleiteten sprachlosen Zeichen. Diese sind aber
gewissermaßen sprachliche Zeichen, denen die Sprache abhanden gekommen ist
und nicht sprachlose Zeichen im eigentlichen Sinne des Wortes.
*
Neben diesen Merkmalen der kommunikativen Funktion
der Lautsprache entstehen auch neue Möglichkeiten der gnostischen
Funktion der Lautsprache. Auf einige soll kurz verwiesen
werden:
·
Das Denken mit vorsprachlichen Zeichen erfasst nur die
Planung der gleichzeitig auszuführenden individuellen Operationen. Die
Feinplanung dieser Operationen bezieht sich jedoch auf die nacheinander
auszuführenden Aktionen, erfordert also eine sequentielle Organisation der
Zeichen. Um die zeitliche Folge von Aktionen mittels vorsprachlicher
Zeichen abzubilden, müsste die zeitliche Abfolge in eine geeignete
(beispielsweise lineare) räumliche Anordnung der Zeichen „übersetzt“
werden. Darstellung und Lesen einer zeitlichen Folge mittels fester
Zeichen erforderte dann eine zusätzliche gedankliche Operation, durch
welche die räumliche Ordnung als eine zeitliche Folge interpretiert wird.
Für diesen Zweck ist der Gebrauch sprachlicher Zeichen erheblich
einfacher, denn Lautsprache ist per se sequenziell organisiert.
Das vorsprachliche Denken kann nur in unmittelbarer Gemeinschaft erfolgen,
was durch Sprechen eher behindert wird (wie wir aus Erfahrung wissen).
Erst mit dem Erwerb der Sprache kann der Einzelne auch allein, für sich,
Denken und Erkennen. Diese Eigenständigkeit des Denkens ermöglicht es auch
dem Einzeln, den sequenziellen Ablauf seiner individuellen Aktionen
abzubilden und zu planen.
·
Die Herausbildung dieser Fähigkeit eröffnet auch neue
Möglichkeiten für die Gestaltung des Verhältnisses des Individuums zu
seiner Gesellschaft, des Verhältnisses des Einen zu den Anderen. Das
Individuum kann im eigenständigen Denken Erkenntnisse hervorbringen und
diese in der Kommunikation in den Bestand der gesellschaftlichen
Erkenntnis einbringen. Damit entsteht eine neue Form der Entwicklung der
Kultur.
·
Das Erkennen, d.h. das Denken (Abbilden) mittels vorsprachlicher
Zeichen kann Eigenschaften und deren Träger nicht trennen. Vorsprachliche
Zeichen können für Objekte und Operationen oder Klassen von Objekten und
Operationen stehen. Sie können auch für Teile von Objekte oder Klassen von
Objekten stehen. Diese Objekte werden aber stets mit der Gesamtheit ihrer
Eigenschaften abgebildet. Eine Eigenschaft für sich, beispielsweise
„grün“, „schwer“ oder „schnell“ kann auf vorsprachliche Zeichen nicht
abgebildet werden. Dazu ist zumindest die Lautsprache erforderlich. Erst
sie kann nicht nur die Bedeutung vom gesellschaftlichen Gegenstand, ihrem
Träger, trennen, sondern auch Eigenschaften von deren Träger.
Im Jahr 2005 veröffentlichte D. Everett
Daten über die bisher unbekannte Sprache der Pirahãs,
eines Stammes im brasilianischen Urwald. Diese ist unter anderem dadurch
ausgezeichnet, dass sie keine Wörter für Farben und Zahlen besitzt. Ihre
Gedankenwelt ist eine Welt der "unmittelbaren Erfahrung". Dieses Niveau
der Sprache müsste die Sprache gehabt haben, die unmittelbar auf das
Niveau des hypothetisch postulierten vorsprachlichen Denkens ()
folgen sollte. Everett´s empirische Daten bestätigen so meine theoretisch entwickelte
Annahme.
Die Entdeckung dieser Eigenschaft der
lautsprachlichen Zeichen muss eine Revolution im Denken der Menschen
gewesen sein. Waren die ersten Worte noch auf die vorsprachlichen Zeichen bezogen,
von denen sie ihre Bedeutung erhielten, Konnten die Bedeutung der Worte zu
Bezeichnung von Eigenschaften nicht mehr von vorsprachlichen Zeichen
bezogen werden, da diese ja zur Bezeichnung von Eigenschaften ungeeignet
sind. Die erforderlichen neuen Worte konnten nur aus bereits vorhandenen
Worten abgeleitet werden. Es lässt sich hier begründet vermuten, dass
diese Entwicklung mit der Erfindung der Regeln der Morphologie
einher ging.
Auf diesen Grundlagen entwickelte sich die Sprache schließlich zu einem
universellen Zeichensystem, das die vorsprachlichen Zeichen verdrängte und
vollständig ersetzte. Heute benutzen wir keine vorsprachlichen Zeichen
mehr. Ihre Eigenschaft und Funktionen können wir nur noch theoretisch
rekonstruieren.
Soweit sie mir bekannt sind, sind die empirisch gesicherten Daten aus
Verhaltensbiologie, Neurologie, Psychologie und Linguistik mit dieser
Hypothese nicht nur verträglich, sondern fänden eine logisch
widerspruchsfreie und einheitliche Erklärung. Das gilt auch für die
empirischen Daten über die Aneignung der Sprache durch die Kinder. Diese
Daten können in diesem Begriffssystem nicht nur widerspruchsfrei
abgebildet werden, sie fänden auch ihre Erklärung.