Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Nichts ist in unseren Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.

Die Erfindung der Zeichen

Die Herausbildung der kulturellen Funktion der Werkzeuge ist eine notwendige Voraussetzung für die Erfindung der Zeichen. Wenn Werkzeuge aus dauerhaftem Material (z.B. Knochen, Stein) mit einem gewissen Aufwand zugerichtet worden sind, können sie nicht nur ad hoc für eine Tätigkeit verwendet werden, sondern werden auch für andere Tätigkeiten aufbewahrt und mehrfach verwendet. Die dauerhafte Verwendung individuell zugerichteter Werkzeuge hat nun Auswirkungen auf das Verhalten der anderen Mitglieder des Verbandes.

·         Infolge der ständigen Verbindung mit seinem Besitzer werden sie von anderen Mitgliedern des Verbandes als dessen individuelle Eigenschaft wahrgenommen, so wie andere individuelle Eigenschaften, an denen das Individuum erkannt wird (Färbung, Geruch usw.). Das Werkzeug wird zu einem individuellen Kennzeichen, dem Insignium seiner Funktion in der gemeinsamen Tätigkeit.
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Indem das Werkzeug von Einem bei arbeitsteilig ausgeführten Tätigkeiten der Gemeinschaft benutzt wird, wird das Insignium auch von den Anderen wahrgenommen. Sobald nun der Eine stirbt oder den Verband auf andere Weise ohne sein Werkzeug verlässt, erhält die gesellschaftliche Bedeutung des nun weiter existierenden Werkzeugs in der Wahrnehmung der Anderen eine eigenständige Existenz, sie wird vergegenständlicht. Die Vergegenständlichung ist keine Leistung des verstorbenen Schöpfers des Werkzeugs, sondern eine soziale Leistung der Zurückbleibenden, die ihr Bild der sozialen Bedeutung dem Werkzeug des gegangenen Individuums zuweisen.
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Durch diese Zuweisung wird das Werkzeug potenziell zu einem Gegenstand von Kultur. Als Kulturgegenstand wird es realisiert, indem es von einem Anderen individuell angeeignet wird. Aneignung vollzieht sich zunächst ganz profan, indem das Werkzeug in Besitz genommen wird, dann als geistige Aneignung, indem der Aneigner die von der Gesellschaft im Werkzeug vergegenständlichte gesellschaftliche Bedeutung entgegenständlicht (interiorisiert) und die dem Werkzeug zugehörige Operationen in der gemeinsamen arbeitsteiligen Tätigkeit vorbildgerecht ausübt.
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Die kulturelle Funktion der Werkzeuge ermöglicht es auch, diese zum Zweck der Planung und Organisation der gemeinsamen Arbeit und zur Kommunikation zu verwenden. So erhält das Werkzeug auch eine organisatorische und kommunikative Funktion In diesen Funktionen tritt die eigentliche technologische der Werkzeuge in den Hintergrund und ihre kommunikative und operative Funktion tritt in den Vordergrund. Sie werden nicht als Werkzeuge, sondern in bestimmten Operationen anstelle von Werkzeugen benutzt.
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Die Herausbildung der kulturellen Funktion des Werkzeugs erhält in der planenden Tätigkeit  eine weitere soziale Funktion, die symbolische oder die Zeichenfunktion. Das Werkzeug wird auchals Zeichen“ benutzt. In der Umgangssprache werden die Termini „Zeichen“ und „Symbol“ meist synonym verwendet. Auch in den verschiedenen wissenschaftlichen Fachsprachen ist die Verwendung nicht einheitlich. Bis auf weiteres verwende ich für diesen Zusammenhang ausschließlich das Wort „Zeichen“.
Die Unterscheidung zwischen Werkzeug und Zeichen ist zunächst keine gegenständliche Unterscheidung, sondern nur eine funktionelle.
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Diese Funktionserweiterung des Werkzeuggebrauchs beruht darauf, dass die Werkzeuge im Prozess der Aneignung durch die Mitglieder der Sozietät zu gegenständlichen Trägern ihrer individuellen psychischen Abbilder gemacht werden. Auf diese Weise werden die individuellen Abbilder zu gemeinsamen Abbildern, sie werden vergesellschaftet.

Auf dieser vorsprachlichen Entwicklungsstufe der Entwicklung des Menschen baut der nun mögliche nächste Schritt der Entwicklung auf. Er besteht in der Erzeugung einer neuen Klasse von Werkzeugen, deren eigentlicher Zweck die Planung und Organisation der Arbeit ist. Diese spezifischen Werkzeuge sind die Zeichen. Damit ist die Zeichenfunktion nicht mehr eine Funktion eines Werkzeugs neben anderen, sondern ist die dominierende Funktion eines spezifischen Werkzeugs geworden, eben des Zeichens. So wird die Unterscheidung Zwischen Werkzeug und Zeichen auch gegenständlich, die Termini „Werkzeug“ und „Zeichen“ bezeichnen unterschiedliche Gegenstände.
Damit verliert das Werkzeug natürlich nicht seine Zeichenfunktion, das Zeichen tritt nur als neuer Bedeutungsträger hinzu. Ob ein Werkzeug in seiner primären, „eigentlichen“ Funktion, als Werkzeug benutzt wird oder als Zeichen, hängt von der Phase der Tätigkeit ab, in der es verwendet wird. In der vorbereitenden, planenden Phase wird es in seiner Zeichenfunktion verwendet, erst in der Phase der Realisierung wird es in seiner Werkzeugfunktion verwendet. Durch die Übergabe eines Werkzeugs erfährt jeder, was er zu tun hat.
In Planungsphase der Tätigkeit kann das Werkzeug auch durch ein Zeichen ersetzt werden. Heute erfolgt die Zuordnung einer Bedeutung zu einem Zeichen meist durch die Sprache. In der vorsprachlichen Zeit erfolgte das unmittelbar in Tätigkeit. Die gesellschaftliche Bedeutung des Werkzeugs ist zunächst nur in den Werkzeugen der kollektiven Tätigkeit vergegenständlicht. In der Vorbereitung der Tätigkeit werden sie nun auf die Zeichen übertragen. Das den Individuen bereits aus der Anschauung bekannte psychische und abstrakte Bild des kollektiven Werkzeugs wird nun in den Zeichen vergegenständlicht. Auch vorsprachliche Zeichen können nur erzeugt werden, wenn die gesellschaftlichen Bedeutungen in der Kultur bereits gegeben sind.
Die Erfindung des neuen Werkzeugs „Zeichen“ setzt die Existenz der Kultur voraus. Kultur entsteht nicht erst mit der Erfindung der Zeichen. Kultur entsteht aus dem natürlichen Prozess der Aneignung von Kulturgegenständen. Kultur ermöglicht die Erfindung der Zeichen.
Mit den Zeichen werden die ersten spezifischen Werkzeuge der Kultur erfunden. Zeichen sind Werkzeuge, deren eigenständige Funktion das Hantieren mit vergegenständlichten vergesellschafteten psychischen Abbildern der Mitglieder einer Gemeinschaft, den Bedeutungen, ist. Zeichen sind ausschließlich Träger von Bedeutungen, Werkzeuge sind dies auch.
Zeichen dienen nicht dem Fangen oder Töten von Beute (auch wenn man sie ggf. zweckentfremdet so nutzen kann). Zur zweckentsprechenden Verwendung von Zeichen sind Tiere, auch Schimpansen nicht fähig.
Diese vorsprachlichen Zeichen entstehen vor der Sprache. Deshalb haben sie auch keine sprachliche Entsprechung, wie die sprachlosen Zeichen, die wir heute verwenden. Diese hypothetische Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, in der diese vorsprachlichen Zeichen die dominierende Form der Kommunikation (das „Leitmedium“) waren lässt sich archäologisch (noch?) nicht belegen. Das ist nicht nur deshalb so, weil nicht nach ihnen gesucht wurde, sondern vor allem wohl deshalb, weil diese ursprünglichen Zeichen vermutlich sinnvollerweise mit geringem Aufwand aus vergänglichem Material angefertigt wurden. Zum anderen sind sie vermutlich sehr schnell durch sprachliche Zeichen ersetzt worden, nachdem entdeckt worden war, dass die akustisch erzeugbaren Laute auch als Zeichen benutzt werden können.
Deshalb ist die Analyse der Fähigkeiten, welche die Menschen mit den vorsprachlichen Zeichen erworben haben und der Leistungen mit diesen vollbracht werden konnten, ebenfalls hypothetisch. Sie kann aber zeigen, auf welchem Wege die Menschen die Sprache hervorgebracht  haben können.
Voraussetzung für die Erfindung der Zeichen sind die Gegenstände der Kultur, d.h. die vergesellschafteten individuellen psychischen Abbilder. Die Zeichen werden von vorn herein als Träger der vergesellschafteten Abbilder konstruiert, die gesellschaftliche Bedeutung des Zeichens existiert vor dem Zeichen als gesellschaftliche Bedeutung eines Kulturgegenstandes. Die Vorstellung, dass den Zeichen eine Bedeutung verliehen wird, die erst nach dem Zeichen oder mit ihm entwickelt wird, muss also aufgegeben werden. Zeichen werden als Träger einer bereits existierenden sozialen Bedeutung konstruiert.
Der ursprüngliche Zweck der Zeichen ist der operative Zweck, d.h. die Planung und Organisation der kollektiven Tätigkeit. Die Zeichen treten an die Stelle der als Zeichen benutzten vergesellschafteten Werkzeuge.
Das verändert die Anforderungen an die psychische Leistungsfähigkeit radikal. Solange das Werkzeug direkt abgebildet wird, gibt es nur die zweistellige Relation Objekt – Abbild.

(1)                                  R(O,A)

Das Subjekt muss nur die Beziehung zwischen seinem psychischen Bild und dem Objekt der Vergegenständlichung beherrschen. Mit der Verwendung von Zeichen muss eine dritte Variable in den Abbildungsprozess einbezogen werden, das Zeichen. Die zu beherrschende Relation R1 ist nun dreistellig:

(2)                                  R1(O,A,Z)

Diese Beziehung ist dem Subjekt in der Realität gegeben und unterliegt der Wahrnehmung. Das Subjekt muss sein die psychisch repräsentierte gesellschaftliche Bedeutung des Werkzeugs zweifach vergegenständlichen, einmal im Werkzeug selbst und zum anderen im Zeichen. Dazu muss das Zeichen aber gesondertes Bild (als Bild des Zeichens) wahrgenommen und vergegenständlicht werden. Die Verbindung dieser beiden unterschiedlichen psychischen Entitäten wird in der Psychologie als „Assoziationen“ bezeichnet und beschrieben. Auf diesen psychologischen Aspekt will ich hier jedoch nicht eingehen. Hier soll es vor allem um den erkenntnistheoretischen Aspekt () gehen.
Die Relationen R und R1 beschreiben zwei psychische Leistungen, die als „Wahrnehmung“ und „Erkenntnis“ bezeichnet werden. Heute werden als „Zeichen“ primär sprachliche Zeichen (Laute und Schrift) verstanden. Sprachlose Zeichen wie beispielsweise Verkehrszeichen oder Noten sind von sprachlichen Zeichen abgeleitet und können auch durch Laute (Töne) und Schrift ersetzt werden.
Hier ist aber von vorsprachlichen Zeichen die Rede, die der Herausbildung sprachlicher Zeichen vorangeht. Sprache setzt Zeichen schon logisch voraus: Man kann Sprache nicht ohne Verwendung des Zeichenbegriffs definieren, wohl aber das Zeichen ohne die Verwendung der Kategorie „Sprache“. Die Kategorie „Zeichen“ ist also eine eigenständige, von der Kategorie der Sprache unabhängige Kategorie. Die Kategorie der Sprache erfordert dagegen die Kategorie des Zeichens. Das ist – so meine Hypothese - nicht nur logisch erforderlich, sondern die Zeichen gingen der Sprache auch historisch voraus. Die Herausbildung der eigenständigen vorsprachlichen Zeichen bilden die historische Voraussetzung der Herausbildung der Sprache.
Die vorsprachlichen Zeichen weisen viele der Merkmale auf, die in der erkenntnistheoretischen und linguistischen Literatur als Merkmale sprachlichen Zeichen angegeben werden. Mit dem Terminus „sprachliches Zeichen“ werden die jeweils spezifischen Besonderheiten eliminiert, die das Denken mit durch die Verwendung der verschiedenen Arten von Zeichen (vorsprachlich, lautsprachlich, schriftlich usw.) erhält.

Im Folgenden soll auf einige dieser Besonderheiten eingegangen werden.

1.     Die tierischen Laute sind Ausdrucksaktionen, d.h. sie drücken verschiedene innere Zustände des lautgebenden Tieres aus wie Angst, Drohung, Paarungsstimmung usw. Dieser Umstand verhindert das Verständnis dafür, wie individuelle subjektive Ausdrucksaktionen mit vergegenständlichten psychischen Bildern beispielsweise gesellschaftlichen Bedeutungen verbunden werden können.
Die Verwendung nichtsprachlicher Zeichen zur Organisation und Planung kollektiver Tätigkeit ist erfordert keinen Ausdruck innerer Zustände, sondern die Vergegenständlichung psychischer Präsentationen gegenständlicher Sachverhalte. Sie beruht auf der Assoziation eigenständiger Wahrnehmungen.
Lautäußerung ist keine Vergegenständlichung, denn sie hat keinen gegenständlichen Bezug. Deshalb sind die Lautäußerungen in ihrer ursprünglichen Form zur Verwendung als Zeichen ungeeignet.

2.     Die Fähigkeit des Menschen zum abstrakten Denken wird gewöhnlich der Verwendung der Sprache zugeschrieben. Wie ich gezeigt habe (), muss Abstraktion bereits bei der ursprünglichen Aneignung der Werkzeuge sozialer Tätigkeit stattgefunden haben. Mit der Erfindung des speziellen Werkzeugs "Zeichen" wird diese Abstraktion nun auf das Zeichen übertragen. Die Bedeutung des Zeichens ist folglich a priori abstrakt.
Diese Abstraktion wird bei der Aneignung von Zeichen vertieft, denn mit der Verwendung der Zeichen verändert nun auch der Prozess der Aneignung der gesellschaftlichen Funktionen. Sie erfolgt in zwei Schritten. Zuerst muss die Bedeutung des Zeichens angeeignet werden. Die Aneignung eines Zeichens ist aber noch nicht die Aneignung der in ihr vergegenständlichten Funktion des bezeichneten Werkzeugs, die Handhabung des Zeichens ist etwas anderes als die Handhabung des Werkzeugs. Mit dem Zeichen tut man nur so als ob, wie das Kind beim Spielen. Hier kann ein Stock alles Mögliche sein: Ein Speer, ein Schwert, ein Pferd usw. Die darauf folgende Aneignung des „richtigen“ Werkzeugs ist ein eigenständiger Prozess.
„Echtes“ Werkzeug und Zeichen unterscheiden sich auch dadurch, dass Beschaffenheit und Gestalt des Zeichens gleichgültig gegen seine Bedeutung sind, während die Beschaffenheit des Werkzeugs durch seine Funktion bestimmt wird. Auch deshalb werden Zeichen und Werkzeug auf unterschiedliche Weise angeeignet.
Im Werkzeug ist nicht nur die soziale Funktion der zughörigen Operation vergegenständlicht, sondern auch Fähigkeiten („Kompetenzen“), die zu seiner Handhabung erforderlich sind. Von diesen wird im Zeichen abstrahiert, das beispielsweise vergegenständlicht nur die „reine“, abstrakte soziale Funktion.

3.     Mit der Erzeugung von Zeichen erhält aber auch die Fähigkeit des Menschen zur Erzeugung (Konstruktion) psychischer Abbilder neue Möglichkeiten. Mit Zeichen kann man Bilder (Konstrukte) von Objekten erzeugen, die nicht unmittelbar anwesend sind und daher nicht wahrgenommen werden können. So können auch Funktionen zugeordnet werden, zu deren Erfüllung kein Werkzeug erforderlich ist, beispielsweise die Funktion des Treibers.
Weiter kann man eine Anzahl auch von nicht anwesenden Objekten darstellen, „bezeichnen“, man kann diese Anzahl vergrößern oder verkleinern und man kann eine Anzahl von Objekten „hypothetisch“ aufteilen.
Mittels vorsprachlicher Zeichen können also ideelle Objekte, Ideen erzeugt werden. Damit erhält das Denken eine neue Qualität, es wird Erkenntnis.
Ideen entstehen also nicht im Ergebnis der Abbildung von Gegenständen, sondern werden mittels Zeichen konstruiert. Diese Position ist vom Konstruktivismus gut ausgearbeitet. Das nimmt Ideen jedoch nicht ihren Abbildcharakter. Ideen sind konstruierte Abbilder der Realität. Mit dieser Bestimmung stellt sich die Frage nach dem Gegenstandsbezug, d.h. nach der Spezifik der Vergegenständlichung von Ideen. Dieser Frage soll an anderer Stelle nachgegangen werden.
Hier sei nur auf einen Aspekt verwiesen. Bereits bei der vorsprachlichen Erkenntnis kann sinnvoll zwischen empirischer und theoretischer Erkenntnis unterschieden werden: die Bedeutung der Zeichen empirischer Erkenntnis sind Objekte der Realität, die Gegenstände der gesellschaftlichen Tätigkeit sind. Die Bedeutung der Zeichen theoretischer Erkenntnis sind ideelle Konstrukte, die mit Hilfe dieser Zeichen gebildet werden und zu denen es keine Objekte der Realität geben muss, wohl aber geben kann.

4.     Diese neue Funktion der Zeichen verbietet eine beliebige Anordnung und Kombination der Zeichen, wenn eine sinnvolle Darstellung des Bezeichneten erreicht werden soll. Bereits die vorsprachlichen Zeichen erfordern also eine Syntax.

Die Erzeugung von Zeichen erfordert keine Sprache, lässt aber die vollständige und widerspruchsfreie Definition vieler Grundbegriffe der Erkenntnistheorie zu.
In den heutigen kognitionspsychologischen und konstruktivistischen Auffassungen wird Erkenntnis meist auf die zweistellige Beziehung des psychischen Abbildes (der Idee) zur Realität reduziert. Die Veränderungen, denen die psychischen Abbilder unterliegen, wenn sie in Zeichen ausgedrückt werden, können so überhaupt nicht thematisiert werden. Die Erkenntnistheorie bleibt so im solipsistischen Paradigma hängen und kann die soziale Dimension der Erkenntnis nicht verstehen.
In der Semiotik, der „Lehre von den Zeichen“, werden die Zeichen zwar in ihrer dreistelligen Beziehung gesehen, werden aber meist nur als sprachliche Zeichen untersucht. Die Spezifik der Erkenntnisfunktion der Zeichen wird nicht thematisiert. So bleiben sowohl die Spezifik der (sprachlosen, vorsprachlichen) Zeichen, der Zeichen i.e.S. als auch die Spezifik der Sprache unverstanden.
Ähnlich ist die Situation in der Linguistik. Hier werden die sprachlichen Entitäten ebenfalls vorwiegend als (sprachliche) Zeichen betrachtet, wobei die kommunikative Funktion der Zeichen im Vordergrund steht. Die Linguistik verweist zwar auf die Ausdrucksfunktion der Zeichen, sieht sie aber nicht als Besonderheit von sprachlichen Zeichen, sondern betrachtet sie als allgemeine Zeichenfunktion. Die Spezifik der Sprache bleibt auch hier auf der Stecke. Die erkenntnistheoretische Funktion der Sprache ist per definitionem nicht Untersuchungsgegenstand der Linguistik.
So harrt die Theorie der Zeichen i.e.S. noch ihrer Ausarbeitung.
Bereits die vorsprachlichen Zeichen können Funktionen erfüllen, die heute zwar mittels der Sprache realisiert werden, für deren Vollzug Sprache aber nicht erforderlich ist. Die Spezifik der Sprache wird verständlich, wenn die Frage beantwortet wird, welche operativen, gnoseologischen und kommunikativen Funktionen mit vorsprachlichen Zeichen nicht mehr realisiert werden können und die so den sprachlichen Zeichen vorbehalten bleiben.
Die Annahme der vorsprachlichen Erkenntnis als eines hypothetischen missing links in der Entwicklung der Menschheit, in welcher die Menschen ihr Zusammenleben mittels der beschriebenen vorsprachlichen Zeichen organisieren, ermöglicht es, die Herausbildung von Sprache als logisch folgerichtige Weiterentwicklung eines gesellschaftlichen vorsprachlichen Zeichensystems zu verstehen().
Unsere heutigen sprachlosen Zeichen (z.B. die Verkehrszeichen) entstammen der Sprache und haben eine sprachliche Bedeutung. Sie dürfen nicht mit den vorsprachlichen Zeichen verwechselt werden.

 

 

 

Angemerkt:
Nicht einmal Schimpansen heben zubereitete Werkzeuge für einen späteren Gebrauch auf. Sie lassen sie einfach liegen. Wenn sie diese später zufällig wieder finden, erkennen sie sie nicht als ihre wieder.

 

 

 

 

 

 

 

Ergänzt:
Die Verwendung von Gegenständen als Bedeutungsträger unterscheidet die menschliche Kommunikation von der biotischen Pseudokommunikation der Tiere.

 

Anschaubares:
Wenn die Werkzeuge ihre technologische Funktion schließlich verloren haben, zeigen sie im Museum ihre kulturelle Funktion als Träger ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.

 

 

 

 

 

 

 

Sue Savage-Rumbaugh
hat sich wohl wie niemand sonst mit dem Gebrauch von Worten und Zeichen durch Schimpansen benutzt. Die Analyse ihrer Beschreibungen zeigt kaum übersehbar, dass die fehlende Differenzierung von Zeichen und Wort das Verständnis der Natur der von ihr beobachteten geistigen Leistungen von Schimpansen verhindert. Vieles wird sofort einsichtig, wenn man annimmt, dass ihr Schimpanse "Kanzi" vorsprachliche Zeichen im hier definierten Sinn benutzte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angemerkt:
Die Besonderheit dieser psychischen Leistung legt die Annahme nahe, dass sie eine spezifische Ausstattung des Nervensystems, speziell des Gehirns erfordert. Dieser Gedanken soll aber hier nicht weiter verfolgt werden.

Weiterführende Links:
Wikipedia: Semiotik, Erkenntnistheorie
Projekt Erkenntnistheorie

Weiterführende Literatur:
Savage-Rumbaugh, Sue; Lewin, Roger (1995): Kanzi der sprechende Schimpanse - Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, Droemer Knaur, München/Zürich,

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© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 01.06.2011