Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.
Methodisches
Wie jede Wissenschaft ist auch die Wissenschaft vom
Menschen nicht voraussetzungslos. Sowohl die
gewählten Methoden als auch das benutzt begriffliche und terminologische
Instrumentarium beeinflussen die Ergebnisse des wissenschaftlichen
Erkennens. Deshalb ist es zunächst erforderlich, sich über beides klar zu
werden.
Im Zentrum aller Überlegungen zum Menschen steht das menschliche
Individuum, der einzelne Mensch. Dieser Gegenstand, um dessen
Beschreibung und Erklärung es in jeder Wissenschaft vom Menschen geht,
wird von den wissenschaftlichen Schulen und Disziplinen auf ganz
spezifische Weise abgebildet, jede bildet ihn beschreibt ihn nach anderen
↑Erklärungsprinzipien.
Das gewählte Erklärungsprinzip bestimmt die Terminologie und legt die
Grenzen der möglichen Erkenntnisse fest. (!)
Zur Beschreibung der menschlichen Sprache werden verbreitet biologische,
speziell neurophysiologische Erklärungsprinzipien benutzt. Dabei wird die
menschliche Sprache vielfach als Leistung des Individuen Gehirns
aufgefasst und versucht, Sprache auf biologische, speziell
neurobiologische Weise zu erklären und mit neurophysiologischen Termini zu
beschreiben (). Der kognitionswissenschaftliche
Erklärungsansatz erfordert als kongeniale Theorie der Entstehung der
Sprache eine biologische Evolutionstheorie, welche die Entstehung der
Sprache durch Mutation und Auslese erklärt. Bekannte Theorien dieser Art
wurden von Chomsky und Pinker entwickelt.
Ein anderes Erklärungsprinzip betrachtet die Sprache als soziale
Erscheinung. Das impliziert, dass der Ursprung der Sprache nicht im
Biologischen gesucht, sondern im Gesellschaftlichen. Bekannte Theorien
dieser Art wurden beispielsweise von Merlin Donald oder Jerome Bruner
entwickelt. In diesen Theorien wird die Bedeutung neuronaler Prozesse
oder Mutation und Auslese für die menschliche Sprache nicht bestritten,
sie werden nur nicht als Erklärungsprinzipien benutzt. Es ist eher
umgekehrt. Die Sprache erklärt gewisse neuronale Prozesse und die
evolutionäre Bedeutung gewisser Mutationen und Selektionen, die im
Verlaufe der Menschwerdung stattgefunden haben.
Es geht hier also nicht um neue Fakten und Tatsachen, sondern um die
logische Ordnung der bekannten Fakten und Tatsachen. Welche Fakten sind
Teil der Gegenstandsbeschreibung und welche gehören zum
Erklärungsprinzip? In der Biologie sind die Verhältnisse klar:
Mutation und Auslese erklären Evolution. Erklären sie aber auch die
Entwicklung der Sprache? Sind die Sprache und ihre Entwicklung ein
biologischer Tatbestände? Entsteht die Sprache durch biotische
Evolution?
Biologischen Auffassungen liegen beispielsweise Theorien von
einer „Sprache der Tiere“ zugrunde und such Tieren die Fähigkeit der
Kommunikation zusprechen. Die menschliche Sprache sei in dieser Sicht
nichts prinzipiell Neues. Anderes als die Sprache der Tiere, sie ist nur
„besser“ (umfangreicher, abstrakter usw.). Menschliche und tierische
Sprache unterscheiden sich in dieser Sicht nur quantitativ.
Anders sehen das Theorien, welche die Sprache des Menschen als eine
„gesellschaftliche Tatsache“ ansehen, als „sozialen Tatbestand“ im Sinne
von Émile Durkheim. In seinem Buch „Regeln der soziologischen Methode“
begründet er, dass soziale Tatbestände nur durch soziale Tatbestände
erklärt werden können. (S.11, 176ff.) Weder biologische noch
psychologische Tatbestände seien zur Erklärung sozialer Erscheinungen
geeignet.
Die Wahl des Erklärungsprinzips hat unmittelbar terminologische
Konsequenzen. Wenn die menschliche Sprache etwas prinzipiell anderes ist
als die tierischen Laute, dann darf für letzere auch nicht das Wort
„Sprache“ verwendet werden. Tierische Laute sind biologisch zu erklären.
Mit einer geisteswissenschaftlichen Terminologie können sie nicht
beschrieben werden. Die menschliche Sprache ist dagegen eine
geisteswissenschaftliche Kategorie, die nicht mit einer biologischen, auch
nicht mit einer neurophysiologischen Terminologie beschrieben werden
können, wie manche Neurophysiologen meinen.
Bezeichnet man tierische Laute als „Sprache“, dann
→schreibt man Lauten
Merkmale zu, die sie nicht haben. Weiter können Beziehungen, die Tiere
mittels Signalen realisieren, auch nicht sinnvoll als „Kommunikation“
bezeichnet werden, sondern nur als „Pseudokommunikation“.
In neuerer Zeit hat Merlin Donald vor allem neurobiologische und
kognitionswissenschaftliche Versuche zur Erklärung der Sprache umfassend
analysiert und kommt zu dem gleichen Ergebnis:
„... die
Kognitionswissenschaften [untersuchen] den Geist mit Methoden, die
eigentlich voraussetzen, dass er jeweils auf das einzelne Gehirn
eingrenzbar sei. [ ...] Infolgedessen tendieren die
Kognitionswissenschaften dazu, den Geist isoliert zu betrachten und das
kognitive System als ein in sich geschlossenes, monadenhaftes Gebilde zu
behandeln. Cartesianer, Behavioristen und Kognitivisten stellen sich den
Geist letztlich als eine nach außen hin abgeschlossene Entität vor.
Bei der Erforschung des Tierreichs leistet das Modell des isolierten
Geistes gute Dienste. Die Kognition von Tieren lässt die körperlichen
Grenzen des einzelnen Gehirns nur selten hinter sich.“ (S 160f.)
Etwas weiter unter fährt er dann fort:
„Die Einzigartigkeit des menschlichen Bewusstseins bleibt undurchschaubar,
wenn wir es nur innerhalb seines Gehäuses betrachten, so als seien die
Antworten auf unsere Fragen nur dort zu finden. Was wir sind, sind wir
durch Enkulturation. Dies lässt sich von keiner anderen Spezies sagen.“
(S. 162f)
Biologische wie psychologische Herangehensweisen sind
also nach wie vor prinzipiell ungeeignet, das Problem der Entstehung der
Sprache zu lösen.
Donalds Erklärungsansatz ist kulturtheoretisch. Spezifisch
menschliche Eigenschaften wie Bewusstsein und Sprache haben danach ihren
Ursprung in der menschlichen
↑Kultur und können nur durch sie erklärt
werden. Der Grundgedanke seines Buches ist, „[ ] dass die
Einzigartigkeit des menschlichen Geistes nicht auf seiner biologischen
Ausstattung beruht, [...] sondern auf der Fähigkeit, Kulturen aufzubauen
und sich an sie zu assimilieren.“ (S.11)
Das impliziert die Frage, welche Rolle die biologische Ausstattung in
dieser Denkfigur spielt. Sie ist ohne Zweifel notwendig, erforderlich.
Ohne sie kann es keinen menschlichen Geist geben, aber sie erklärt den
Geist nicht. Es ist umgekehrt, der Geist erklärt die Gestaltung der
Ausstattung.
Für die nichtmenschlichen Voraussetzungen des Geistes ist das unmittelbar
einsichtig. Die Gestaltung eines Werkzeugs erklärt nicht seine Funktion,
d.h. die Idee, die mit dem Werkzeug realisiert werden soll. Auch das
Material, aus dem es besteht, ist für die Gestalt des Werkzeugs
gleichgültig. Es ist umgekehrt, die Funktion erklärt die Gestalt des
Werkzeugs. Sie bestimmt auch, ob das zufällig vorgefundene Material, aus
dem das Werkzeug gefertigt werden soll, für dieses geeignet ist.
Der gleiche logische Zusammenhang besteht auch zwischen der Kultur und der
biologischen Ausstattung, mit der das Individuum die Kultur realisieren
will. Zunächst muss das Nervensystem, welches das Individuum „vorfindet“,
geeignet sein, die Anforderungen der Kultur zu realisieren Ist das Gehirn
einer Gruppe von Lebewesen geeignet, eine auf Symbolen aufbauende Kultur
zu entwickeln, dann wird es so gestaltet, dass es für diese Funktion
geeignet ist. Diese Funktion erklärt also den Bau und die Arbeitsweise des
menschlichen Gehirns. Das zu zeigen ist Merlin Donald in seinem Buch
„Triumph des Bewusstseins“ hervorragend gelungen. Dabei ist es in diesem
Zusammenhang unwesentlich, welche Merkmale des Gehirns ererbt und welche
erworben (erlernt) sind.
An diesen Erkenntnissen setzen nun meine Überlegungen zur Entstehung der
Sprache an. Die heutige menschliche Lautsprache besitzt unterschiedliche
↑
Funktionen, die auf verschieden Eigenschaften der Sprache beruhen.
Einige dieser Funktionen sind:
·
die Kommunikationsfunktion,
·
die Appellfunktion
·
die Zeichenfunktion,
·
die Ausdrucksfunktionen,
·
die Erkenntnisfunktion,
·
die Planungsfunktion,
·
die kulturelle Funktion.
Es ist im Allgemeinen unbestritten, dass die
menschliche Lautsprache aus tierischen Lautäußerungen hervorgegangen ist.
Die tierischen Laute sind das Material, das die Menschen vorgefunden haben
und aus dem sie die Sprache geformt haben. Die Anforderungen der Sprache
bestimmen die Gestalt der Laute und nicht umgekehrt.
Nur wenige der Funktionen der menschlichen Sprache gibt es schon bei den
tierischen Lauten. Die neuen Eigenschaften und Funktionen können tierische
Laute nun nicht alle auf einmal, in einem evolutionären Schritt erworben
haben, sie müssen vielmehr allmählich, schrittweise entstanden sein. Eine
Theorie der Entstehung der Sprache muss nun auch diese Reihenfolge
rekonstruieren. ()Von
besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Kategorie des
Zeichens. In der menschlichen Sprache werden Laute als Zeichen
benutzt. Im
Unterschied zur allgemeineren Kategorie des Symbols meint
„Zeichen“ vom Menschen vorsätzlich gestaltete Objekte, deren Funktion die
Zeichenedeutung ist. Zum „Symbol“ kann ein beliebiges
vorgefundenes Objekt werden, ohne das es besonderen gestaltenden
Maßnahmen unterworfen wurde. So gilt die weiße Taube als Symbol des
Friedens. Für die australischen Aborigines ist der Uluru (Ayers Rock) ein
bedeutendes Symbol ihrer Mythologie.
Auf diese Weise können auch Werkzeuge und Zeichen zu Symbolen werden. So
ist Hammer ein Symbol der Arbeit und das Zeichen „A“ ist Symbol für
Geschriebenes oder auch für den Anfang schlechthin.
Symbol und Zeichen müssen ebenso präzise unterschieden werden wie Sprache
und Zeichen. Zeichen dürfen ebenso wenig auf sprachliche Zeichen reduziert
werden wie die Sprache auch ihre Zeichenfunktion. Die Zeichen bilden eine
eigenständige Kategorie. Zeichen existieren unabhängig von der Sprache.
Das wird schon daran deutlich, dass man den Begriff „Zeichen“ definieren
kann, ohne die Kategorie der Sprache zur Hilfe zu nehmen. Umgekehrt ist
das nicht möglich, Sprache kann nur als Zeichensystem definiert werden.
Das deutet darauf hin, dass Zeichen entstehen konnten, bevor eine Sprache
da war und dass die Sprache erst entstehen konnte, als es bereits Zeichen
gab.
In diesem Gedankengang besteht die Grundidee des hier
vorgeschlagenen theoretischen Ansatzes zur Erklärung der Entstehung der
Sprache. Es wird eine hypothetische Stufe der gesellschaftlichen
Entwicklung angenommen, in der es zwar bereits Zeichen, aber noch keine
Sprache gab, die Gesellschaft der vorsprachlichen Zeichen.
Es wird gezeigt werden, dass eine solche Annahme einen Weg eröffnet, auf
dem die Entstehung der Sprache und ihrer Funktionen logisch
widerspruchsfrei und hinreichend vollständig zu erklären vermag