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Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.
Die Entstehung der Sprache -
Einführung in einen Grundriss
Dem "solipsistischen Paradigma" der der
Entstehung der Sprache (Merlin Donald) liegt die neurophysiologisch
begründete Vorstellung zugrunde, die
Herausbildung der Sprache erfolgte auf dem Wege der darwinistisch
verstandenen Evolution, die auf individuellen Veränderungen (Mutationen)
und Auslese beruht. In dieser Sicht wird der Ort der Sprache in das
menschliche Gehirn verlegt, denn nur dieses unterliegt einer Evolution
durch Mutation und Auslese. Danach entstünde die Sprache, indem durch
Mutation zufällig neuronale Strukturen entstehen, die zur Bildung von
Sprache geeignet sind und das zu einem Zeitpunkt, indem diese Mutation
zufällig einen Auslesevorteil darstellt.
Diese Auffassung liegt letztlich den meisten Auffassungen zugrunde, die
bisher zur evolutionären Erklärung der Herausbildung der menschlichen
Psyche entwickelt wurden. Die bekanntesten sind die evolutionäre
Erkenntnistheorie, die Kognitionstheorie und die evolutionäre Psychologie,
die zu Auffassungen der Entstehung der Sprache weiter geführt worden, wie
sie von N. Chomsky mit dem Konzept der Universalgrammatik und von Pinker
mit ähnlichen Konzept des Sprachinstinkts vorgelegt wurden. Die
darwinistische Evolutionstheorie ist per definitionem eine
biologische Theorie, die biotische Prozesse abbildet und erklärt. Damit
sind aber zugleich ihre Erkenntnisgrenzen bestimmt: die Evolutionstheorie
kann per definitionem keine gesellschaftliche Prozesse abbilden und
erklären. Dazu ist sie nicht gemacht. Die Evolutionstheorie setzt am
Individuum an, nicht an der menschlichen Gesellschaft.
Auch die Soziobiologie konnte mit Konzepten wie dem der
Verwandtenselektion oder dem reziproken Altruismus keine schlüssigen
Lösungen entwickeln. Damit ist nichts gegen die Gültigkeit der
darwinistischen Evolutionstheorie gesagt, sie ist nur zur Beschreibung und
Erklärung gesellschaftlicher Prozesse ebenso nicht geeignet wie die
Geometrie. Dazu muss eine Entwicklungstheorie
entwickelt, die in den Gesellschaftswissenschaften angesiedelt ist.
In biologischen Theorien zur Entstehung der Sprache
wird folgerichtig von der Annahme ausgegangen, dass die Sprache vor der
↑Kultur
entstanden sei. Dabei wird davon ausgegangen, dass in der Sprache erst
die Bedingung, das Werkzeug, entstand, mit dem dann Kultur hervorgebracht
werden konnte.
Diese Auffassung bezeichnet Merlin Donald als „solipsistisches Paradigma“,
das, so meint Donald, zur Erklärung von Sprache und
Bewusstsein ungeeignet ist. Sprache kann nur außerhalb individueller Gehirne
entstehen.
Den ersten mir bekannte Versuch, einen Paradigmenwechsel nicht nur zu
fordern, sondern ihn bis zur Ausarbeitung einer Theorie der Evolution des
menschlichen Bewusstseins umzusetzen, habe ich bei Merlin Donald gefunden.
In seinem Buch „Triumph des Bewusstseins“ legt Merlin Donald einen sehr
ambitionierten Ansatz zur Entwicklung einer solchen Theorie vor.
Donald ist Neurophysiologe und begründet seine Theorie psychologisch aus
der Sicht der Psychologie und der Kognition. Damit leistet er einen
spezifischen Beitrag zur paradigmatischen Diskussion (
) in der
Naturwissenschaften. Er weist überzeugend nach,
das bisher alle Versuche, das menschliche Bewusstsein aus
neurophysiologischen, also biologischen Gesetzen zu erklären, gescheitert
sind. Er geht einen anderen Weg, den Weg, das Bewusstsein aus den Gesetzen
des kollektiven Zusammenlebens zu erklären.
Als Psychologe und Kognitionswissenschaftler legt er umfangreich dar, wie
die kollektiven Aktionen der Menschen die kognitiven und psychischen
Prozesse des Gehirns organisieren.
In diesem Teilprojekt wird ein ähnlicher Ansatz dargestellt, der
die Herausbildung der menschlichen Sprache zum Inhalt hat. Auch ich gehe
dabei davon aus, dass Sprache nur außerhalb von Individuen entstehen kann.
Die Grundlage auch für die Entstehung der menschlichen Sprache ist die
menschliche Kultur, die per definitionem eine
außerindividuelle Entität ist.
In meinem
Buch „Theoretische Anthropologie“ habe
ich meinen Ansatz zur Entwicklung von Kultur und Sprache dargestellt.
Dieser ist im gleichen Paradigma angesiedelt, berücksichtigt aber verhaltensbiologische und evolutionstheoretische Überlegungen
stärker und
kommt auf diesem Wege zu prinzipiell ähnlichen Ergebnissen.
Deshalb gehe ich zunächst der Frage nach, worin das Spezifikum der
menschlichen Kultur besteht. Heute wird unter
↑„Kultur“ die
Gesamtheit dessen verstanden, was der Mensch in seiner Tätigkeit
geschaffen hat. Die so verstandene Kultur wird der Natur
gegenüber gestellt, die die Gesamtheit dessen umfasst, was ohne
menschliches Zutun existiert. Die Besonderheit dieser Gegenstände der
Kultur wird sofort sichtbar, wenn man vergleicht, wie Menschen und Tiere
mit diesen umgehen.
Menschen fragen zuerst danach, wozu dieser Gegenstand da ist, d.h. welche
gesellschaftliche Bedeutung er hat. Ein Tier dagegen
interessiert zuerst, ob der Gegenstand essbar ist. Die Frage ist also, wie
Gegenstände zu einer gesellschaftlichen Bedeutung kommen. Für die
Beantwortung dieser Frage sind die Kategorien
↑„Vergegenständlichung“
und „Aneignung“ von grundlegender Bedeutung. Sie werden also
zuerst dargestellt. |
Zitiert:
„Beim Kind verläuft der Erwerb symbolischer Fertigkeiten von außen nach
innen. Deshalb muss ihre evolutionsgeschichtliche Entwicklung in derselben
Richtung verlaufen sein. Symbolisches Denken und Sprache sind von ihrem
Wesen her Phänomene, die in Netzwerken gründen. Wir können ihre Existenz
daher nicht nach dem Modell des solipsistisch abgekapselten Individuums
erklären. Hier ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Er muss die
herrschenden Theorien der menschlichen Evolution hinter sich lassen, denen
zufolge Sprache sich im abgeschlossenen Gehäuse des Gehirns, das heißt,
von innen nach außen entwickelt hat.“ (S. 268)
„Nach der in diesem Kapitel skizzierten Auffassung ... liegt der Ursprung
der Sprache in der Bildung kognitiver Verbände, das heißt in der
verteilten und zusammengeschalteten Aktivität mehrerer Gehirne. Ein
derartiger Verband entwickelt eine Eigendynamik. Ein Gehirn, das an dieses
Umfeld angepasst ist, unterscheidet sich vermutlich erheblich von einem
hypothetischen Gehirn, das im Verlauf der Evolution aus sich selbst heraus
zur Sprache finden würde. Dies liegt ... daran, dass ein Gehirn,
sobald es Teil eines kognitiven Verbandes ist, andere Gedächtnis-, Denk-
und Wahrnehmungsstrategien benötigt.“ (Donald, S,268f.) |
Weiterführende Literatur:
Bruner, Jerome (1987): Wie das Kind sprechen lernt, Hans Huber, Bern,
Stuttgart, Toronto.
Donald, Merlin (2008): Triumph des Bewusstseins * Die Evolution des
menschlichen Geistes, Klett - Cotta Verlagsgemeinschaft, Stuttgart,
Litsche, Georg A. (2004): Theoretische Anthropologie * Grundzüge einer
theoretischen Rekonstruktion der menschlichen Seinsweise, Lehmanns
Media-LOB, Berlin
Wygotski, L.S. (1964): Denken und Sprechen, Akademie-Verlag, Berlin,
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