Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.
Erkenntnisbegriff 2
Die Objekt – Abbild – Zeichen – Relation
Der Terminus „Erkenntnis“ wird in den hier
publizierten Texten stets im Sinne von „menschlicher Erkenntnis“
verwendet. Das impliziert, dass „Erkenntnis“ stets als in Zeichen
ausgedrückte Erkenntnis verstanden wird. „Erkenntnis“ (E) ist also
definiert als Relation R zwischen drei Variablen, die hier mit den Termini
„Objekt“ (O), „(psychisches) Abbild“ (A) und „Zeichen“ (Z) bezeichnet
werden.
E
= R (O, A, Z)
„Individuelle Erkenntnis“ bezeichnet also nur die Teilmenge
(individueller) psychischer Abbilder/1/ von Menschen, die in (gesellschaftlichen) Zeichen
ausgedrückt werden. Zu Bezeichnung der gesellschaftlichen Form der
Erkenntnis wird der Terminus
→"Idee"
oder "ideelles Abbild" benutzt. Dabei ist es für eine allgemeine Erkenntnistheorie
zunächst unerheblich, welche Art von Zeichen benutzt werden. Unter dem
Aspekt der Evolution sind Zeichen zunächst vorsprachliche Entitäten, die im Prozess
der gemeinsamen Tätigkeit aus dem gesellschaftlichen Werkzeug entstehen
und später die Grundlage der Entwicklung der Lautsprache bilden. (vgl. Litsche, S.
457ff.) Die
traditionelle Erkenntnistheorie untersucht de facto aber nur solche
psychischen Abbilder, die mit geschriebenen sprachlichen Zeichen
ausgedrückt werden, auch wenn sie das oft nicht reflektiert. Das aber ist
ein eine entwickelte, spezielle Form der Erkenntnis, in der die Erkenntnis
spezifische Eigenschaften
erhält, die der Erkenntnis im Allgemeinen nicht zukommen.
Die Kategorie des Zeichens /2/ muss also
differenzierter betrachtet und die Differenzierung der Zeichen muss als
Resultat der Evolution der menschlichen Seinsweise angesehen werden.
Abhängig von den sich durch die Tätigkeit entwickelnden ökologischen
Bedingungen entwickeln sich die kommunikative und die gnostische Funktion
der Zeichen. Die ersten Etappen müssen bis zur Entstehung von Schrift
paläontologisch und archäologische als hypothetische "Missing links"
angesehen werden, die folgenden sind empirisch belegt.
Insbesondere müssen die der Kommunikation dienenden Zeichen von den
Merkmalen von Objekten (den "Anzeichen" oder "Symptomen") unterschieden
werden. Anzeichen (Symptome) dienen nicht der Kommunikation und haben
daher keinen sozialen Kontext wie die Zeichen. Dieser soziale Aspekt der
Erkenntnis, die pragmatischen Dimension, bleibt in der Relation Objekt -
Abbild - Zeichen unberücksichtigt.
1. Das Zeichen entwickelt sich als Instrument des
Denkens, als "Denkzeug" aus dem Werkzeug, das zum
Insignium geworden ist. Das Werkzeug erhält in der kollektiven Tätigkeit
mit der Zeichenfunktion eine zusätzliche Funktion. Zum Zeichen i.e.S. wird
es,
indem Werkzeuge hergestellt werden, deren Funktion die Zeichenfunktion ist. Wie gezeigt wurde, erfordert Denken mittels solcher
Zeichen keine Sprache (S. 459ff.). Das Denken mittels solcher Zeichen ist
vollzieht sich in der Planungsphase der kollektiven Tätigkeit und erfolgt
gemeinschaftlich und gleichzeitig. Denken mittels Zeichen ist also von
Anfang an auch eine kommunikative Aktion und als diese eine soziale
Leistung.
2. Sprache
(gesprochene Sprache, Lautsprache) entwickelt sich auf der Grundlage eines
so entstandenen gesellschaftlichen Zeichenvorrats. Zunächst entwickelt
sich die kommunikative (operative) Funktion der Lautsprache aus den ökologischen
Erfordernissen der kollektiven Jagd zur Steuerung der gleichzeitig
durchzuführenden Operationen der einzelnen Teilnehmer an der Jagd bei
fehlendem Sichtkontakt der einzelnen Teilnehmer. Das ist insbesondere bei
der Großtierjagd der Fall. (S. 478ff.)
3. Die
gnostische Funktion der Lautsprache entwickelt sich später aus den
ökologischen Anforderungen der Entwicklung der individuellen Arbeit. Sie
diente der Organisation der zeitlichen Abfolge der Operationen von
individuell durchgeführten ursprünglich kollektiver Tätigkeiten. (S.
486ff.) Die gnostische Funktion der Lautsprache ist ursprünglich selbstreferenziell
(monologisch), das Individuum spricht für sich selbst zu sich selbst und organisiert so
seine eigenen Gedanken, sein Denken. (Das ist bei kleinen Kindern oft
beschrieben worden.) Da ist die Sprache bereits soziales Konstrukt und die
Gesellschaft organisiert so das individuelle Denken.
4. Die
Verbindung der gnostischen Funktion der Sprache mit der kommunikativen
ermöglicht es, diese Resultate individuellen Denkens, individuelle Ideen
zu vergesellschaften. Ausgangspunkt ist das Individuum. Individuelle Ideen
gelangen so via Artgedächtnis in das kulturelle Gedächtnis der
Gesellschaft.
5. Die Schrift
(Schriftsprache) entwickelt sich aus der operativen Funktion der
gesprochenen Sprache (Lautsprache). Die gesprochene Sprache erfordert die
gleichzeitige Anwesenheit der Kommunikationspartner, des Sprechers und des
Hörers in Hörweite. Mit der Entstehung der Schrift entsteht die
Möglichkeit, Schreiben und Lesen als eigenständige Tätigkeiten auch
unabhängig (zeitlich und räumlich voneinander getrennt) auszuführen. Die
ökologische Notwendigkeit dieser Entwicklung folgt aus der Vergrößerung
der menschlichen Gesellschaften und der daraus folgenden sozialen
Differenzierung der sozialen Einheiten, die den Transport von Ideen über
die Hörweite hinaus erfordert.
6. Schließlich
wird die Schrift auch zur Organisation des individuellen Denkens benutzt,
zum dauerhaften Bewahren der eigenen Denkresultate, der individuellen
Erkenntnis. (Das ist auch der natürliche und von der „modernen“ Bildung
unterdrückte Weg, auf dem Kinder schreiben lernen. Vgl. Sieglin & Goll,
1989,S.54ff.!) Über die gesprochene Sprache werden die individuellen
Schriftzeichen vergesellschaftet und bilden schließlich das geschriebene
gesellschaftliche Bewusstsein. Ihr Ausgangspunkt ist das Individuum. Sie
können via Lernen in das kulturelle Gedächtnis
(TA S. 428ff.) gelangen.
All diese und andere im Verlaufe der Entwicklung der
menschlichen Gesellschaft entstandenen natürlichen und künstlichen Träger
psychischer Entitäten werden in der Kategorie „Zeichen“ zusammengefasst.
Nicht alle Zeichen sind dazu geeignet, auch alle Formen von Erkenntnissen
auszudrücken. Dieser Zusammenhang wird bei erkenntnistheoretischen und
psychologischen Untersuchungen oft vernachlässigt. Alle Formen von
Erkenntnissen werden als qualitativ gleichartig betrachtet. Das führt zu
vielen logischen und terminologischen Widersprüchen und ergebnislosen
Diskussionen, wie sie sich beispielsweise im der Debatte zwischen
empiristischen und konstruktivistischen Ansätzen der Erkenntnistheorie
zeigen. Der Streit beider Ansätze wird gegenstandslos, wenn man davon
ausgeht, dass beide unterschiedliche Formen von Erkenntnissen beschreiben,
die nebeneinander im Bestand der gesellschaftlichen Erkenntnis existieren.
Dabei geht weiter verloren, dass Zeichen und Sprache zu
unterscheidende Kategorien sind, die nacheinander entstehen und erst in Verlauf der Evolution
bestimmte Verbindungen eingehen. Die Zeichenfunktion kommt der Sprache
nicht eo ipso zu, sie ist vielmehr eine Leistung des kollektiven
Subjekts, eine soziale Leistung. Sprache entsteht nicht als
gesellschaftliches Zeichen, die Zeichenfunktion wird ihr vielmehr im
Prozess der Evolution zugeordnet.
Die Relation Objekt - Abbild - Zeichen wird in den
meisten erkenntnistheoretischen Arbeiten beschrieben. Umberto Eco kommt
nach einer umfassenden Analyse zu folgendem Ergebnis:
„Es gab diese Unterscheidung zwar schon in der
Blütezeit des griechischen Denkens, bei Platon und Aristoteles, doch wurde
sie erst bei den Stoikern zum Gegenstand systematischer Untersuchungen.
Ihnen zufolge sind bei jedem Zeichenprozeß zu unterscheiden:
das semainon, oder das eigentliche Zeichen als physische Entität;
das semainomenon, oder das, was vom Zeichen ausgesagt wird und
keine physische Entität darstellt;
das pragma, nämlich der Gegenstand, auf den das Zeichen sich
bezieht und der wiederum eine physische Entität oder ein Ereignis bzw.
eine Handlung ist. Diese Unterscheidung tauchte in der geschichtlichen
Entwicklung der Sprachphilosophie und der Linguistik unter verschiedenen
Namen immer wieder auf.“ (Eco, S. 27f.)
Die verbreitetsten Termini und deren unterschiedliche Bedeutung
stellt er in der folgenden Übersicht dar (S.30):
In meiner Darstellung orientiere ich mich an Georg
Klaus, der auf Frege aufbaut. Daraus geht folgende Terminologie hervor:
Zeichen sind die Existenzform gedanklicher Abbilder, die Abbilder
sind die Bedeutung der Zeichen. Diese bezeichnen Objekte,
die der Sinn der Zeichen sind (die Gedanken sind deren Bedeutung).
Zeichen drücken Gedanken aus. Objekte sind Entitäten, die
von Zeichen bezeichnet werden.
Hier wird auch die Notwendigkeit der präzisen Unterscheidung der Termini "Wort"
und "Begriff" deutlich. Worte sind eindeutig in der
Kategorie der Zeichen angesiedelt, Begriffe in der Kategorie der Abbilder.
In vielen auch wissenschaftlichen Arbeiten werden diese Termini
verwechselt oder synonym verwendet. Einen Begriff kann man nicht schreiben
oder sagen, man kann ihn nur denken. Sagen und schreiben kann man nur das
Worte, die Begriffe ausdrücken.
Dieser Unterscheidung entspricht auch die Unterscheidung von Nominal- und
Realdefinition. Die Realdefinition ordnet einem Terminus die
Bedeutung (den Begriff, die Intension) zu, die Nominaldefinition
ordnet einem Terminus den Sinn (das Objekt, das Bezeichnete, die
Extension) zu. Eine spezifische Form der Realdefinition ist die
genetische Definition, die den Begriff (das Abbild) der
Entwicklung des Objekts ausdrückt. (Siehe auch
und
!)
Auch wenn Zeichen heute die sprachlichen Zeichen die dominierende
Erkenntnisform sind, sind im Begriff des Zeichens schlechthin auch die Zeichen in
ihrer vorsprachlichen Form erfasst und die sprachlichen Zeichen nur
soweit, wie sie auch als vorsprachliche Zeichen verwendet werden können.
In diesem Zusammenhang soll auch auf eine
Besonderheit theoretischer Erkenntnisse hingewiesen werden. Theoretische
Erkenntnisse sind Konstrukte, die nur mittels Zeichen erzeugt werden
können. Zeichen ermöglichen es, Eigenschaften getrennt von den Objekten
abzubilden, deren Eigenschaften sie sie sind, wie z.B. "grün", "schwer"
oder das berühmte Grinsen der Katze in Alice´s Wunderland, in dem die
Katze verschwindet und nur das Grinsen bleibt.
Diese Besonderheit macht ideelle Konstrukte möglich, die nicht Abbilder
von realen Objekten sind, wie dreiohrige Hasen, Massepunkte ohne
Ausdehnung oder allmächtige intelligente Designer.
Die Termini erhalten
so einen neuen, theoretischen Sinn, die bezeichneten Objekte sind
theoretische Objekte, ideelle Konstrukte, die nicht mehr angeschaut
(wahrgenommen) werden können. Anschaubar (wahrnehmbar) sind nur die
Wörter, Zeichnungen u.ä., also Zeichen, mit denen die Bedeutungen
dargestellt (ausgedrückt) werden. Im Bereich der Theorie muss also
zwischen zwei Sinnebenen unterschieden werden: dem theoretischen Sinn und
dem realen Sinn. Der reale Sinn wird aus dem theoretischen Sinn durch
Interpretation gewonnen, indem den Termini reale Objekte zugeordnet
werden. Die Theorie wird interpretiert.