Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Einer der zentralen Begriffe der Geisteswissenschaften ist der Begriff des Subjekts. Dieser Begriff ist jedoch im Rahmen des kausalistischen Paradigmas der Naturwissenschaften nicht denkbar. Mein Denken bewegte sich jedoch lange Zeit ganz im kausalistischen Paradigma der Naturwissenschaften, in welchem ich meine Bildung erworben und in dessen Grenzen ich ein Leben lang gedacht hatte. Aber immer wieder stieß ich immer wieder an die Grenzen dieses Paradigmas, ohne dass ich zunächst die Natur dieser Grenzen zu ergründen vermochte noch sie zu überwinden verstand. Erst allmählich wurde mir klar, dass das physikalische Kausalitätsparadigma, das in der Welt der Wissenschaft weithin den Charakter des  wissenschaftlichen Paradigmas schlechthin angenommen hatte, dieses Grenze war. Es hat lange gedauert, bis ich gelernt hatte, diesen paradigmatischen Hintergrund meines Denkens zu reflektieren und schließlich auch in Frage zu stellen. Erst dann konnte ich versuchen, mein bis dahin erworbenes System wissenschaftlicher Kenntnisse unter dem Aspekt der Subjektivität neu zu ordnen. Ich begann für mich ein neues Paradigma zu konstruieren, das ich das Subjektparadigma nenne. Im Prozess dieser Neubewertung meines Wissens stellt ich fest, dass dieses Subjektparadigma ebenso so alt ist wie das kausalistische.
Der Streit zwischen beiden wird bis heute
beispielsweise im Rahmen des Mechanismus - Vitalismus - Streits vor allem in den biologischen Wissenschaften ausgetragen. In diesem Streit geht es um die Frage, ob Leben ausschließlich im kausalistischen Paradigma der Physik erklärt werden kann oder ob Kräfte angenommen werden müssen, die über diese hinausgehen. Die Ansiedlung dieses Streits in den biologischen Wissenschaften ist auch der Grund für die bis heute fehlende Lösung des Problems. Die zu seiner Lösung fehlenden "missing links" sind zwar außerhalb des aktuellen Paradigmensystems der Physik zu suchen, aber nicht außerhalb der Physik überhaupt. Der Physik fehlen die begrifflichen und terminologischen Mittel, die es ihr ermöglichen, das Leben auch physikalisch als die Tätigkeit von Subjekten zu verstehen. Die Physik hat ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt. Schrödinger, Bertalanffy und Prigogine gehören zu den Wissenschaftlern, die sich darum verdient gemacht haben, theoretischen Komponenten der Physik zu entwickeln, die zu einer Lösung dieses Problems führen könnten.
Von biologischer Seite können z.B.
J. v. Uexküll, Anochin oder K. Lorenz genannt werden, und. Leont´ev hat sich dieser Fragestellung als Psychologe genähert. Die Ansätze der evolutionären Erkenntnistheorie und der evolutionären Psychologie verbleiben eher im kausalistische orientierten biologischen Paradigmensystem von Mutation und Auslese, ohne einen Bogen zu Physik und Chemie zu schlagen.
Meine Mehrfachqualifikation als Naturwissenschaftler und Pädagoge hat dazu geführt, dass mein Denken immer zwischen den Paradigmen der Naturwissenschaften und denen der Geisteswissenschaften lavieren musste. Beide erschienen mir einsichtig, obwohl sie miteinander unverträglich sind. In meinem Buch "Theoretische Anthropologie"  (2004) und in diesem Webprojekt versuche ich, mein Denken mit mit beiden zu versöhnen.

In der "Theoretischen Anthropologie" habe ich einen Bogen von der Entstehung des Lebens bis zur Herausbildung der menschlichen Gesellschaft geschlagen. Dabei habe ich noch versucht, im Rahmen des klassischen kausalistischen Paradigmas zu bleiben, stieß aber immer wieder an dessen Grenzen. In diesem Buch habe ich noch versucht, beide unter dem Dach des Kausalismus zu vereinen. Ich wollte die Subjektivität kausal verstehen.
Nun versuche ich einen anderen Weg, indem ich beide unter einem neuen Dach, dem Dach der Subjektivität zu vereinen, denn das Subjekt verbindet Natur und Geist im Handeln und im Tun (). Das Subjekt kann nicht kausal, sondern die Kausalität muss subjekttheoretisch verstanden werden.
Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften müssen also unter einem neuen, dem subjektwissenschaftlichen Dach vereint werden. Die Naturwissenschaften können ebenso wenig bei den Geisteswissenschaften einziehen wie umgekehrt. Keine würde sich im Haus der Anderen wohl fühlen. Aber sie können sich unter einem gemeinsamen Dach zusammen finden, dort ihre Eigenständigkeit bewahren und sich zugleich füreinander öffnen.
Das erfordert, dass beide Wissenschaften ihre grundlegenden Begriffe so umgestalten, dass diese miteinander verträglich werden. Die verbindenden Kategorien sind die Kategorien „Subjekt“ und „Tätigkeit“ (). Wäre der Terminus „Tätigkeitstheorie“ nicht bereits mit der weithin als speziell psychologischer Theorie angesehenen und betriebenen Theorie Leont´evs verbunden, könnte auch dieser zu Bezeichnung meines Anliegens verwendet werden. Das Haus „Tätigkeitstheorie“ ist aber bereits von der Psychologie bewohnt, und so könnte es bei der Verwendung dieses Terminus scheinen, dass Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften als Untermieter in das bereits von der Psychologie bewohnte Haus einziehen sollten. So aber muss auch die Tätigkeitstheorie in das neue, gemeinsame Haus der Subjektwissenschaft einziehen und ihren Beitrag zum gemeinsamen Gedankengebäude beitragen.
Die zu lösende Aufgabe besteht also darin, eine subjekttheoretische Revision des begrifflichen und terminologischen Inventars sowohl der Natur- wie der Geisteswissenschaften durchzuführen. Angesichts der Größe dieser Aufgabe möchte man lieber weglaufen als anfangen. Wenn man sie aber als notwendig zu lösende Aufgabe erkannt hat, kann man auch weitermachen und hoffen, dass andere mitmachen, denn diese Aufgabe läuft nicht weg, sie bleibt und schaut uns auffordernd an. 

Ich bin gespannt, wie weit ich damit kommen werde.

 

Mutmacher:
„Die Wissenschaftler sind jetzt fest überzeugt,  daß es nur eine einzige gute Mikrophysik, Vererbungstheorie, Entwicklungstheorie usw. gibt; sie versuchen, widrige Tatsachen in ihrem Rahmen zu erklären, und es stört sie nicht, wenn sich solche Erklärungen gelegentlich als etwas umständlich erweisen. [...] Als nächstes wird die Entwicklung öffentlich bekannt. Populärwissen­schaftliche Bücher verbreiten die Grundannahmen der Theorie; auf entfernten Gebieten kommt es zu Anwendungen, die Orthodoxen bekommen Geld, die möglichen Rebellen keines, Lehrpläne werden umgestellt, die Wissenschaftstheoretiker geben ihren Segen. Die Theorie ist vernünftiger und erfolgreicher denn je, Alternativen haben kaum mehr eine Chance. Der endgültige Triumph der Komplementarität, der klassischen Genetik, des Darwinismus scheint gesichert. Es liegt aber auch auf der Hand, daß dieser Schein des Erfolgs nicht im geringsten als Zeichen der Wahrheit und der Übereinstimmung mit der Natur gelten kann. Ganz im Gegenteil.“ (Feyerabend, S. 50)

Angemerkt:
„Subjektwissenschaft“ benutze ich hier noch im umgangssprachlichen, etymologischen Sinn. Die meist politisch oder ideologisch „legitimierte“ Verwendungsweise beispielsweise der Kritischen Psychologie der Schule Holzkamps oder anderer esoterischer und elitärer Gruppen und Vereinigungen hat mit meinem Anliegen nichts zu tun. Das Haus einer wissenschaftlichen Subjekttheorie ist also noch unbewohnt.

Weiterführende Literatur:
Anochin, Pjtor Kusmitsch (1978): Beiträge zur allgemeinen Theorie des funktionellen Systems, Gustav Fischer Verlag, Jena,
Feyerabend, Paul (1986): Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Zürich,
Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie, Campus Verlag, Frankfurt-New York,

Kuhn, Thomas S. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main,
Lauerbach, Robert; Bertalanffy, Ludwig von; Beier, Walter (1977): Biophysik des Fließgleichgewichts, Akademie-Verlag, Berlin,
Leontjew, Alexej (1971): Probleme der Entwicklung des Psychischen, R. Piper GmbH & Co. KG,, München,
Litsche, Georg A. (2004): Theoretische Anthropologie, Lehmanns Media-LOB, Berlin,
Lorenz, Konrad (1992): Die Naturwissenschaft vom Menschen, R. Piper GmbH & Co. KG,, München,
Prigogine, Ilya (1980): Vom Sein zum Werden. Zeit und Komplexität in den Naturwissenschaften, R. Piper GmbH & Co. KG,, München,
Robert A. Heinlein, Das Leben des Lazarus Long, Heyne SF, München 1976,
Suchotin, Anatoli Konstantinowitsch (1980): Kuriositäten in der Wissenschaft, Leipzig, VEB Fachbuchverlag,
Uexküll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Springer J., Berlin.
Weiterführende Links:
Zwei Kulturen - zwei Sprachen

© Dr. G. Litsche 2004
Letzte Bearbeitung: 18.10.2015