Nach oben Übersicht Systembegriff Minimalausstattung Komplexe Systeme Autonome Systeme Stabile Systeme Sensorische Systeme Kinetische Systeme Aktive Systeme Lebende Systeme
Systeme.pdf |
Zum Systembegriff
Zum terminus
technicus wurde der Ausdruck "System" bei der Bearbeitung von
Problemen des Stoffwechsels der Lebewesen, die mit den Gesetzen der
klassischen Thermodynamik nicht mehr hinreichend beschreibbar waren, da
diese nur auf physikalische Körper zutreffen, die nur außerhalb der
Beziehungen zu ihrer Umgebung Gegenstand der Thermodynamik waren.
Lebewesen können aber nur in Beziehung zu ihrer Umgebung existieren,
müssen also offen sein. Sie können folglich nur in einem Zustand des
thermodynamischen Ungleichgewichts dauerhaft existieren. In der
klassischen Thermodynamik der physikalischen Körper ist dieser Zustand nur
zufällig und zeitweilig, denn er geht notwendig und spontan („freiwillig“)
in das thermodynamische Gleichgewicht über. Damit aber werden auch die
Komponenten des Ungleichgewichts, die thermodynamischen Phasen, zu
flüchtigen, zeitweiligen Gebilden, für die es keine messbaren invarianten
stoffunabhängigen Zustandsgrößen gibt.
Bertalanffy untersuchte nun mit den Lebewesen thermodynamische Systeme,
die sich in einem stabilen Zustand des Ungleichgewichts befinden. Diesen
Zustand bezeichnete er als „Fließgleichgewicht“ („steady state“).
In diesem Zustand werden aber die für die klassische Thermodynamik nur
zufällig und zeitweilig existierenden thermodynamischen Phasen zu
Gebilden, die nicht nur dauerhaft existieren, sondern vor allem auch durch
ein bestimmtes Zusammenwirken das Fließgleichgewicht und damit ihre eigene
Existenz erst ermöglichen. Zur Bezeichnung eben dieses spezifischen
Zusammenhangs eignete sich der Terminus „System“ nun in besonderer Weise.
Er wurde von einem Wort der Umgangssprache zu einem wohl definierten
wissenschaftlichen Begriff.
Damit verschwand das Wort „System“ natürlich nicht aus der Umgangssprache,
es blieb gewissermaßen als „System i.w.S.“ im Unterschied zu dem nun
definierten „System i.e.S.“ erhalten. Aber diese Unterscheidung wurde
damals nicht getroffen und unterbleibt auch heute. Bertalanffy selbst hat
die physikalischen Körper der klassischen Thermodynamik als Systeme
geadelt, indem er sie im Unterschied zu den von ihm untersuchten und
„offene thermodynamische Systeme“ genannten Entitäten als „geschlossene
thermodynamische Systeme“ bezeichnete.
Diese sollten genauer als „isolierte Mehrphasenkörper in einem
thermodynamischen Ungleichgewicht“ bezeichnet werden. Sie sind keine
thermodynamischen Systeme i.e.S., denn sie bestehen nur zeitweilig aus
verbundenen Teilen, den Phasen, die an der Phasengrenze verbunden sind
(Abbildung 1 Mitte). Mit dem Erreichen des Gleichgewichts (Abbildung 1
rechts) verschwindet auch die Phasengrenze. Solange der Mehrphasenkörper
von der Umgebung isoliert ist, ist die Existenz der Phasen ein
zeitweiliger, zufälliger (kontingenter) Zustand des Körpers, der in einer
bestimmten endlichen Zeit (Abbildung 2) spontan in den
Gleichgewichtszustand ohne Phasen übergeht. Während dieser Zeit ist er
zudem durch keine invarianten intensiven thermodynamischen Zustandsgrößen
bestimmt. Er ist also nie derselbe. Durch die invarianten extensiven
Zustandsgrößen ist er nur als Körper, nicht aber als System invariant und
definierbar. Der Ausdruck „isoliertes thermodynamisches System“ ergibt
deshalb keinen Sinn, ebenso wie etwa der Ausdruck „lebloses Lebewesen“.
Betrachten wir nun statische Systeme. Die Theorie der statischen Systeme
ist die Statik, beispielsweise Elektrostatik, Hydrostatik. Die invarianten
Zustandsgrößen eines statischen Gleichgewichts sind die stoffbestimmten
extensiven Zustandsgrößen wie Masse oder Volumen. Im Gleichgewicht haben
alle Komponenten das gleiche Potential. Sie befinden sich alle auf
derselben Äquipotentiallinie oder Äquipotentialfläche.
Das Gleichgewicht statischer Systeme bleibt solange erhalten, wie das
System sich in keiner Wechselwirkung mit der Umgebung befindet. Statische
Systeme sind in thermodynamischer Hinsicht geschlossene Systeme. Ihre
intensiven (thermodynamischen) Zustandsgrößen wie Temperatur oder Druck
können sich zwar ändern, sind aber ohne Bedeutung für das statische
Gleichgewicht. Die invarianten Größen statischer Systeme sind die
extensiven Zustandsgrößen.
Es stellt sich also die Frage, ob eine allgemeine Systemtheorie wirklich
die Gemeinsamkeiten aller Systeme untersuchen soll, also die
Gemeinsamkeiten von statischen und dynamischen Systemen. Obwohl mein
Problem nicht die Frage der Gegenstandsbestimmung der allgemeinen
Systemtheorie ist, musste diese Erörterung hier erfolgen, um den
Gegenstand meiner Darstellung hinreichend genau zu bestimmen. „Systeme“
meint in meinen Ausführungen stets offene, thermodynamische Systeme,
„Systeme i.e.S.“, auch wenn nur von Systemen ohne jeden weiteren Zusatz
die Rede ist. Nachtrag 2012
Nach einigen Jahren
weiteren Nachdenkens vor allem über den Begriff des Subjekts erwies sich
die Ambivalenz des Systembegriffs als so hinderlich, dass ich eine neue
Fassung des Systembegriffs erörterte. (Mehr...) |
Abbildung 1:Zeitweilige Existenz eines isolierten
Zweiphasenkörpers (Pot1, Pot1 Potentiale, gestrichelte Linie Phasengrenze,
Pfeil Richtung des Potentialflusses))
Abbildung 2: Potentialdifferenz P zweier Phasen eines
isolierten Zweiphasen-körpers in der Zeit. Die Länge der Zeit ist von der
Beschaffenheit der Phasengrenze abhängig.
|