Die Minimalausstattung eines
offenen Systems
Fließgleichgewichte sind dadurch
gekennzeichnet, dass ein zwischen einzelnen Phasen eines thermodynamischen
Systems bestehendes Ungleichgewicht in der Zeit, dauerhaft erhalten
bleibt. Da der spontan eintretende Prozess, in dem sich das
thermodynamische Gleichgewicht einstellt, nicht aufgehalten werden kann,
muss er durch eine geeignete Ausstattung des Systems erhalten werden.
Die dazu mindestens erforderlichen funktionellen Komponenten und deren
Anordnung bilden die funktionelle Minimalausstattung des offenen
thermodynamischen Systems.
Betrachten wir zunächst, wie sich das Gleichgewicht im isolierten
Mehrphasenköper einstellt. Dazu verwenden wir das hydrodynamische Modell
der kommunizieren Gefäße (Abbildung 1).
Abbildung 1: Kommunizierende Gefäße
Die Behälter A und B stehen für unterschiedliche
thermodynamischen Phasen. Sie sind durch einen Kanal K verbunden, der die
innere Phasengrenze modelliert. Er ist der zunächst durch einen
Stöpsel S verschlossen. Die unterschiedliche Füllhöhe stellt das
unterschiedliche Potential dar. Wird der Stöpsel entfern, entsteht im
Kanal ein Flüssigkeitsstrom in Richtung des Potentialgefälles (Mitte).
Die jeweils aktuelle Fließgeschwindigkeit im Kanal hängt bei
gegebener Membran von der jeweils aktuellen Potentialdifferenz ab. Da sich
diese kontinuierlich verringert, verringert sich auch die
Fließgeschwindigkeit (Abbildung 2).
Die Potentiale gleichen sich aus, der Fluss kommt nach einer gewissen Zeit
zum Stillstand und die Füllhöhe beider Behälter ist gleich.
Bei gegebener Potentialdifferenz hängt die jeweils aktuelle
Fließgeschwindigkeit und damit die Zeit, in welcher der Strom fließt, von der Beschaffenheit der
durchlässigen Phasengrenze, der Membran, ab.
Die Phasengrenze ist Teil einer thermodynamischen Phase. An ihr bestehen
diskontinuierliche Potentialdifferenzen zwischen den aneinander
grenzenden Phasen. Die spezifische Zustandsgröße der Phasengrenze ist die
Fläche. Die Anordnung der Systemgrenze im Raum bestimmt die
Gestalt des Systems. Das System ist Kugel, Zylinder oder ein in
beliebiger Weise aus Grundformen zusammengesetzter Körper. Diese
Eigenschaft des Systems nenne sein Design.
Das Systemdesign bestimmt Anzahl und Verteilung der Poren einer
Membran und damit bei gegebener Potentialdifferenz die
Fließgeschwindigkeit des Potentialstroms.
Zufluss und Abfluss sind äußere Membranen des Systems. Sie
verbinden die Phasen des Systems mit der "Umgebung".
Umgebung kann die Außenwelt eines Systems nur sein, wenn sie eine
Potentialdifferenz aufweist, die Zufluss und Abfluss ermöglichen. Bei
einem (pumpenlosen) hydro-dynamischen System muss der Zufluss "oben" und
der Abfluss "unten" liegen. In dieser Bestimmung ist der Übergang vom
umgangssprachlichen Terminus "Umgebung" zum systemtheoretischen Begriff
dargestellt.
Zufluss und Abfluss wirken unabhängig voneinander auf die Potentiale des
Systems und damit auf Fließgeschwindigkeit des Systems. Die
Fließgeschwindigkeit ist nun nicht mehr von den Parametern der Inneren
Membran abhängig, sondern von den Zu- und Abflussparametern. Sie sind
diesen proportional (Abbildung 4), wobei der Proportionalitätsfaktor von
den Parametern der äußeren Membran bestimmt wird. Bei gegebenen Parametern
werden Zufluss- und Abflussgeschwindigkeit von den Potentialen der
Umgebung bestimmt (Abbildung 4).
Mit dieser Ausstattung kann das System auf Veränderungen der Umwelt
innerhalb der systembedingten Grenzen "reagieren".
Seine Fließgeschwindigkeit und seine Abflussgeschwindigkeit werden in
vorhersagbarer Weise durch das Potential der Umgebung bestimmt.
Im Unterschied zum geschlossenen Mehrphasenkörper ist die Existenzzeit des
Ungleichgewichts im offenen System nicht systembedingt begrenzt.
Das Ungleichgewicht eines Mehrphasenkörpers geht ohne äußere Einwirkung in
das Gleichgewicht über. Im offenen System bleibt das Ungleichgewicht
dagegen solange erhalten, wie Zufluss und Abfluss das zulassen. Die
Limitierung der Existenzzeit des offenen Systems ist nicht durch das
System, sondern durch die Umgebung bedingt.
Die Minimalausstattung des Systems umfasst also folgende Komponenten
(Abbildung 5):
● zwei Phasen P1 und P2 mit unterschiedlichen Potentialen,
● die diese verbindende innere Phasengrenze iP,
● äußere Phasengrenze äP,
● Zufluss und Abfluss,
● eine Umgebung.
Diese Komponenten
müssen nun in einer bestimmten Weise gestaltet sein, wenn eine dauerhafte
Existenz des Systems gewährleistet werden soll. Die das Design bestimmende
Komponente ist das Ungleichgewicht, das erhalten werden soll (Abbildung 5
rot gekennzeichnet). Das Design aller anderen Komponenten muss an dieser
Komponente orientiert sein. So muss das Design der äußeren Membranen eine
Durchflussgeschwindigkeit gewährleisten, die der Fließgeschwindigkeit im
System entspricht. Ein solches Design nenne ich "harmonisch".
In der technischen Realisierung wird das Design durch die Wand
gewährleistet, die keine Komponente der Minimalausstattung sondern eine
kontingente Komponente ist
In einem harmonisch gestalteten System bleibt die Fließgeschwindigkeit im System
solange konstant, wie Zufluss und Abfluss konstant bleiben. Dieser Zustand
der konstanten Fließgeschwindigkeit ist das Fließgleichgewicht (steady state). Die Potentialdifferenz
der Phasen des Systems ändern sich nicht (Abbildung 6).
Ein System entsteht also, wenn der Prozess der Annäherung
an den Gleichgewichts-zustand, der „Strom“ nicht in einer endlichen
Zeit zum Stillstand kommt. Im System verändert sich die
Fließgeschwindigkeit nicht und erreicht so nie den Wert 0. Das System
befindet sich dauerhaft im Zustand des thermodynamischen Ungleichgewichts,
dem Fließgleichgewicht.
Die Erhaltung der dauerhaften Existenz des Ungleichgewichts ist der Zweck,
den das System erfüllen soll. Ich nenne diese Komponente die
sinngebende Komponente des Systems.
Die Beziehungen (Prozesse) zwischen den Komponenten eines dynamischen
Systems werden nur von den Potentialen ihrer nicht stoffeigenen
(systemeigenen) Zustandsgrößen und ihren Design bestimmt. Beide sind
gleichgültig gegen die stoffeigenen Zustandsgrößen. In die
Systembeschreibung gehen die Komponenten des Systems nur als
stoffunabhängige Träger von Potentialen mit einem harmonischen Design ein.
Komponenten mit einem harmonischen Design nenne "funktionelle
Komponenten".
Diese systemtheoretischen Bestimmungen sind unabhängig von der jeweiligen
Zustandsgröße. Abbildung 7 zeigt einen Zweiphasenkörper im thermischen
Ungleichgewicht. Er ist auf einer Seite wärmer als auf der anderen. Im
Übrigen hat er das gleiche Design wie die kommunizierenden Gefäße. Wenn
der Stöpsel gezogen wird, kommt es im Kanal zu einem Wärmestrom, durch den
die Temperaturdifferenz ausgeglichen wird. Das thermische Ungleichgewicht
kann erhalten werden, wenn das System mit der Umgebung verbunden und von
einer Seite geheizt und der andern gekühlt wird.
Auf den folgenden Seiten wird gezeigt, wie durch Konstruktion weiterer
funktioneller Komponenten Systeme entwickelt werden können, welche die
Erhaltung des Fließgleichgewichts in immer zweckmäßigerer Weise
gewährleisten. Das minimale offene thermodynamische System stellt so die
Ausgangsabstraktion für die Konstruktion weiterer Systeme dar.