Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Nichts ist in unseren Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.

 

Erkenntnistheoretisches Propädeutikum
Einführung

Unter dieser Überschrift habe ich einige Texte zusammengestellt, welche ad hoc die Verwendung von Termini  darlegen, ohne die wissenschaftliche Erkenntnis einerseits nicht möglich ist, die andererseits aber erst im Ergebnis einer umfassenden Analyse systematisch dargestellt werden können. Sie können also zunächst nur „propädeutisch“ dargestellt werden. Die hier ad hoc erfolgenden begrifflichen und terminologischen Festlegungen sind - in unterschiedlicher Tiefe - in der „Theoretischen Anthropologie“ systematisch entwickelt worden.
Erst als dieses Buch fertig war und ich meine Gedanken selbst lesen konnte wie die Gedanken eines Fremden wurde mir bewusst, dass ich in diesem Buch unter der Hand einen paradigmatischen Wechsel vollzogen hatte. Ich hatte ganz im kausalistischen Paradigma der Naturwissenschaften begonnen, in dem ich meine Bildung erworben und in dem ich ein Leben lang gedacht hatte. Dabei stieß ich immer wieder an die Grenzen dieses Paradigmas, ohne dass ich die Natur dieser Grenzen zu ergründen vermochte noch sie zu überwinden verstand.

Die Paradigmata seines Denkens erwirbt der Mensch gewöhnlich sehr früh und unbewusst. Sie erscheinen ihm selbstverständlich und unbezweifelbar. Erst als ich immer wieder an die Grenzen dieses Paradigmas gestoßen war, wurde mir mein Paradigma bewusst und ich war in der Lage, dieses Paradigma selbst zum Gegenstand meines Nachdenkens zu machen. Dabei bin ich mir darüber klar geworden, dass das physikalische Kausalitätsparadigma, das in der aktuellen Wissenschaft weithin den Charakter des  wissenschaftlichen Paradigmas schlechthin angenommen hat, zu Lösung der Probleme der Lebendigen und damit auch des Menschlichen ungeeignet ist. Es ist vielmehr notwendig, dieses Paradigma zu erweitern und auf seiner Grundlage ein Paradigma des Subjekts zu entwickeln, das nicht durch äußere Einwirkungen, fremdbestimmt ist, sondern selbstbestimmt seine Tätigkeit aus sich heraus determiniert. Determination ist nicht nur Kausalität, Subjekte determinieren ihre Tätigkeit selbst. Ich schlage vor, diese Form der Determination „Willen" zu nennen. Der Wille determiniert die Tätigkeit des Subjekts.
Zur Herausbildung dieser Sichtweise haben bereits viele beigetragen. Einiges dazu habe ich im Teilprojekt "Paradigma" dargestellt.
Ein solcher Paradigmenwechsel ist auch für den Einzelnen ein schwieriger und langwieriger Prozess. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass alle wissenschaftlichen Termini, die man sich im Verlaufe der Zeit angeeignet hat, ihre tiefere Bedeutung aus ihrer Stellung im kausalistischen Paradigma beziehen. Ordnet man sie nun in ein anderes Paradigma ein, verändern sie natürlich ihre Bedeutung, auch wenn sie ihren Sinn behalten und die gleichen Entitäten bezeichnen (). Es ist, als ob man von der Orientierung mittels einer Landkarte zur Orientierung mittels eines Globus überginge: Die Punkte in der Landschaft sind dieselben, sie haben nur eine andere räumliche Beziehung zueinander. Für die unmittelbare Umgebung sind die Änderungen wenig bedeutsam, überschaut man aber große Räume, muss man umdenken.
Die propädeutische Darstellung neuer Bedeutungen alter Termini ist der Inhalt diese Propädeutikums. Der Leser wird also viele Worte lesen, die er kennt und die Entitäten bezeichnen, die ihm bekannt sind. Die neue Bedeutung wird erst klar, wenn er sie nicht mehr als Wirkungen äußerer Ursachen zu verstehen versucht, sondern als autonome Aktionen, die durch den Willen eines Subjekts zustande kommen.

Hier erscheinen sie als Bestimmungen, von denen ausgegangen wird, obwohl die wissenschaftliche Entwicklung eines Begriffs bei seiner Definition erst nach der Analyse ankommen muss. In der späteren Analyse ist deshalb auch immer zu reflektieren, ob und wie diese zunächst willkürlichen Ausgangsbestimmungen die im Verlauf der Analyse gewonnenen Ergebnisse bestimmen und so als sich selbst erfüllende Voraussagen auf den Prozess der Analyse wirken. Kritisches Mitdenken des Lesers ist gefragt.
Die Notwendigkeit dieses Vorgehens ergibt sich aus dem Umstand, dass Erkennen heute nie voraussetzungslos und vorurteilsfrei beginnen kann, wie das in idealisierender Weise oft gefordert und nicht selten vorgegeben wird. Ein angeblich vorurteilsfreier Beginn verschleiert nur die gesetzten Voraussetzungen und Vorurteile und verhindert so deren kritische Reflektion. 
Wenn man eine wissenschaftliche Untersuchung unvoreingenommen beginnen wollte, müsste man vorgehen, wie Descartes und alles bezweifeln.
Man muss sein Haus der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie, in das man mit seiner Geburt eingezogen ist, niederreißen und von Grund auf  nach Maßgabe seines eigenen Denkens, mit eigenen Werkzeugen und eigenem Material neu aufbauen, denn nur am eigenen Denken ist, so meint Descartes, nicht zu zweifeln.
Dabei kann es durchaus dazu kommen, dass man Komponenten des alten Plans, altes Material und alte Werkzeuge benutzt. Das aber nur dann, wenn es das eigene Denken erfordert. Für die Zeit, während der das neue Haus gebaut wird, bezieht man - im Bilde Descartes - ein anderes Haus.
Hierfür bieten sich verschiedene erkenntnistheoretische Systeme an, die man in der Zwischenzeit benutzen könnte. Sie würden dem nun zu praktizierenden unbefangenen Denken jedoch unterschiedlichste Fesseln anlegen, indem sie diesem bestimmte Richtungen vorschreiben und andere verstellen. So bestreitet der Konstruktivismus die Existenz der Realität zumindest als erkenntnistheoretisch bedeutsame Kategorie und verhindert so das Nachdenken darüber, ob und wie das Denken mit dieser Realität übereinstimmt. Der Empirismus verlangt dagegen, dass ich die Erfahrung als Grundlage aller Erkenntnis anerkenne. So komme ich zu dem Schluss, keine von diesen als vorläufige Heimstatt zu benutzen. Um aber nicht unbehaust dazustehen, bleibe ich beim dem, was ohnehin jeder weiß, dem „gesunden Menschenverstand“ unserer Alltagserkenntnis, die ich erwarb, indem ich mir meine Muttersprache aneignete. Sie ist die erste Quelle aller unserer individuellen Erkenntnis und so auch der Erkenntnis der Erkenntnis.
Damit ist nachvollziehbar festgelegt, wie die hier von mir gebrauchten Termini anfangs zu verstehen sind. Dieser Festlegung können wohl die meisten Mitglieder unserer Sprachgemeinschaft – Erkenntnistheoretiker vielleicht ausgenommen – im Wesentlichen zustimmen.
Da das Maß, in dem die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft sich diese gesellschaftliche Erkenntnis angeeignet haben, außerordentlich unterschiedlich sein kann, gehe ich in der Regel von der Bedeutung aus, die in populären Enzyklopädien und Lexika wie "Wikipedia" dargelegt sind. Die Machart und Verwendung einer Enzyklopädie in der Art von Wikipedia gewährleistet, dass die Termini umgangssprachlich bleiben und nicht einem bestimmten fachsprachlichen System unterworfen werden. Auch wissenschaftliche Lexika werden dabei einbezogen.
Die umgangssprachliche, enzyklopädische Bedeutung eines Ausdrucks bleibt solange gültig, bis ich den jeweiligen Terminus in einer präzisierten Fassung in das zu entwickelnde Begriffssystem eingeordnet oder ggf. einen eigenen Terminus eingeführt habe.
Für eine Reihe allgemein üblicher grundlegender erkenntnistheoretischer und psychologischer Termini habe ich in der „Theoretischen Anthropologie“ vorgeschlagen und ein einheitliches wissenschaftsübergreifendes logisch und terminologisch widerspruchsfreies Begriffssystem entwickelt. Eine Auswahl dieser Begriffe und Termini wird hier einführend dargestellt.
Der Leser muss nur beachten, welche veränderte Bedeutung ein ihm aus einer speziellen Erkenntnistheorie bekanntes Wort eventuell erhalten hat und welchen Platz es in diesem System einnimmt.  

 

 

 

 

Angemerkt:
„Ad hoc“ ist eine lateinische Phrase und bedeutet „für diesen Augenblick gemacht“ oder „zur Sache passend“. Im übertragenen Sinne bezeichnet „ad hoc“ aus dem Stegreif improvisierte Handlungen und Dinge, die speziell für einen Zweck entworfen wurden.

 „Propädeutik“ (griech. pró vor, paideúein unterrichten) bedeutet Vorbildung, Vorübung, Vorunterricht, Einführung in eine Wissenschaft. In der klassischen Wissenschaftstheorie dient die Propädeutik der Einführung in wissenschaftliche Methodik und Sprache.

 

 

 

 

 

 

 

 

Präzisierung:
Dies ist nicht der Standpunkt des "Erlanger Konstruktivis-mus", der meint, es "... ist allen Ernstes ´davon auszugehen´, daß wir ´immer schon sprechen´, miteinander sprechen als Menschen unter Menschen und als Menschen in der Welt. Was wir einklammern, gleichsam vorerst auslöschen, sind lediglich die Sprache der Wissenschaft..." (Kamlan/Lorenzen, S.23)
Dieser Stanpunkt ist für meinen Geschmack dem der Linguistischen Gesellschaft von Paris zu nahen, die im Jahre 1866 alle Spekulationen über den Ursprung der Sprache untersagte.
Es ist vielmehr eine Festlegung, wie in dieser Arbeit die Begriffe  und Termini entwickelt werden sollen, mit denen auch die Entstehung der Erkenntnis erkannt werden kann.

 

Weiterführende Links:
WikipediaLexika von Wissenschaft-online, Wörterbuch der Uni Leipzig
Weiterführende Literatur:
Kluge, Friedrich (1995): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Walter de Gruyter & Co., Berlin und Leipzig
Kamlan, Wilhelm; Lorenzen, Paul (1967): Logische Propädeutik, Bibliographisches Institut, Mannheim

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© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 01.06.2011