Frankfurter Theorie
Die Frankfurter Evolutionstheorie baut auf einem von Wolfgang F. Gutman
entwickelten Ansatz auf. Im Unterschied zu den bisher dargestellten
Ansätzen, die das darwinistische Paradigma weiter zu entwickeln versuchen
und sich mehr oder weniger direkt in das klassische Paradigma einordnen,
lehnt die Frankfurter Schule die traditionelle Evolutionstheorie
darwinistischer Prägung expressis verbis ab und setzt an seine
Stelle eine eigene Konzeption. Es wird nicht mehr versucht, das
darwinistische Paradigma zu retten, vielmehr wird dieses insgesamt als
Theorie der Evolution zurückgewiesen. Gutmann führt dazu aus:
"Grundlegend fehlkonzipiert erscheint also nicht nur der
Erklärungsmodus der darwinistischen Evolutionstheorie, der Versuch,
lebende Organisation über Anpassung an die Umwelt zu erklären, sondern
auch die Verfassung des biologischen Wissens, vor allem in den klassischen
Fächern der Biologie. Gemessen an den Erfordernissen eines organismischen
Verständnisses von Evolution muß der Vorwurf gegen die traditionelle
darwinistische und die neuere synthetische Theorie noch verschärft werden.
Von ihrem Grundverständnis der Evolution als Umweltanpassung her ist es
grundsätzlich nicht möglich, Evolution als Prozeß der Transformation
lebender organismischer Gefüge zu begründen. Es wird sogar zu zeigen sein,
daß die seit Darwin und Wallace entwickelte evolutionäre Vorstellung,
besonders die synthetische Theorie, trotz ihrer geradezu genialen
Anfangsbegründung mit Sicherheit das Verständnis der Evolution von
Organismen ausschließt, also eine schädliche, die Objekte der Biologie
verzeichnende, ja ihre Bedeutung unterschätzende Theorie ist." (S. 26)
Diese Kritik gründet sich auf zwei Argumentationslinien. Die eine ist
die vorherrschend induktive Verfassung der darwinistischen Theorie, die
heutigen konstruktivistisch orientierten erkenntnis- und
wissenschaftstheoretischen Vorstellungen nicht mehr entsprechen.
"Schwere Bedenken ergeben sich, weil heute auf breiter Front die
Vorstellung vorherrscht, man müsse Evolution nicht als Theorie begründen,
sondern könne sie an Fossilien direkt oder durch Formenvergleich bzw.
durch die Betrachtung der Embryonal-Entwicklung ermitteln. Solches
Argumentieren im Sinne des Induktionismus und Naturalismus ist beim Stand
der Wissenschaftstheorie und angesichts der sophistizierten Begründungen
aller erklärenden Wissenschaften nicht mehr haltbar. Es gibt seit
Jahrzehnten eine Wissenschaftstheorie, die die theoretische Grundlage
aller Wissenschaft herausgearbeitet hat und die die Annahme nicht mehr
zuläßt, es könne möglich sein, durch reine Sacharbeit aus Fakten und
Beobachtungen Folgerungen, vor allem solche theoretischer Art zu ziehen.
Der Induktionismus ist durch die Entwicklung des
Hypothetiko-Deduktionismus in keiner Wissenschaft mehr als mögliche
Legitimierung des methodischen Vorgehens anzusehen." (S.28)
Die andere Argumentationslinie besteht in der Kritik des Umstandes,
dass der traditionelle Darwinismus nicht auf einem hinreichend definierten
Begriff des lebenden Organismus beruht:
"Als zentraler Defekt, als Insuffizienz an der Basis des
Evolutionsdenkens stellt sich immer klarer heraus, daß eine angemessene
Vorstellung vom Organismus fehlt, daß also eine tragfähige Grundlage
dafür nicht existiert, daß Evolution stattfinden muß und wie dies
geschieht. Solange von einem überzeugenden Organismus-Verständnis nicht
Evolution als theoretisch notwendig begründet werden kann, läßt sich
nicht einmal feststellen, ob ältere Vorstellungen, so auch die
darwinistische Theorie, sinnvoll sind." (S. 28)
Die Argumentation erfolgt also nicht mehr intern, innerhalb der
Evolutionstheorie, sondern extern, aus Erkenntnis- und
Wissenschaftstheorie einerseits und aus der allgemeinen Biologie
andererseits.
Dem folgend, wird die Frankfurter Evolutionstheorie aus einem allgemein
biologischen Konzept des Organismus entwickelt. In diesem werden Lebewesen
als " energiewandelnde, hydraulische Konstruktionen"
bestimmt. Weiter heißt es:
"Organismen nehmen Stoffe und Energie auf,
setzen sie im Körper um und scheiden Restprodukte wieder aus. Der Körper
der Organismen ist als energiewandelnde Konstruktion mit einer Maschine
vergleichbar. Die Hauptsätze der Thermodynamik sind universell gültig.
Die Organismen haben spezifische (biologische) Konstruktionsbestandteile
mit spezifischen Materialeigenschaften. Ein Organismus besteht aus einem
Gefüge von wässrigen Füllungen, eingeschlossen in flexible Membranen
oder komplexere Hüllen; er ist eine hydraulische Konstruktion (oder bei
größeren Organismen ein Komplex von Hydrauliken). Verspannende
Strukturen und Bandagen (vor allem Bindegewebe und Muskulatur)
deformieren dieses System; sie erzeugen, erhalten und verändern
bestimmte Körperformen in aktiver Weise, also unter Wandlung von
Energie. Starre Skelettelemente können ebenfalls vom hydraulischen
System erzeugt und in unterschiedlicher Weise in den Körper eingebaut
werden." (Zitiert aus dem Beitrag "Frankfurter Evolutionstheorie" in der
Website von
Morphisto)
Auf diesem theoretischen Konstrukt wird nun logisch folgerichtig
eine Theorie der Evolution entwickelt und bestimmt:
"Evolution geschieht
durch Transformation der hydraulischen Konstruktion nach Maßgabe der
internen Konstruktions- und Organisationsbedingungen und kann nicht mehr
im Sinne des Altdarwinismus durch Formenreihung nach Maßgabe von
Homologien-Ähnlichkeiten oder durch stammbaumartige Gruppierung von
systematischen Einheiten und durch Merkmalsbewertung repräsentiert
werden. Phylogenetik erfordert die Begründung des Wandels organismischer
Konstruktionen über notwendige Stadien der Transformation der
energiewandelnden mechanischen Systeme. Die phylogenetische Entwicklung
kann nur in Form von Modellen mit Zuordnung von Evidenzen vorgestellt,
nicht an Objekten oder deren Reihung (etwa Fossilien) aufgewiesen
werden." (S.172f.)
Ohne ins Einzelne gehende Analyse fällt sofort auf, dass in einem
solchen Konzept psychische Prozesse keinen Platz haben. Damit aber wird
das Verständnis des Menschen als Menschen unmöglich. Der Mensch
kann so zwar als hydraulisch- mechanische Konstruktion, nicht aber als
Mensch verstanden werden.
Das ist kein Problem der dargelegten Evolutionstheorie, sondern das
Problem der Ausgangsabstraktion "Organismus".
Die Diskussion der paradigmatischen Situation in der Biologie darf nicht
bei der Evolutionstheorie stehen bleiben, sondern muss das gesamte
Paradigmensystem der Biologie umfassen.
Das kann nun wieder nicht von innen geschehen, sondern muss von einem
externen Ansatz erfolgen, d.h. aus Physik und Chemie. Dazu greift der
hydrodynamisch- mechanische Ansatz zu kurz. Wie ich zu zeigen versuche,
muss der Ansatz aus der Thermodynamik und speziell der Thermodynamik von
Systemen fern des Gleichgewichts kommen.