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Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Theoretische Biologie und Biologieunterricht

Der Biologieunterricht in der sozialistischen Schule hat vielfältige Ziele zu erreichen. Er kann jedoch keines von diesen erreichen, wenn er den Schülern nicht die Grundfrage der Biologie beantwortet: "Was ist Leben"' Auch in der "Methodik Biologieunterricht" heißt es: "Die Grundvorgänge des Lebens ... kennzeichnen in ihre, Gesamtheit das Wesen des Lebens, das den Schülern nach und nach bewußtzumachen ist".
Diese Zielstellung ist keineswegs neu, man findet sie bereits bei den verschiedensten Methodikern des Biologieunterrichts der Vergangenheit. So unterschiedlich die Vorstellungen von Lüben, Junge, Schmeil, Rossmäßler, Dannemann, Jauch, Henkler u.v.a. über den Biologieunterricht auch sein mögen, in der Frage sind sie einig: Der Biologieunterricht muß den Schülern die Frage nach dem Wesen des Lebens beantworten. Auch der Biologieunterricht in der Schule unserer Republik hat in einer historisch kurzen Zeit eine Reihe tiefgreifende, Wandlungen erfahren, aber immer war die Vermittlung der grundlegenden Gesetze des Lebendigen eine seiner Hauptaufgaben.
Dieses Ziel wurde und wird mit den verschiedensten didaktisch- methodischen Verfahren und den verschiedensten Formen der Auswahl und Anordnung des Unterrichtsstoffes zu erreichen versucht. Die Auswahl der Unterrichtsverfahren wie des Unterrichtsstoffes wird durch viele Faktoren beeinflußt. Eine dieser Einflußgröße, ist die auf dem jeweiligen Stand der Wissenschaft beruhende Auffassung der Unterrichtsmethodiker vom Leben. Es ist offensichtlich, daß wesentliche Unterschiede in der Methodik beispielsweise von Lüben, Junge und Schmeil auf verschiedenen Auffassungen von den grundlegenden Gesetzen des Lebens beruhen. Einig sind sie sich in der Forderung nach Anschauung, nach Beobachtung des Lebendigen und nach Selbsttätigkeit der Schüler. Sie unterscheiden sich aber darin, was die Schüler tun, was sie anschauen oder beobachten sollen.
Der Zusammenhang zwischen der Erkenntnis des Wesens einer Erscheinung und der Kenntnis der Vielfalt von deren Erscheinungsformen wird von Engels in bezug auf seine bekannte Definition des Lebens als der Daseinsweise der Eiweißkörper so dargestellt: "Unsere Definition des Lebens ist natürlich.....      sehr ungenügend... Alle Definitionen sind wissenschaftlich von geringem Wert. Um wirklich erschöpfend zu wissen, was das Leben ist, müßten wir, alle seine Erscheinungsformen durchgehen, von der niedrigsten bis zur höchsten". Für die Methodik heißt das, die Frage zu beantworten, welche Erscheinungsformen des Lebens die Schüler kennenlernen müssen, um das Wesen des Lebens begreifen zu können, um also im erforderlichen Maße "erschöpfend zu wissen, was das Leben ist".
Die Entwicklung der Auffassungen der biologischen Wissenschaft über das Wesen des Lebens war immer auch dadurch gekennzeichnet, daß neue Erscheinungen des Lebens und neue Zusammenhänge zwischen diesen Erscheinungen bekannt wurden. Das war auch in den letzten 50 Jahren so, die vor allem unser Wissen über das Leben auf der Ebene der Molekularbiologie und der Ebene der Biogeozönose um viele neue Erkenntnisse bereicherten. Diese neuen Erkenntnisse haben auch Eingang in das von der Schule zu vermittelnde Wissen gefunden.
Die Zunahme des Wissens über die Erscheinungen des Lebens hat jedoch auch dazu geführt, daß der logische und methodologische Apparat der traditionellen Biologie nicht mehr ausreichte, um dieses neue Wissen theoretisch zu verarbeiten. Es genügt nicht mehr, dieses neue Wissen dem bisherigen Wissenssystem einfach hinzuzufügen. In der Biologie ist eine neue Sichtweise auch des bekannten empirischen Materials erforderlich. Auf diesen Zusammenhang weisen vor allem Philosophen und Erkenntnistheoretiker hin, z. z.B. Sershantow, Frolow, Astaurow, Löther, Kaiser und Voigt. Die letztgenannten schreiben z B.: "Jener Prozeß, den wir gewöhnlich als Revolution in der Biologie bezeichnen, besteht nicht ... in erster Linie darin, daß sich Molekularbiologie, Biophysik usw. entwickeln, sondern darin, daß diese zu einer Umwälzung inneren Struktur des gesamten Bereichs der biologischen Wissenschaften führten"  (Hervorhebung von mir - G. L.) L. Sershantow kommt zu folgender Einschätzung: "Die theoretische Biologie ist als Verallgemeinerung des gesamten biologischen Wissens, als System, in logischem Zusammenhang stehender Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien, die für alle Gebiete der Biologie Gültigkeit besitzen, aufzufassen ...und in diesem Punkt herrscht unter den Biologen völlige Übereinstimmung".
Diese Umwälzung, die auch als" Theoretisierung der Biologie" bezeichnet wird und die früher oder später auch Bedeutung für den Biologieunterricht unserer Schule gewinnen wird, ist mit einer radikalen Umgestaltung der Natur ihrer konstituierenden Elemente, der Begriffe und der bei ihrer Bildung angewandten Verfahren verbunden.
Zwei wesentliche Merkmale dieser neuen Begriffe der Biologie sind einerseits die Schaffung idealer (theoretischer) Modelle und andererseits die "Definition durch Abstraktion", die durch Idealisierungen realer Merkmale vorgenommen werden. Das entscheidende Merkmal von Begriffen dieser Art besteht nicht darin, daß ein höherer Abstraktionsgrad erreicht wird, sondern darin, daß sie durch qualitativ andere Arten des Abstrahierens gewonnen werden. Diese neue Qualität der biologischen Begriffe, wird oft dadurch verdeckt, daß sie mit den gleichen Wörtern ausgedruckt werden wie die vorher mit den empirischen Methoden der Abstraktion gewonnenen Begriffe. Man. Bedenke beispielsweise die Entwicklung der Bedeutung des Wortes "Gen".
Ebenso unterscheiden sich theoretische Modelle in erkenntnistheoretischer Hinsicht von empirischen Modellen durch die Methode ihrer Gewinnung. Ein Blütenmodell und das Modell eines Atoms sind erkenntnistheoretisch qualitativ verschiedene Gebilde. Ein Modell des Atoms oder der DNS ist erkenntnistheoretisch keine unmittelbare Nachbildung der Realität, wie etwa ein Kirschblütenmodell, sondern ein ikonisches Symbolmodell. Die DNS sieht nicht so aus wie ihr Modell, während, die Kirschblüte so aussieht, wie ihr Modell. Ein theoretisches Modell wird nicht durch Anschauen und Nachbilden, sondern durch Nachdenken und "Veranschaulichung" der Gedanken gewonnnen Ein solches Modell steht nicht unmittelbar für die Realität, sondern für unser Wissen über die Realität .
Auf diese Merkmale wird in den einschlägigen methodischen und didaktischen Arbeiten auch hingewiesen. Sie werden im Unterricht wieder vernachlässigt, indem beide Arten in gleicher Weise anstelle der Naturobjekte als Gegenstand der Anschauung eingesetzt werden. Werden diese erkenntnistheoretisch qualitativ unterschiedlichen Modelle im Unterricht in gleicher Weise eingesetzt, dann vollzieht der Schüler folgerichtig die gleichen Denkoperationen. Das aber heißt, eine Vorstellung von der DNS verhält sich zu ihrem Anschauungsmodell ebenso wie seine Vorstellung von  der Kirschblüte  zu deren Anschauungsmodell. Damit aber können seine Kenntnisse und Vorstellungen über die DNS nicht mehr den Anspruch erheben, wissenschaftlich zu sein.
Durch die didaktische Gleichsetzung von erkenntnistheoretisch Verschiedenen wird so der von Dawydow beschriebene Effekt erreicht ," daß  die in der Schule gewonnenen Begriffe und die Begriffe der modernen Wissenschaft nicht übereinstimmen ".Diese Differenz zwischen den' Begriffen der biologischen Wissenschaft und den im Unterricht vermittelten Begriffen ist nicht die durch die didaktische Vereinfachung stets notwendige Differenz, sondern sie verstößt gegen das Prinzip der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts, und diese Differenz wird durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft ständig größer.. Zur Lösung dieses Widerspruchs sind offensichtlich andere, neue didaktisch- methodische Verfahren erforderlich, die gegenwärtig noch nicht ausgearbeitet sind.
Ähnlich  liegen die Verhältnisse bei den modernen, durch Idealisierung  gewonnenen Begriffen. Hier wird die Vorbildwirkung der theoretischen Physik besonders deutlich erkennbar. Viele Begriffe beispielsweise der Ökologie oder der Genetik werden gewissermaßen "vorsätzlich" auf die gleiche Weise gebildet wie die physikalischen Begriffe "Massepunkt" oder "idealer Transformator", welche Grenzwerte widerspiegeln, die in der Realität nicht erreicht werden. Solche Begriffe wie "ideale Mendelpopulation ...... theoretische Population" oder "ideale Umwelt" sind hierfür charakteristische Beispiele aus der Biologie.
Bei der Behandlung solcher Begriffe für  den Unterricht, stellt sich vor allem das Problem der Anschauung. Wie sind Begriffe von Dingen und Erscheinungen zu veranschaulichen, die es in der Realität per definitionem gar nicht gibt? Den. Begriff "Baum" kann man bilden, indem man wirkliche Bäume anschaut und durch Vergleichen den Begriff des Baumes bildet. Eine ideale Mendelpopulation aber mit unendlich vielen Individuen kann man nicht anschauen und den Begriff nicht durch Vergleich realer Populationen bilden. Auch hier sind neue didaktische Verfahren auszuarbeiten.
Ein drittes Problem, auf das hier hingewiesen werden soll, ist die Frage nach dem Aufbau des Lehrganges im Fach Biologie. Dabei geht es sowohl um die logische Struktur des Gesamtlehrganges als auch um die logische Struktur von Stoffeinheiten, die größere Teilgebiete der Biologie umfassen. Ein wesentliches Merkmal dieser logischen Struktur ist das sogenannte "Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten". Die Theorie eines sich entwickelnden Objekts ist die logische Rekonstruktion der historischen Entwicklung, nicht aber deren empirische Beschreibung. E n g e l s beschreibt diese Methode in einer Rezension der M a r x ´schen Arbeit "Zur Kritik der Politischen Ökonomie" und führt aus: "Die logische Behandlungsweise ...aber ist nichts anderes als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen, und sein weiterer Fortgang wird nichts sein als das Spiegelbild, in abstrakter und theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs; ein korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der wirkliche, geschichtliche Verlauf selbst an die Hand indem jedes Moment auf den Entwicklungspunkt seiner Reife, seiner Klassizität betrachtet werden kann" .
Kedrow hat diese Methode einer ausführlichen Analyse unterzogen. Er kommt dabei zu folgendem Ergebnis: "M a r x verglich die höhere Entwicklungsstufe mit der niederen, betrachtet, sie vom Standpunkt der dargelegten Methode aus (die Bewegung des Denkens vom Abstrakten zum Konkreten) und wies nach, daß das Höhere, Entwickelte, folglich mehr Konkrete, den Weg zur Erkenntnis des Niederen, Embryonalen, folglich mehr Abstrakten, weist, denn es ermöglicht die Untersuchung dessen, was früher nur als eine Andeutung existierte und sich dann bis zur vollen Bedeutung entwickelt hat".
In der dialektischen Methode entspricht das Abstrakte folglich dem Niederen, Einfacheren, Undifferenzierten, Unterentwickelten (Embryonalen) und das Konkrete dem Entwickelten, Differenzierten, das auf einer höheren Entwicklungsstufe entsteht und daher komplizierter ist. Aufgabe der Wissenschaft ist es, in der ideellen, logischen Form den realen Entwicklungsprozeß zu reproduzieren und diesen Prozeß als einen konsequenten Übergang vom Abstrakten zum Konkreten, als einen Übergang vom embryonalen, unentwickelten zum entwickelten, reifen Gegenstand darzustellen. Die Lösung dieser Aufgabe erstrebt jede Wissenschaft, die ihren Gegenstand in seiner Entwicklung, in seiner Bewegung untersucht. In der Regel aber erscheint der Untersuchungsgegenstand vor den Wissenschaftlern nicht ursprünglich nicht in seinem embryonalen, unentwickelten Zustand, sondern in seinem entwickelten und reifen Zustand, und oft existiert, wie in der Biologie, die unentwickelte Form neben der entwickelteren weiter.
Von diesem Blickpunkt aus gewinnen auch die. Begriffe "Einfaches" und "Kompliziertes" eine völlig objektive Deutung. Das Einfache ist das, was im gegebenen Entwicklungsprozeß am Anfang steht, ist das weniger Entwickelte, das im Vergleich zum Komplizierten eine niedrigere Entwicklungsstufe vertritt. Das Komplizierte ist das, was im Zuge des gleichen Entwicklungsprozesses am Ende steht, ist das Entwickelte. Das Prinzip des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten ist also die logische Reproduktion der Evolution des Lebens. Dieses Prinzip müßte also Grundlage des Gesamtlehrganges des Biologieunterrichts wie seiner Teildisziplinen werden. Der Unterricht beispielsweise über Stoff- und Energiewechsel oder die Evolutionstheorie wäre nach diesem Prinzip zu gestalten. Auch die Evolution, die sich heute vollzieht, ist Ergebnis der Evolution. So kann die Isolation als notwendiger Evolutionsfaktor erst entstehen, wenn die geschlechtliche Fortpflanzung entstanden ist.
Die Lösung dieses Problems wird dadurch kompliziert, daß dieses Prinzip durch ein scheinbar entgegengesetztes Prinzip ergänzt wird. Das. besagt, daß die Untersuchung eines sich entwickelnden Objekts von dem Objekt in seiner reifen, entwickelten, das heißt konkreten Form ausgehen muß. Es ist durch die bekannte Äußerung von M a r x, daß die Anatomie des Menschen der Schlüssel für das Verständnis der Anatomie der Affen ist, hinreichend charakterisiert. Also muß eine Lösung gefunden werden, die beide Prinzipien gleichermaßen berücksichtigt.
Neben diesen gibt es weitere Probleme, die sich für die Biologiemethodik aus der Theoretisierung der Biologie ergeben., Nach meiner Ansicht ist dies ein Bereich, in dem Vorlaufsforschung in der Biologiemethodik möglich und erforderlich ist, wenn von der Annahme ausgegangen wird, daß die Vermittlung dieses modernen Standes der Biologie in absehbarer Zeit zum gesellschaftlichen Erfordernis wird.
Dawydow ist der Meinung, daß dies - nicht nur in der Biologie, sondern in allen Wissenschaften - schon heute der Fall ist. Er schreibt dazu, daß die Aufgabe, die Volksbildung mit den Errungenschaften der wissenschaftlich - technischen Revolution in Übereinstimmung zu bringen, nur dadurch gelöst wird, "daß die eingeführten Methoden der Aufbereitung des Unterrichtsstoffes durch andere Prinzipien der Auswahl und der Darstellung des Materials ersetzt 'werden. Bis jetzt waren diese Methoden vor allem auf die Erziehung der Schüler zum empirisch- verständigen Denken orientiert. Die neuen Prinzipien müssen so gestaltet sein, daß sie bei allen Schülern zu einer Entwicklung des wissenschaftlich - theoretischen Denkens führen.  Selbst wenn man meint, dem prinzipiellen Anspruch Dawydows  nicht zustimmen zu können, so besteht das aufgeworfene Problem für den naturwissenschaftlichen Unterricht ganz ohne Zweifel.

 










 

 

 

 

 

Publiziert in: Biologie in der Schule,12/1981 , Seite 521 bis 524

Literatur:
/1/ Autorenkollektiv: Methodik Biologieunterricht. Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1976, S. 19
/2/ Dietrich, 0./G. Kummer: 30 Jahre DDR - drei Jahrzehnte erfolgreiche Entwicklung des Bio14eunter-richts. BioS 28, (1979) 10" S. 401 ff.
/3/ MEW, Bd. 2D, Dietz Verlag Berlin, 1973, S.77
/4/ Kaiser, H./W. Voigt: Probleme einer Allgemeinen oder Theoretischen Biologie. DZfPhl -4/1967, S' . 436
/5/ Sershantow, W. F.: Einführung in die Methodologie der modernen Biologie. Akademie - Verlag, Berlin1978, S.184
/6/ Thomas, E.: Das Helix - Modell der DNS - zwischen Experiment und Theorie. BioS 29 (1980) 1, S.38ff
/7/ Dawydow, :W.: Arten der Verallgemeinerung im Unterricht. Berlin 1977, S. 1 10
/8/ MEW, Bd. 13, Dietz Verlag Berlin, 1973, S. 475 
/9/ Kedrow, B. N.: Klassifizierung der Wissenschaften. Berlin/Moskau 1975, S. 336
/10/ Löther , R./G.G. Peters: Evolution der Evolution, BioS27 (1978) 9, S.353

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Letzte Bearbeitung: 23.03.2010