Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Nichts ist in unseren Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.

Die Gegenständlichkeit psychischer Bilder

Auch in den Auffassungen zur Natur der psychischen Bilder finden sich die Grundströmungen der Erkenntnistheorie wieder.
Der Empirismus betrachtet die psychischen Entitäten als Abbilder der Gegenstände der Realität, der in Bezug auf die Abbilder Priorität zugeschrieben wird. In empiristischen Abbildtheorien ist die Kategorie der Vergegenständlichung also gar nicht erforderlich, denn die Gegenstände der Realität werden als Ausgangspunkt der Abbildung aufgefasst. In diesem Erklärungsprinzip bilden die psychischen Abbilder die Realität ab. Auch die Theorie, nach der die psychischen Abbilder die Realität widerspiegeln, benutzt dieses Erklärungsprinzip. Die psychischen Abbilder entstehen in dieser Auffassung im Ergebnis der gegenständlichen Einwirkung der Realität und sind Widerspiegelung dieser Realität. Diese Denkfigur liegt auch der marxistischen Erkenntnistheorie zugrunde, die auch Grundlage der tätigkeitstheoretischen Psychologie ist. Auch wenn beide im Unterschied zum klassischen Empirismus den aktiven und schöpferischen Charakter der Widerspiegelung betonen, die in der Tätigkeit (Praxis) und durch sie erfolgt. Marxistische Erkenntnistheorie und Tätigkeitstheorie behaupten, dass die Widerspiegelung aktiv sei. Diese Aktivität der Widerspiegelung ist jedoch ein additives und kein strukturelles Element beider Theorien. Sie ist deklarativ, nicht konstitutiv.
Der Konstruktivismus () fasst die psychischen Entitäten als freie Konstrukte der Subjekte auf, die nichts über die Existenz der Realität und über Gegenstände der Realität aussagen. Auch für die konstruktivistische Psychologie besteht folgerichtig für die Kategorie der Vergegenständlichung keine logische Notwendigkeit, hat sie doch die Kategorie der Realität aus der Theorie eliminiert und durch die Kategorie der vom Subjekt konstruierten Wirklichkeit ersetzt. Die psychischen Entitäten sind in dieser Sicht auch keine Abbilder von irgendetwas, sondern subjektive Konstrukte. Eine Kategorie, in der die Beziehung dieser Abbilder zu einer eigenständigen gegenständlichen Realität dargestellt werden können, ist in diesem Kontext nicht erforderlich.

Der subjekttheoretischen Sicht liegt der Konstruktivismus zunächst scheinbar näher, denn der Begriff des Subjekts bildet dieses als aktiv, schöpferisch und damit als konstruktiv ab. Zugleich muss sie die Gegenstände jedoch als objektiv und real ansehen, denn nur in einer realen Welt können Subjekte auch real tätig werden. Mit der Kategorie der Tätigkeit können die Fesseln gesprengt werden, die der Konstruktivismus dem Subjekt angelegt hat, indem er dessen Beziehung zur Realität auf den psychischen Akt der Konstruktion reduziert hat. Das tätige Subjekt vergegenständlicht seine psychischen Konstrukte, indem es seine praktische Tätigkeit mittels seiner psychischen Konstrukte steuert. Die Kategorie der Tätigkeit erfordert also die Annahme einer außerhalb des Subjekts existierenden Realität.
In dieser Sicht erweisen sich die ideellen Konstrukte als zunächst hypothetische Bilder einer als existent vorausgesetzten Realität, mit denen das Subjekt seine praktische Tätigkeit steuert. In dieser praktischen Tätigkeit, in der das Subjekt zur Realität in Beziehung tritt, werden die hypothetischen Bilder als Abbilder derjenigen Gegenstände konstituiert, welche die Bedürfnisse des Subjekts befriedigen. Die psychischen Konstrukte werden also konstruiert, bevor die Tätigkeit ausgeführt wird. Sie sind in diesem Stadium Konstrukte, aber noch keine Bilder von Etwas. Sie sind im Verstand, bevor sie durch die Tätigkeit in die Sinne gelangen.
Sie werden zu Abbildern von Gegenständen, wenn die Tätigkeit erfolgreich ist und das Bedürfnis befriedigt wird. Dabei werden alle Merkmale des Gegenstandes, zu deren Wahrnehmung das Subjekt durch seine funktionelle Ausstattung befähigt ist, mit dem sich nun konstituierenden psychischen Abbild des Gegenstandes verbunden. In der Tätigkeit werden die psychischen Abbilder (für) wahr genommen, die Wahrnehmung erhält ihren gegenständlichen Bezug, die wahrgenommenen Bilder werden vergegenständlicht. Die wahrgenommenen Gegenstände sind Tatsachen, d.h. Tat-Sachen im eigentlichen Sinnen des Wortes.()
Psychische Bilder sind vergegenständlichte psychische Entitäten, welche die Tätigkeit steuern. Dieses Verhältnis ist noch kein spezifisch menschliches, es liegt auch der Tätigkeit aller Tiere zugrunde, deren neurophysiologische Ausstattung Wahrnehmung ermöglicht.
In der Tätigkeit reagiert das Subjekt auch auf die äußeren Umstände, unter denen die Tätigkeit gesteuert wird. Die einfachste Form der neuronalen Steuerung durch Reagieren sind die angeborenen („unbedingten“) Reflexe. Wiederholte erfolgreiche Steueroperationen können als psychische Entitäten gespeichert werden. Sie sind psychische Bilder der Umwelt der Gegenstände der Subjekte. Auch sie werden nur Bilder, indem sie vergegenständlicht werden.
Zusammengefasst: In der Tätigkeit setzen die Subjekte psychische Konstrukte, mit denen sie ihre Tätigkeit steuern, zu den Gegenständen ihrer Bedürfnisse in Beziehung. Es erscheint sinnvoll, diesen Akt als „Vergegenständlichung“ dieser Konstrukte zu bezeichnen, die durch die Vergegenständlichung zu Wahrnehmungen werden.()
Damit überwindet die Tätigkeitstheorie auch strukturell das Element des Passiven, das in der Widerspiegelungstheorie des Psychischen liegt. Zugleich ermöglicht die Kategorie der Tätigkeit die Bestimmung der erkenntnistheoretischen Funktion der Kategorie der Praxis.
In der Tätigkeit wird das Konstrukt als „Steuergröße“ zur Steuerung der Tätigkeit benutzt. Nur wenn das Bild in seinen wesentlichen Parametern mit dem Original übereinstimmt, kann die Tätigkeit erfolgreich gesteuert werden. Damit kann auch die Kategorie der Wahrheit bearbeitet werden, ohne dass das konstruktivistische Prinzip aufgegeben wird. In der Tätigkeit wird der Gegenstand nicht widergespiegelt, sondern rekonstruiert. Dadurch auch wird der logische Widerspruch aufgehoben, der in der marxistischen Erkenntnistheorie zwischen den Kategorien „Praxis“ und „Widerspiegelung“ besteht.
Dieses Konzept der Vergegenständlichung psychischer Bilder begründet zugleich ein spezifisch tätigkeitstheoretisches Konzept der Wahrnehmung. Dieses beruht unterscheidet sich sowohl vom empiristischen Abbildungs- und Widerspiegelungskonzept als auch vom Konzept des Konstruktivismus. Vom Konstruktivismus übernimmt es die aktive, konstruktive Komponente, indem es die Bilder als konstruktive Leistungen des Subjekts auffasst. Die abbildungstheoretische Komponente ist die Auffassung, dass die psychischen Konstrukte zu Abbildern von Gegenständen der Realität werden. Die tätigkeitstheoretische Vollendung erhält das Konzept durch die Auffassung, dass die psychischen Konstrukte im Prozess der Steuerung der Tätigkeit auf ihre Adäquatheit geprüft und in gegenständliche Bilder der Realität umgewandelt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Metaphorisch:
Vergegenständlichung könnte man mit der Projektion eines digitalen Bildes auf eine Leinwand vergleichen. Der Gegenstand stellt die Leinwand dar, auf die das psychische Bild projiziert wird. Das psychische Bild des Gegenstandes ist adäquat ("wahr"), wenn zumindest jedem Bildpunkt ein Punkt des Gegenstandes entspricht. Das unterscheidet den Gegenstand von der Leinwand.

 

 

Wéiterführendes:
Im Verlaufe der Evolution der Tätigkeit und ihrer individuellen Ontogenese entsteht schließlich auch die Fähigkeit, den Akt der Vergegenständlichung als rein geistige Leistung zu vollziehen, die zunächst im Prozess der Wahrnehmung, später auch in der Vorstellung vollzogen werden kann. So kann das Subjekt bereits in der Vorstellung gegenständliche Abbilder erzeugen. Vergegenständlichung ist jedoch noch kein spezifisch menschlicher Akt, Wir finden ihn bei allen zur Wahrnehmung und Vorstellung befähigten Tieren.

Weiterführende Links:
Konstruktivismus: Wikipedia, Bochumer Arbeitsgruppe für Sozialen Konstruktivismus und Wirklichkeitsprüfung
Empirismus: Wikipedia

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© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 01.06.2011