Subjekte Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind. |
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Propädeutikum |
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Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war. Zufall, Emergenz, Kollaps der Wellenfunktion usw.Jede einigermaßen entwickelte Gesellschaft hat
Verfahren dazu entwickelt, wie mit Erscheinungen umzugehen ist, die sie
nicht in das gegebene Erkenntnissystem einordnen kann. Sie werden
beispielsweise mit einem Tabu belegt oder werden als nicht
erklärbare Geheimnisse oder Mysterien angesehen.
In der wissenschaftlichen Erkenntnis übernimmt das Paradigma
die Funktion der Weltanschauung. Die heute vor allem in der westlichen
Welt gültigen wissenschaftlichen Paradigmata sind rationalistisch, was
u.a. bedeutet, dass die Existenz prinzipiell unerklärbarer Erscheinungen
nicht zugelassen wird. Die Wissenschaft kennt keine Geheimnisse und keine
Mysterien. Während der Zufallsbegriff eher allgemeiner Natur ist
und in allen Wissensbereichen angewendet wird, heißt er beispielsweise in
der Systemtheorie „Emergenz“ und in der Quantenmechanik „Kollaps der
Wellenfunktion“. Gemeinsam ist allen diesen Begriffen, dass sie dass nicht
Erklärbare eines Wissensbereiches abbilden. In einem Essay im Spektrum
Online-Lexikon schreibt Vollmer: Ähnliche Standpunkte sind in der Literatur
verbreitet. Gemeinsam ist allen, dass im Begriff des Zufalls die Tatsache
abgebildet wird, dass wir ein zu beobachtendes Ereignis nicht voraussagen
oder auf andere Weise erklären können. Der Zufall bildet also eine
Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens ab, nämlich die
Unfähigkeit, ein Ereignis der Realität zu erklären. Die Unfähigkeit kann
zwei verschiedene Gründe haben:
o
Dieses Unvermögen kann zeitweilig sein und durch die weitere
Entwicklung unseres Erkenntnisvermögens überwunden werden. Das betrifft
nicht nur unsere Instrumente wie Computer, Mikroskope oder
Teilchenbeschleuniger, sondern vor allem auch unsere wichtigsten
Erkenntniswerkzeuge, die Zeichen und Zeichensysteme. Viele Ereignisse
erscheinen uns zufällig, wenn sie auf dem Zusammentreffen von Ereignissen
beruhen, die in (noch) nicht kompatiblen Zeichensystemen abgebildet
werden. Abgesehen von dem viel zitierten Dachziegel auf dem Kopf des
Spaziergängers gibt es auch viele nichttriviale Fälle. So treffen
beispielsweise biologische und geologische Ereignisse zusammen, wodurch
sowohl die biotische Evolution als auch die geologische Entwicklung
beeinflusst werden. Solche Prozesse müssen uns zufällig erscheinen, obwohl
jeder Prozess für sich erklärbar ist, nicht jedoch der eine aus dem
anderen. Quantenmechanische Ereignisse können auf zwei verschiedene
Zeichensysteme (Formalismen) abgebildet werden, die Wellentheorie und die
Teilchentheorie („Welle-Teilchen-Dualismus). Zur Zeit ist es nicht
möglich, sowohl Wellen- wie Teilcheneigenschaften aus einem einzigen
Formalismus abzuleiten. Die zu beobachtenden Eigenschaften sind daher
nicht vorhersagbar, zufällig. · Schließlich nennen wir auch Ereignisse zufällig, die auf gewissen Zusammentreffen von zielstrebigen Aktionen von Subjekten resultieren. Wenn sich Herr Miller aus Washington und Herr Antonov aus Moskau in Berlin an der Weltzeituhr begegnen, kann das durchaus zufällig sein. Es erscheint ihnen aber nur zufällig, wenn sie einander kennen und sich nicht verabredet haben. Im anderen Fall ist ihr Zusammentreffen keinesfalls zufällig, sondern von beiden vorhersagbar. Zufällig wäre es, wenn sie einander verfehlten. Zufällig erscheint das Zusammentreffen auch unbeteiligten Dritten, die das Treffen beobachten. Schließlich hängt die Zuweisung des
Prädikats „zufällig“ auch von dem Erkenntnissystem ab, in dem das Ereignis
abgebildet wird. Die bisher genannten Fälle setzen das Erkenntnissystem
der westlichen Kulturen voraus, das wesentlich durch das deterministische
(kausalistische) Paradigma der Naturwissenschaften geprägt ist. In anderen
Gesellschaften gibt es jedoch ganz andere Erklärungsweisen. Das Gefährliche am Zufallsbegriff und seinen Verwandten ist der Umstand, dass sie den Charakter einer „letzten Ursache“ annehmen, wenn sie als Objekteigenschaften betrachtet werden. Diese Zuschreibung beendet Erkennen, denn wenn etwas objektiv, tatsächlich unerklärbar, zufällig ist, kann nicht mehr sinnvoll nach einer erklärenden Ursache geforscht werden. Deshalb verwende ich diese Termini als relative, theoretische Prädikate, die nur der menschlichen Erkenntnis zugeschrieben werden können (). Ihnen entspricht keine Eigenschaft realer Objekt, sie bilden Eigenschaften des Erkenntnisvermögens ab. Nicht die Realität ist unerklärlich, nur unser Erkenntnisvermögen kann das betreffende Ereignis prinzipiell nicht oder gegenwärtig noch nicht erklären. |
Zitiertes:
Angemerkt: |
Weiterführende Literatur Lanius, Karl (2005): Weltbilder * Eine Menschheitsgeschichte, Faber & Faber, Leipzig, Mayr, Ernst (2000): Das ist Biologie – Die Wissenschaft des Lebens, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg – Berlin Schrödinger, Erwin (2001): Was ist Leben ? Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet, Faber & Faber, Leipzig |
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© Dr. G. Litsche
2006
Letzte Bearbeitung:
01.06.2011