Zur Terminologie der Kategorie "Subjekt"
Lebewesen werden îm naturwissenschaftlichen
Kausalitätsparadigma als →„Systeme“ aufgefasst, deren Verhalten auf die
eine oder andere Weise von äußeren Einwirkungen verursacht wird. Die
Kategorien „Stoffwechsel“ und „Reiz – Reaktion“ sind gängige
kausalistische →Erklärungsprinzipien tierischen und pflanzlichen
Verhaltens. Das Verständnis der Lebewesen als selbstbestimmte Subjekte mit
einem Willen ist in diesem Paradigma nicht möglich.
Das Wort „Subjekt“ wird umgangssprachlich vor allem
zur Bezeichnung menschlicher Individuen benutzt. Gelegentlich hat es dabei
einen abwertenden Unterton. Ohne diesen Unterton wird es benutzt, um den
Menschen als selbstbestimmt, autonom zu kennzeichnen, als Wesen mit einem
eigenen Willen. Andere Lebewesen werden umgangssprachlich gewöhnlich nicht
als Subjekte bezeichnet.
Lebewesen werden gewöhnlich eher dem naturwissenschaftlichen
Kausalitätsparadigma folgend als fremdbestimmte Systeme aufgefasst,
deren Verhalten auf die eine oder andere Weise von äußeren Einwirkungen
verursacht wird und nicht einem eigenen Willen folgt. Die Kategorien
„Stoffwechsel“ und „Reiz – Reaktion“ sind die gängigen kausalistischen
Erklärungsprinzipien tierischen und pflanzlichen Verhaltens.
Dieser kausalistische Standpunkt war und ist jedoch
nicht unwidersprochen geblieben. In der Biologie ist die Diskussion um
dieses Problem als "Mechanismus - Vitalismus - Streit" bekannt. Die
vitalistischen und teleologischen Ansätze dagegen liefen und laufen darauf
hinaus, die in den mechanistischen Erklärungen jeweils offen gebliebenen
Fragen durch immer neue vitalistische und teleologische Konzepte zu
beantworten. Die "Entelechie" Aristoteles -lange Zeit auch als Lebenskraft
"vis vitalis" bezeichnet - gab dieser Richtung der Biologie ihren
Namen. Hans Driesch nahm die Bezeichnung "Entelechie" wieder auf und
begründete den Neovitalismus. In neuerer Zeit lebt die vis
vitalis beispielsweise im "morphischen Feld" von Rupert Sheldrake und
in dem kreationistischen Konzept des "intelligenten Designs" wieder
auf.
Neben den Versuchen, die autonomen Aktionen der Lebewesen metaphysisch zu
erklären, gibt es aber auch eine Reihe von Ansätzen, diese
naturwissenschaftlich zu erklären, d.h. ohne die Annahme immaterieller
Entitäten. Die Gesetze von Physik und Chemie bleiben in diesen Konzepten
auch im Reich des Lebendigen gültig, ohne dass das Leben auf die
physikalisch-chemischen Gesetze reduziert wird. Das eigentliche Problem
dabei ist eine Erklärung der spezifischen Besonderheiten des Lebendigen,
die nicht im Widerspruch zu den Gesetzen von Physik und Chemie steht.
Uexküll entwickelte als Erster eine umfassende neue
wissenschaftliche Sichtweise auf das Lebendige, in der die Lebewesen als "Subjekte"
aufgefasst werden, die sich selbst eine "Umwelt" schaffen, in der sie zu
leben vermögen. Die Welt des Lebendigen wird durch die Naturkraft der "Planmäßigkeit"
(
)gekennzeichnet
ist, die diese von der Zufälligkeit der physikalischen und chemischen
Eigenschaften der nicht lebenden Welt unterscheidet, die allein Leben
nicht erklären können. Diese Position führt ihn aber zur Ablehnung der
darwinistischen Evolutionstheorie, in der Zufälligkeit eine tragende
Kategorie ist. Das könnte der Grund dafür sein, dass die theoretische
Leistung Uexkülls bis heute in ihrem Umfang kaum rezipiert wurde. Heute
wird vorwiegend sein Beitrag zur Entwicklung des Umweltbegriffs genannt,
der jedoch seines theoretischen Gehalts entleert und sinnentstellend auf
den ökologischen Aspekt reduziert wird.
Bertalanffy erkannte als Erster, dass die
Begrenztheit der physikalischen Paradigmata eine naturwissenschaftliche
Erklärung des Lebens verhinderte. Er erweiterte das Begriffssystem der
Thermodynamik um den Begriff des offenen thermodynamischen Systems und
erreichte so tiefere Einsichten in das Verständnis biologischer Prozesse.(
)
Prigogine u.a. führten diesen Ansatz weiter und zeigten, das in Systemen
wie den Fließgleichgewichten entfernt vom Gleichgewicht dissipative
Strukturen entstehen können. Der Terminus „Fließgleichgewicht“
verschleiert aber den Umstand, dass es sich nicht um einen Zustand, sondern um
einen Prozess handelt, der von einem konstant bleibendem
Ungleichgewicht verursacht wird.
Aber auch das offene thermodynamische System entfernt
vom Gleichgewicht ist ein fremdbestimmtes System, das dem
Kausalitätsparadigma gehorcht. Es besitzt weder Selbstbestimmtheit noch
Autonomie noch ein anderes Merkmal, das ein Subjekt kennzeichnet. Auch die
Thermodynamik des Ungleichgewichts ermöglicht noch kein Verständnis des
Lebens als einer Seinsweise von Subjekten. Sie hält die Auffassung
vom Leben in der Physik und verhindert den Übergang zu einer Biologie, die
das Leben als die Seinsweise von Subjekten versteht.
Im deutschen umgangssprachlichen Erkenntnisraum ist
der Begriff des Subjekts mit einer Reihe notwendiger (essentieller)
Merkmale ausgestattet, ohne die eine Konstellation kein Subjekt sein kann.
Eines dieser essentiellen Merkmale ist die Selbstbestimmtheit.
Dieses Merkmal impliziert weitere Merkmale wie die Selbsterhaltung, den
eigenen Willen oder die Selbstentstehung. Das Subjekt muss also als
selbsterhaltende thermodynamische Entität beschrieben werden. Das ist
aber auch im Rahmen der Theorie offener thermodynamischer Systeme nicht
mehr möglich, denn auch sie besagt, dass die Parameter des Abflusses als
beobachtbarer Leistung des Systems von den Parametern des Zuflusses
determiniert werden. Der Zufluss ist die physikalische Ursache
des Abflusses als der Wirkung dieser Ursache. Das offene
thermodynamische System ist eben per definitionem
fremdbestimmt. Für selbstbestimmte Aktionen ist in diesem
Paradigma kein Raum.
Ein Subjekt ist aber zu selbstbestimmten
Aktionen fähig, die nicht durch beobachtbare äußere
Ursachen („Einwirkungen) determiniert sind, Subjekte sind eben
selbstbestimmt. Die funktionelle Ausstattung eines Subjekts muss
also anders beschaffen sein als die des Fließgleichgewichts in einem thermodynamischen
System.
Der Begriff des Subjekts erfordert nicht die
Merkmale Zufluss und Abfluss, weil die Aktion (Tätigkeit) gegen deren
Gefälle erfolgt, sie ist im Unterschied zum Fließgleichgewicht „bergauf“
gerichtet. Deshalb muss im Begriff des Subjekts von Zufluss und
Abfluss abstrahiert werden. Diese Merkmale sind also überflüssig
und werden durch Ockhams Messer entfernt, ihre Zuschreibung zum Begriff
des Subjekts ist darüber hinaus logisch unzulässig, weil sie zu einem
Widerspruch im Subjektbegriff führt.
Diese Definition des Subjekts als selbstbestimmtes,
autonomes Individuum hat nun tiefgreifende Konsequenzen für die Erkenntnis
des Subjekts.
Es liegt u.a. in diesem Begriff des Subjekts, dass Subjekte nicht von
einem Dritten, nicht von einem externen Experimentator geschaffen
werden können. Ein Subjekt kann nur auf natürlichem Wege von selbst
entstehen (durch „Urzeugung“). Der Begriff des autonomen Subjekts
impliziert also den Begriff seiner Unerschaffbarkeit und stellt damit die
Theorie des Subjekts außerhalb aller Schöpfungstheorien. Die Annahme, ein
externer Schöpfer könne Subjekte schaffen, ist eine contradictio in
adiecto, ein Widerspruch in sich. Nur Systeme können geschaffen
werden, nicht aber Subjekte.
Subjekte können sich nur selbst schaffen, im Autodesign (
).
Eine geschaffene autonome Konstellation ist kein Subjekt, sondern
ein Automat
bzw.
ein Roboter. . Automaten und Roboter sind
nicht selbstbestimmt. Sie haben keinen eigenen Willen sondern realisieren
den Willen seines Schöpfers
und sind
daher Systeme. Autonomie allein ist noch kein Merkmal des Subjekts, sie
muss natürlich, von selbst entstanden sein.
Deshalb kann die Idee, künstliches Leben (
)
zu erschaffen, nur innerhalb des kausalistischen Paradigmas gedacht
werden, in dem der Begriff des Subjekts keinen Platz hat. Aus diesem
Grunde entziehen sich reale Subjekte auch prinzipiell der
empirisch-experimentellen Untersuchung.
Als reales autonomes System /1/
kann der Automat (
)
nur das Modell eines Subjekts sein. Wenn ein Subjekt von
einem Beobachter (Experimentator) zerlegt wird, verliert es seine
Subjektivität, sie wird ihm genommen. Es ist nun nicht mehr autonom, nicht mehr selbstbestimmt.
Es wird zum Gegenstand des Beobachters. Auf diese Weise sind
Beobachter und Subjekt einander nicht mehr Subjekt, einem Subjekt wurde seine
Autonomie genommen, es ist Objekt geworden.
Deshalb entziehen sich reale Subjekte auch prinzipiell der
empirisch-experimentellen Untersuchung.
Das heißt natürlich nicht, dass Subjekte nicht erkannt werden
können, sie können nur nicht auf empirischem Wege erkannt werden,
nicht experimentell.
Subjekte können nur theoretisch erkannt werden (
).
Die theoretische Erkenntnis ist der „Königsweg“ zur Erkenntnis des
Subjekts. Der wissenschaftliche Begriff des Subjekts muss folglich ein
theoretischer Begriff (
)
sein.
Die Konstruktion autonomer Konstellationen ist also nicht die Konstruktion
von Subjekten, sondern nur die Konstruktion von Modellen für
Subjekte. Es sind eben keine Modelle von Subjekten, wie z.B. ein
Blütenmodell, in denen
empirisch festgestellte Merkmale von Subjekten nachgebildet werden.
Der Begriff
des Subjekts kann also nicht aus dem den Begriff des Systems
abgeleitet werden, denn ein System ist per definitionem
fremdbestimmt und kann nicht gleichzeitig das Merkmal der
Selbstbestimmtheit erhalten. Die Formulierung „ein Subjekt ist ein
selbstbestimmtes System“ ist also logisch nicht zulässig. Zulässig
ist dagegen die Formulierung „ein Subjekt ist eine selbstbestimmte
Konstellation“.
Die Abbildung vor allem menschlicher Subjekte als Systeme hat auch
eine ideologische Dimension: Indem soziale Entitäten als Systeme und nicht
als Subjekte dargestellt werden, wird von dem Merkmal der Autonomie, von
ihrer Selbstbestimmtheit abstrahiert. Sie werden – und eben nicht nur in
der Theorie – als manipulierbare Entitäten angesehen.
Die Frage ist also, welche Komponente oder welche Komponenten muss
eine Konstellation haben, die sie zu selbstbestimmten autonomen Aktionen
fähig macht? Abbildung 2 stellt eine
solche Komponente dar. Ihre Funktion ist die Überführung der inneren
Energie der Konstellation in eine nach außen gerichtete Aktion, die in der
Systemtheorie als „energetische Schnittstelle“
bekannt ist. (
).
Die physikalischen Parameter der Aktion werden durch die energetischen
Parameter der selbstbestimmten Konstellation und deren Design determiniert
und können aus diesen – und nur aus diesen - berechnet und vorher gesagt
werden.
Eine Konstellation mit dieser Ausstattung kann nun nicht mehr auf das
begriffliche und terminologische System der Thermodynamik abgebildet
werden. Sie ist kein offenes thermodynamisches System, da sie weder
Zufluss noch Abfluss hat. Sie ist auch kein geschlossenes oder isoliertes
thermodynamisches System, da sie über die Schnittstelle
mit der Umgebung in Verbindung steht. Ich schlage vor,
natürliche physikalische
Konstellationen dieser Art „Subjekte“
zu nennen. Subjekte sind so als geschlossene (isolierte) thermodynamische
Konstellationen bestimmt, die durch eine stoffliche oder energetische
Schnittstelle mit der
Umgebung in Beziehung stehen. Die Spezifik der Schnittstelle besteht
darin, dass ihre physikalischen Parameter nicht
aus den Parametern der Umgebung berechnet werden können (von diesen ist
abstrahiert), sondern nur aus den internen Parametern der Konstellation,
die aber der Wahrnehmung unzugänglich sind. Sie können nur
konstruiert
werden.
Subjekte können auch nicht als „Systeme“ bezeichnet werden, denn
Systeme sind durch ihre Funktion für ein Subjekt gekennzeichnet (
),
Natürliche selbsterhaltende Konstellationen haben aber keine Funktion. (Nur
Modelle von Subjekten haben eine Funktion).
Natürlich weisen Subjekte neben der
Selbstbestimmtheit noch weitere Merkmale auf,
z.B. (in alphabetischer Reihenfolge):
·
Autodesign,
·
Autonomie,
·
Eigener Wille,
·
Freier Wille,
·
Intentionalität,
·
Kreativität,
· Selbstentstehung
·
Selbstbestimmtheit,
·
Selbsterhaltung,
·
Selbstzweck,
·
Unerschaffbarkeit.
Alle diesen sind gemeinsam mit weiteren
notwendige Merkmale des Subjektbegriffs, keines kann fehlen. Wenn wir
zudem unterstellen, dass Subjekte wie die Lebewesen in der Evolution
entstanden sind, müssen wir uns auch zu der Frage äußern, ob diese
Eigenschaften in einer Reihenfolge entstanden sind oder ob alle „von
Anfang an“ da waren, d.h. gleichzeitig entstanden sind oder ob sich
nacheinander entstanden und in welcher Reihenfolge dies ggf. geschah.
Es lässt sich zeigen, dass diese Eigenschaften von Subjekten stets
Eigenschaften einer Konstellation als Ganzes sind, dass aber bestimmte
Eigenschaften der Konstellation eine bestimmte Ausstattung mit
funktionellen Komponenten erfordert. Die Gesetze der Evolution verlangen
also die Annahme, dass diese Komponenten nacheinander entstanden sind. Es
muss also eine zeitliche Folge von Konstellationen unterschiedlicher
funktioneller Ausstattung gegeben haben, an deren Ende eine Konstellation
entstanden war, die alle Eigenschaften aufwies, die heute im
Begriff des Subjekt abgebildet sind.
Damit stellt sich das Problem, ab welcher Stufe dieser Entwicklung
Konstellationen „Subjekt“ genannt werden sollen. Wenn wir dabei an die
Entwicklung irdischer Lebewesen denken, die ja die einzigen natürlichen
Konstellationen sind,
die ja die
einzigen natürlichen Konstellationen sind, die unserer Erfahrung
zugänglich sind und die Subjekte sein könnten, ist dies die Frage, welche
Lebewesen „Subjekte“ genannt werden sollen - und welche nicht. (
).
Die
Formulierung „genannt“ drückt dabei nicht einfach die
→Bezeichnungsrelation
aus. Es geht nicht einfach um ein Wort für ein Objekt. Es geht vielmehr
darum, welches ideelle Abbild das Wort ausdrücken und so dem
Objekt
→zugeschrieben werden soll.
Wenn dieses Abbild nicht einfach das wahrgenommene Bild ist, sondern ein
theoretisches Konstrukt, dann bedeutet „nennen“ die Bestimmung eines
Erklärungsprinzips. Lebewesen „Subjekte“ zu nennen heißt folglich, ihnen
die Merkmale zuzuschreiben, die mit dem Erklärungsprinzip „Subjekt“
verbunden sind. Das sind nun andere als die, die mit dem Erklärungsprinzip
„System“ verbunden sind. Die Feststellung, Lebewesen seien keine Systeme
sondern Subjekte bedeutet, dass Lebewesen ausschließlich nach dem
Erklärungsprinzip „Subjekt“ betrachtet werden sollen. Diese Forderung hat
erhebliche erkenntnistheoretische und ethische Konsequenzen.
Konstellationen mit einer funktionellen Ausstattung,
die mindestens ein Merkmal aufweist, das gewöhnlich Subjekten
zugeschrieben wird. Weitere Merkmale der Subjekte entstehen dann im
Verlauf der Evolution durch die weitere schrittweise Ausstattung dieses
ursprünglichen Subjekts mit weiteren funktionellen Komponenten. Einen
Entwurf für eine solche Darstellung habe ich vorgelegt (Litsche, 2004).
Die Frage nach der Entstehung des Lebens ist also auch die Frage nach der
Entstehung von Subjekten.
Diese Fassung des Subjektbegriffs ermöglicht auch die Einbeziehung von
Vorformen des Lebens, in denen noch nicht alle Komponenten ausgebildet
sind, die heute zur Minimalausstattung von Lebewesen gehören. Solche
Zwischenformen – missing links – muss es gegeben haben. Sie sind heute
wohl nicht mehr auffindbar und können experimentell als Modelle für
Subjekte simuliert werden (Koazervate, Mizellen usw.). Sie bleiben aber
Modelle und können keine Subjekte sein.
Die dargestellten Schemata stellen das Erklärungsprinzip dar, das der
Beschreibung der Lebewesen zugrunde gelegt wird, wenn sie als „Subjekte“
bezeichnet werden.
←Abbindung
2 stellt ein hydrodynamisches Referenzobjekt für dieses Erklärungsprinzip
dar und zeigt die notwendige Minimalausstattung eines Subjekts.
Systemtheoretisch zeigt es ein hydrodynamisches System als Modell
für ein Subjekt.