Das präbiotische Lebewesen
Mit dem Begriff des Subjekts sind
wir der Rekonstruktion der Entstehung des Lebens ein gutes Stück näher
gekommen. Das Prinzip der schrittweisen Rekonstruktion impliziert nun die
Frage, von welchem Schritt ab der Ausdruck "Leben" benutzt werden soll.
Üblicherweise wird das Leben durch einen Satz von Merkmalen gekennzeichnet.
Wie dargestellt (),
kann dieser Satz auf natürlichem Wege nicht auf einmal entstehen, sondern
nur in einer Folge notwendig aufeinander folgender Schritte.
Die bisherige Rekonstruktion hat u.a folgende Merkmale des Lebens ergeben:
- Abgrenzung eines internen Milieus durch eine Membran,
- Stoff- und Energiewechsel mit einer Umwelt,
-
Kreativität,
-
Individualität und
-
Subjektive Aktivität.
Andere Merkmale wie Vermehrung und Fortbewegung fehlen den komplexen
Bläschen noch. Wenn ich diese nun als "lebend" bezeichne, dient das zunächst
der sprachlichen Vereinfachung. Zur Abgrenzung von späteren
zellulären Entwicklungsstufendes Lebens will ich diese als "präzellulär" kennzeichnen.
Für die weitere Rekonstruktion ist die genauere Betrachtung einiger
Parameter erforderlich.
1.
Die Realisierung der stofflichen und energetischen Beziehungen durch
Resorber und Exkretoren macht die Annahme einer semipermeablen Membran
überflüssig. Präzelluläre lebende System können auch mit einer
impermeablen Membran ausgestattet sein, ohne dass Abstriche an der
Funktionalität erforderlich sind.
Der Stoff- und Energieaustausch
mit der Umwelt
erfolgt mittels Resorbern und Exkretoren durch die spontane, endogen ausgelöste
Aktion. Daraus
folgt, dass präzelluläre lebende Systeme nicht als thermodynamisch
offene Systeme angesehen werden können.
Diese These steht im Widerspruch zu gängigen Auffassungen, die Lebewesen als
thermodynamisch offene Systeme im Fließgleichgewicht betrachten. Als
diese können sie jedoch nicht als autonome Subjekte verstanden werden, die
aus eigenem Antrieb tätig werden. Auch im Fließgleichgewicht werden
offene Systeme von
außen determiniert, für sie kann kein endogener, subjektiver Antrieb gedacht
werden.
Die in der Thermodynamik gültige Terminologie zu Bezeichnung offener,
geschlossener und abgeschlossener
Systeme
beruht darauf, dass der Austausch von Stoff und Energie definitions-gemäß
nur auf "thermodynamischem Wege", d.h. durch
Diffusion (oder
Strahlung) erfolgt. Ein
aktives Aufnehmen von Stoff (oder Strahlung) liegt nicht in ihrem
Wertebereich. Lebewesen nehmen Stoffe aktiv auf. Durch Diffusion
eingedrungene Substanzen werden aktiv wieder ausgeschieden.
2. Wenn an der empirisch sicher belegten These der
monophyletischen
Evolution festgehalten werden soll, können alle folgenden lebenden
Systeme wie zelluläre und mehrzellige Lebenwesen ebenfalls als geschlossene
Systeme gedacht werden. Nur so können Lebewesen als autonome Subjekte
verstanden werden.
3. Dieser Auffassung scheinen die empirischen Befunde zu widersprechen. Der
Begriff des präzellulären Lebewesens erfordert jedoch keine impermeable
Membran. Lebewesen ohne diese müssen mit funktionellen Komponenten zur
Osmoregulation (z.B.
Aquaporinen) ausgestattet sein, durch welche die thermodynamische
Wirkung der Poren auf 0 setzen. In diesem Falle sind die Systeme funktionell
geschlossen. Ihre anderen Eigenschaften sind so, als wären sie geschlossen.1
Wie dargelegt, sind die nichtosmotische Aufnahme und Ausscheidung von
Stoffen thermodynamisch ganz andere Prozesse als die auf der Diffusion
beruhende Osmose. Als "bergauf verlaufende" endergone Prozesse benötigen sie
einen Anstoß, der nicht wie bei der Osmose von der Umwelt ausgehen kann. Sie
erfordern die autonome Aktion der Lebewesen.
Mit der Herausbildung dieser präzellulären lebenden
Systeme entsteht eine neue Form der thermodynamischen Wechselwirkung:
die Aktion von Subjekten. In der Aktion ist die Gleichwertigkeit der an
der Wechselwirkung beteiligten Reaktanden aufgehoben.
Diese Zusammenhänge können nur mit den Mitteln der Thermodynamik nicht
mehr dargestellt werden. Eine neue Wissenschaft ist erforderlich, die
Biologie.